GHOST, THE HELLACOPTERS, 20.06.2023, Ratiopharm Arena, Neu-Ulm
Himmlische Fügung oder ein Geschenk Beelzebubs, egal, ich darf Ghost ein zweites Mal sehen innerhalb von zwei Wochen. Nach dem Auftritt vor ca. 12.000 Personen im Berliner Velodrom, nun im bayerisch-schwäbischen Neu-Ulm. So um die 6.500 Leutchen sollen in die Ratiopharm-Arena passen, und die Kapazität dürfte heute auch mal wieder voll ausgeschöpft worden sein. Diverse österreichische Kennzeichen bezeugen die Anziehungskraft dieses Events. Tatsächlich geht man nicht einfach zu Ghost-Konzerten, eigentlich pilgert man schon.
Unterschiedlicher als Neu-Ulm und Berlin können zwei deutsche Städte wahrscheinlich kaum sein, der Anblick der Ghost-Fans bleibt der Gleiche. Bunt gemischt, alte Metalheads, viele junge Leute, sehr hoher Frauenanteil, schön. Schön auch die Aufmachung einiger Fans. Neben sehr gelungenen und nur gelungenen Gesichtsmaskierungen im Stile der verschiedenen Frontman-Päpste, gibt es auch hübsche Nonnenaccessoires zu sehen. Von der einfachen Nonnenhaube bis zur vollständigen Tracht, bzw. Habit. Den Vogel schießt allerdings ein (vermutlich) männlicher Fan ab, der einen perfekten Cardinal Copia Look hinlegt. Einfach nur wow, wow, wow!
Mein Stehplatz ist direkt gegenüber der Bühne, auf der sogenannten Goldochsen-Tribüne. Wir sind in Bayern, so heißen hier die Dinge nun mal. Wie in Berlin betritt um 20:30 Uhr der Supportact die Bühne. Große Erleichterung meinerseits, dass im Gegensatz zu Berlin nicht Halestorm spielen. Die hatten gezeigt, wie man mit großem musikalischen Können, den wirklich allerdümmsten, nervigsten Radio-Hardrock zum Besten gibt. Ein Martyrium war das. In Neu-Ulm dürfen The Hellacopters ran, und da ist schon nach einer Minute klar: Spitzensache!
Das schwedische Quintett spielt einen rock’n’rolligen Hardrock-Mix, der manchmal durch seine Melodiösität powerpoppige Gefilde streift. Bei bestem Sound hört es sich für mich manchmal an, als würde John Lennon zu Motörhead Songs singen. Natürlich wird auch hier kein Rad neu erfunden, aber die Songs sind einfach gut. Da wird viel Melodie aus der alten Tante Rock’n’Roll rausgeholt. Neben der guten Musik scheint aber auch persönliche Sympathie zwischen den Künstlern eine Rolle bei der Wahl des Supportacts gespielt zu haben.
Herausragend in dem kompakten und mit viel Verve vorgetragenen Bandsound finde ich die Gitarrensoli. Scharfe, bluesige Licks, die alle Knöpfe drücken, die es für diese Art von Musik braucht. Fotograf Alex merkt noch an, dass er Gitarrist Dregen schon mit den Backyeard Babies und mit Michael Monroe zusammen gesehen hat. Ich recherchiere noch, dass Gitarrist und Hauptsänger Nicke Andersson auf unserem Blog mit Imperial Electric schon hier und hier besprochen wurde. Fazit: Toller 50-minütiger Auftritt und eine Versöhnung nach dem fürchterlichen Support in Berlin.
Die Umbaupause wird mit A-has „Take On Me“, einem Klavierstück sowie Kirchenchorälen überbrückt. Eine Songauswahl, die durchaus Sinn ergibt, so vom Ghost-Ding her. Historische Konnotation bevor es losgeht: Nach Ableben des Ratzingers lastet die Verantwortung der Rolle des grusligsten Papstes der Gegenwart nun alleinig auf den Schultern Papst Emeritus IV.
