BLIND CHANNEL, GHØSTKID, ROCK BAND FROM HELL, 26.03.2024, Im Wizemann, Stuttgart

Ich habe weder damit gerechnet, dass an einem Dienstag Abend Blind Channel das Wizemann bis zum Ausverkauf füllen, noch, dass ich heute Abend das erste Mal GHØSTKID zu sehen bekomme. Die habe ich irgendwie im Line Up überlesen und freue mich umso mehr, das „relativ“ neue Projekt des ehemaligen „Electric Callboy“-Frontmanns Sushi zu sehen zu bekommen.
Doch erst einmal darf die finnische „Rock Band From Hell“ den bereits prall gefüllten Saal auf Temperatur bringen.

Von der ersten Minute an, als das Trio auf die Bühne gestürmt kommt, besteht kein Zweifel daran, dass die Jungs es ernst meinen und uns in den Arsch treten wollen. Schlagzeuger Mikko Nykänen hat scheinbar den Popo voller Hummeln, hält es ihn vor, nach und während der Songs kaum auf seinem Hocker. RBFH verbinden geschickt und fließend das treibende und mitunter chaotische Tempo des Punkrocks mit eingängigen Pop Melodien. Auch Gitarrist Jere hält es nicht lange auf der Bühne und er kommt uns im Graben besuchen und sucht den direkten Kontakt mit den Fans. Mit nur einem bisher veröffentlichten Album merkt man der Band an, dass hier im positiven Sinne noch keine Routine und Abgeklärtheit herrscht, wie bei vielen anderen Künstlern, die schon hunderte Konzerte runtergerockt haben. RBFH lassen ihren Emotionen und dem Spaß freien Lauf und auch das Publikum treibt sie immer weiter voran bis der Auftritt mit „Lucky Loser“, den sicher jeder von uns fühlen kann, seinen würdigen Abschluss eines kraftvollen und kurzweiligen Auftritts. Besser kann es für einen Support nicht laufen, als mit lauten Zugabe-Rufen von der Bühne zu gehen.

Wie bereits zu Beginn erwähnt, ist mir total entgangen, dass GHØSTKID Teil dieser Tour sind. Ich hätte auch niemals damit gerechnet, dass der kleine Saal im Wizemann und ein Support-Slot der Größe der Band entsprechen. Ich habe sie eher im LKA oder der Porsche Arena als Headliner gesehen. Aber – gut für mich. Seit meine große Liebe für Electric Callboy entfacht wurde und ich sie nie mit ihrem Original-Sänger Sebastian „Sushi“ Biesler gesehen habe, freue ich mich umso mehr auf „meine“ Premiere in kleinem Rahmen. Ich habe nur oberflächlich bei der Bandgründung 2020 in ein paar Songs der Supergroup reingehört. Natürlich steckt da in einigen Fasern noch das Eskimo Callboy -Gen – so hießen sie noch, als Sushi der Frontmann war – aber GHØSTKID gehen dieses Konzept um ein Vielfaches düsterer und ernster an.
Als die Lichter erlöschen und erste Elektro – und Techno Beats mit Druck aus den Boxen hämmern, wird schnell klar, dass jetzt mehrere Gänge in Sachen Härte hochgeschalten wird. All die aufgebaute Energie und Spannung entlädt sich, als fünf schwarze Gestalten, angeführt von Sushi mit schwarzem Schleier, die Bühne betreten und mit „Hollywood Suicide“ vom zwei Tage alten, gleich benannten Album die Tore zu mentalen Abgründen aufstoßen. Beim darauf folgenden „Crown“ ist es bereits Zeit für den ersten Circle Pit des Abends. Beide Gitarristen lassen es sich dabei nicht nehmen in die Menge zu gehen, um eine anständige Keilerei zu organisieren. Ich finde es immer amüsant, wenn Bands während Songs auf der Bühne die finsterste Hölle entfalten, um dann zwischen den Songs so lieb und anständig, als wären sie bei der Schwiegermutter zum Kaffee und Kuchen eingeladen, mit dem Publikum sprechen. Wurde dann zum späteren Treff am Merch-Stand eingeladen, um Fotos zu machen und ein bisschen zu quatschen, wird danach mit „I Wanna Start A Fight“ wieder gegen das Schienbein getreten.

