ABRACADABRA, 08.12.2023, Merlin, Stuttgart
Das Booking des Stuttgarter Kulturzentrums Merlin bringt beständig mir gänzlich unbekannte und überwiegend junge Bands auf die Bühne, was zwar oft genug mein prinzipielles Interesse weckt, zu selten aber zum aktiven Konzertbesuch führt. Abracadabra (schlecht zu googeln und auch bei Discogs nur an 20. Stelle von Bands mit diesem Namen) kannte ich bis vor kurzem natürlich auch nicht, hatte aber einfach Glück, dass schon früh mein Interesse geweckt wurde.
Denn wenn zeitgleich die immer vielversprechende Promo-Post des britischen Melodic-Labels eingeht und am selben Tag in der Konzertankündigung des Merlin Referenzen wie Lizzy Mercier-Descloux (Exil-Französin im New Yorker Post-Punk) und Dub-Wizard Scientist aufpoppen, ist es schnell um mich geschehen.
Vorab ein paar Youtube-Videos gecheckt, weshalb ich am Freitagabend im Merlin einen eher entspannten Sound irgendwo zwischen daddeligen Khruangbin, Laidback-Funk und Dub erwartete. Es kommt aber anders. Die fünf Musiker*innen betreten jeweils ganz in Weiß gekleidet die Bühne und sind von Anfang an vor allem eines: höllisch funky!
Das lässt sich schon am Setup erkennen: Neben der charmanten Sängerin/Keyboarderin Hannah Skelton mit den kanariengelben Locken steht vor allem Bassist Chris Niles im Zentrum des Geschehens, obwohl zumindest anfangs der auf der rechten Bühnenseite performende Perkussionist alle Register zieht, um dem ohnehin schon knackigen Sound noch mehr Groove zu verleihen – übrigens mit überragendem Erfolg! Der Drummer sorgt für straighten Beat, der linksstehende Gitarrist (mit kleinem Synthie) fällt erst mal nicht so sehr auf (das wird sich aber ändern).
Abracadabra setzen von Beginn an auf treibende Basslines, spaciges Synthie-Blubbern und die unwiderstehliche Kraft des Funk. Zusammen mit der kühlen und soulfreien, aber sehr präsenten Stimme von Hannah Skelton höre ich ein infektiöses Stilhybrid aus klassischem New Wave und zeitlosem Funk.
Denn Songs und Soundästhetik sind eindeutig in den frühen 80ern verwurzelt. Da darf man tatsächlich an Lizzy Mercier-Descloux denken, vor allem aber an Tom Tom Club, die unvergessenen „Mutant Disco“-Compilations und überhaupt das New Yorker Ze-Label – sogar ein wenig an B-52’s. Die kristallklar-coole Stimme könnte auch von den Chicks On Speed stammen, der hypnotische Funk-Groove von Punk-Funkern wie !!! (Chk Chk Chk).
Den Ton gibt aber der wuchtig-elegante Bass an, bis dann im Verlauf des Konzerts zunehmend die eigentümliche Gitarre zur Geltung kommt. Sie tut dies mit synthetisch anmutenden Klangfarben, souverän zwischen präziser Rhythmusarbeit und abstrakten Schnörkeln variierend. Dabei erinnert der Linkshänder stilistisch an Adrian Belew und Prince, wie mir ein anwesender Stuttgarter Gitarren-Experte souffliert. Dabei gehört der Typ nicht mal zur Kerngruppe von Abracadabra, fällt aber neben seiner messerscharfen Gitarre auch mit einer perfekten zweiten Singstimme auf.
Was wiederum gut zum aufgeräumten und extrem elastischen Talking Heads- und Tom Tom Club-Groove passt. Die Band ist beim letzten Auftritt ihrer Deutschland-Tour sichtlich euphorisch, vor allem der knuffige Perkussionist zieht auf seinem klassischen Instrumentarium (Congas, Bongos, Woodblock und Cowbell) eine enthusiastische Show ab, was den Songs zu einem ansteckend fiebrigen Groove verhilft. Den leider nicht allzu vielen Anwesenden hat es – glaube ich – allen gut gefallen, ich bin sogar schwer begeistert – auch wenn die eigentlich erhofften Dub-Effekte kaum stattfanden. Es wundert jedenfalls nicht, dass das Vinyl am Merch schon vor dem Konzert restlos ausverkauft war.