A.S. FANNING, OLIVER EARNEST, 11.10.2023, Merlin, Stuttgart
Volkskrankheit Depression. Kaum jemand, der nicht mehrmals in der Spanne eines Lebens davon betroffen gewesen wäre. Lediglich von der Volksgeißel Tod werden noch mehr von uns heimgesucht. Und wer soll es einem verdenken, die Verzweiflung:
Die Anlässe sind zahlreich, die Auswirkungen klar. Nachdem an dieser Stelle vor kurzem Death-Metal-Konzerte als innovative Katharsis-Therapieform näher beleuchtet wurden, soll auch heute die Psychohygiene in eurem Lieblings-Ratgeber-Blog nicht zu kurz kommen. Wir widmen uns der antreibenden, schöpferischen Kraft des negativen Denkens.
Wichtig, um sich zu öffnen ist der safe space, in dem wirklich alles gesagt, gehört, gefühlt werden darf. Das Merlin ist natürlich dieser Wohlfühlort und für einen
Mittwochabend ist dieser erstaunlich gut besucht. In Kooperation mit dem IndieWohnzimmer stehen hier heute zwei Experten der melancholischen musikalischen Abendunterhaltung auf der Bühne.
Der erste Botschafter des Abends ist Oliver Earnest, Singer-Songwriter. Der Telling Name verrät bereits das Themenspektrum: Mit schöner, warmer, teils sonorer Stimme bietet er Lieder mit eher ernsten Themen dar: Schatten, Sterblichkeit, Apokalypse, emotional schwierige Lebenslagen – nichts davon ist dem jungen Münchner fremd. Den inhaltlich schweren Brocken steht eine große Spielfreude gegenüber. Eindringlich schwebt seine Stimme durch den Raum, die klare Akustik-Gitarre tut ihr Übriges und freundlicher Applaus schwappt ihm entgegen.
D.H. Lawrence, H.P. Baxter, J.K. Rowling, C.G. Jung … nun also A.S. Fanning. Cooler Keyboard Sound, coole tiefe Stimme, die an Adam Green oder gar Nick Cave erinnert (Bariton), cooles Sonic Youth T-Shirt des Gitarristen mit Häkeltierchen drauf (Amigurumi). A.S. selbst stellt sich zwischendrin vor mit einem lapidaren
You can call me Steve, if you like. Better not talk to me at all.
Das neue Album „Mushroom Cloud“ lässt sich inhaltlich laut seiner eigenen Aussage auf den Nenner „Future is cancelled, there is no hope for humans at all“ bringen (Pandiemiebeginn lässt grüßen!). Musikalisch mäandert A.S. Fanning mit Band zwischen New Wave, dramatischem Folk oder countrieskem Shoegaze. Hier bin ich am meisten dabei – dreamy Slidegitarren, opulenter Synthsound, mehrstimmiger Gesang, von allem eher zu viel als zu wenig. Bassist gibt’s keinen, übernimmt Keyboarder Dave Adams. Wegen mir könnten die ersten Stücke fast noch ein bisschen mehr in die Länge gezogen werden – kaum bin ich so richtig schön eingelullt, schon geht’s weiter mit dem nächsten Abgesang auf die Welt und das Schicksal der Menschen.
Aber: Es darf gelacht werden! Immer wieder kichert A.S. nach den allzu düsteren Ankündigungen immer neuer Abgründe in sich hinein und nimmt sich selbst damit nicht allzu ernst bzw. propagiert den Galgenhumor als Copingstrategie. Nach mehreren Zugaben mit teils bluesigen Tönen verabschiedet sich die Band vom begeisterten Stuttgarter Publikum. Und so kommt es, dass wir nach all dem diese Oase frohgemuter verlassen, als wir sie betreten haben. Ein melancholischer Nachgeschmack bleibt, es ist alles verloren, radikale Akzeptanz.
Gruppentherapie im Merlin. Termine findet ihr im Netz.