Der heutige Auftritt verleiht mir auf jeden Fall eine wieder neu entfachte Motivation, mich mehr mit den Songs von GHØSTKID zu befassen. Beim letzten Song der heutigen Setlist war ich für einen Moment überrascht, da er von Sushi mit „Supernova“ angekündigt wurde. Für einen Augenblick war ich etwas verwirrt, da es sich dabei doch um einen Electric Callboy Song vom Album „Rehab“ kurz vor seinem Ausstieg handelt. Das wäre jetzt aber ein wenig zu fröhlich für die bisher sehr düster gehaltene Stimmung der Songs. Aber auch hier eine Überraschung. GHØSTKID haben ebenfalls einen Song namens „Supernova“, nur ist dieser ein absolut finsterer Hammer, der alles Gute von Electric Callboy und alles abgründige von GHØSTKID vereint und – zumindest auf Platte – noch gekrönt wird durch lieblichen Gastgesang von Markus Bischoff – Goldkehlchen von „Heaven Shall Burn“. So. Eigentlich bin ich jetzt schon vollends begeistert, zufrieden und könnte nach Hause gehen. GHØSTKID sind eine Wucht und es nervt mich, dass ich bereits vorangegangene Headliner-Shows von ihnen verpasst habe. Es wird schwer, zumindest in meinem Fall, diesen Auftritt zu toppen, da ich beinahe vergessen hatte, das jetzt ja noch Blind Channel kommen.

Kommen wir zum Main Event des Abends. Blind Channel. Wir haben sie bis jetzt zwei mal gesehen. Das erste Mal 2021, zusammen mit 1830000000 Zuschauern weltweit beim Eurovision Songcontest in Rotterdam. Es reichte mit „Dark Side“ zum 6. Platz. Darüber können wir in Deutschland natürlich nur verbittert lachen – und wieder schließt sich der Kreis. Ein Jahr später wurden Electric Callboy mit „Pump It“ nicht zum Vorentscheid zugelassen, auf Grund mäßiger Radiotauglichkeit. Wir Deutschen wissen einfach immer noch am besten, wie man sich selbst am effektivsten zwischen die Beine treten und vor dem Rest der Welt blamieren kann. Schließlich durfte dann Jendrik 2022 antreten mit dem Radio-Pop-Song „I Don´t Feel Hate“. Die 3 Punkte hätten Electric Callboy sicherlich auch geschafft. Genug. Das zweite Mal haben wir Blind Channel dann ebenfalls 2022 gesehen als Support von – Electric Callboy in der ausverkauften MHP Arena.
Während des Umbaus der Bühne wird eine Art „Blind Channel Rock Radio“ abgespielt mit den Lieblingssongs der Band samt Anmoderation. Für einen Gänsehautmoment sorgte dabei bei mir, als „Numb“ von Linkin Park gespielt wurde. Völlig unerwartet ist auf einmal der komplette Saal am mitsingen in einer Lautstärke, wie es sich wohl jede Band bei ihren eigenen Songs wünscht.

Als die Radioshow zu Ende ist, kommt ein halbes Dutzend Musiker auf die Bühne. Wie ein Sturm wirbeln die Finnen zu „Deadzone“ über die Bühne. Ich war mir gar nicht mehr darüber bewusst, dass BC zwei Sänger haben, wobei sich Niko mehr auf die gerappten Songpassagen fokussiert. Im Vergleich zu den beiden Support Bands wirkt hier sehr viel einstudiert. Sprach ich bei Rock Band From Hell noch von dieser unroutinierten, chaotischen Emotionalität, wissen Blind Channel genau wer wann wo steht und welche Knöpfe sie beim Publikum drücken müssen, um eine Reaktion zu erhalten. Doch das Publikum geht mit. Der Saal hat sich zwar etwas geleert nach dem Auftritt von Ghostkid, doch die Party ist am laufen. Blind Channel spielen eine ausgewogene Setlist aus ihren 3 bisherigen Alben und geben vor allem ihrer aktuellen Platte „Exit Emotions“ viel Platz. Meine persönlichen Highlights sind defintiv „XOXO“, das gefühlt alle musikalischen Elemente des Abends enthalten. Rap, Pop, Nu Metal, Punk, Elektro-Beats. Blind Channel sind extrem vielseitig und beherrschen alle Stile unglaublich gut. Einen besonderen Platz nimmt heute Abend das Rap Genre ein. Sänger Mike ist scheinbar undercover auch als Violent Bob unterwegs und zeigt sein Können bei einem Cover des Eminem Hits „Till I Collapse“ und dem darauf folgenden System Of A Down Hit „B.Y.O.B“.
Ich muss mir eingestehen, dass ich zwar nicht alles cool finde, was da auf der Bühne getrieben wird. Manches ist mir dann doch zu gestellt und durchdacht, doch in vielen Momenten steht da einfach eine richtig coole junge Band auf der Bühne, die eingängige Songs schreiben kann und damit viele junge, angehende Metalfans begeistert und in diese unendliche Welt unterschiedlichster Stilrichtungen hineinsaugt.
Wer weiß, vielleicht sehe ich das ein oder andere Gesicht ja schon nächste Woche wieder bei Marduk in Mannheim mit Corpsepaint, Lederjacke und Nägeln an den Springerstiefeln. Für den Abschluss dieses gelungenen Auftritts haben sich die selbsternannten Backstreet Boys des Metal natürlich „Dark Side“ aufgehoben.
Ich unterstelle hier mal keine Häme a lá „Schaut her, so geht das beim ESC“.

Blind Channel
Ghostkid
RBFH