Das Licht geht aus, alle schreien, und der instrumentale, berührende Bombastmarsch von „Imperium“ läutet die erste von noch etlichen Gänsehautrunden ein. Der Vorhang fällt, Pyroknall, „Kaisarion“ ist der so flotte, wie harte, wie melodiöse Opener. Einziger Kritikpunkt gleich vorweg: der Sound ist nicht perfekt, die Gitarren meist zu laut. Das wird etwas besser im Verlauf, aber insgesamt etwas schade, dass dadurch Feinheiten in den Arrangements der Instrumente manchmal untergehen.
Davon abgesehen, die Setlist ist identisch mit der des Berliner Auftritts. Dies bedeutet, nach fünf Alben und etlichen EPs sind Ghost in der Lage ein Set abzuliefern, dass nur aus Hits besteht. Und die Songs, die Musik ist schlussendlich das, warum Ghost in meinen Augen das Idealbild eines massentauglichen Pop-Phänomens sind. Denn Tobias Forge schafft es wie kaum ein anderer u.a. Folgendes unter die päpstliche Mitra zu vereinen:
- unwiderstehliche Hooks für alle
- diverseste musikalische Metalreferenzen aus den 80ern für uns alte Metalheads-Connaisseure
- zum Heulen schöne Melancholie für richtige Teens und die teenigen Überbleibsel bei uns Alten (dazu später mehr)
- optisches Spektakel
- einen Mix aus Ohrwurmmelodien gepaart mit songschreiberischer Raffinesse, wie sie heutige Hitparadenmusik in Zeiten akuter Akkordverknappung leider selten bietet
- wohligen Grusel
- life affirminges Grundgefühl
Eigentlich müsste die Konzertrezension jetzt aus einer Laudatio für jeden einzelnen Song und der dargebotenen Dramaturgie bestehen, aber ich versuche mich am cherry picking, aka meine very personal Highlights. Nach den Uptempo Dreierschlag „Kaisarion“, „Rats“ und „Faith“ kommt mit „Spillways“ einer dieser Übersongs, bei denen man sich wundert, wie die niemand in den 80ern schon geschrieben hat. Und bei aller in-your-face-Eingängigkeit eben so Ghost-Feinheiten wie Tonartwechsel innerhalb des Songs, Dynamikwechsel und klugen Einsatz von Strophe-Bridge-Refrain bietet.
Cirice schafft es tatsächlich, so evil und heavy wie Slayer zu South Of Heaven Zeiten zu klingen und trotzdem ein typischer Ghost-Song zu sein. Das hochwertige Licht und Bühnenbild unterstreicht effektiv die Musik, ohne sie in den Hintergrund zu rücken. Ja es gibt Show, aber viel weniger als manche Kritiker*innen sehen möchten. Papa Emeritus der Dingste wechselt ab und mal die Kopfbedeckung, tauscht Jacke gegen Soutane aus. Die nameless Ghouls an Gitarre und Bass inszenieren ab und an kleinere, humoristische Unstimmigkeiten untereinander. Natürlich ist das alles durchchoreografiert und es bleibt wenig Platz für Improvisation. Aber wer eine Jamband hören will, geht eben zu Earthless.
Über die fantastischen „Hunter’s Moon“, „Ritual“ und „Call Me Little Sunshine“ gehe ich kommentarlos drüber hinweg, einfach so, denn mit „Con Clavi Con Dio“ gibt es einen spooky Höhepunkt. Zu einem der sinistersten Songs der Band schwenkt Emeritus der IV hypnotisch sein Weihrauchfässchen, während das Licht die satanistischen Lyrics aufs grusligste unterstreicht. Entwarnung für besorgte Eltern: Der Satanismus bei Ghost ist bei wie so vielen Bands eher ein Vehikel für spukige Stimmung und kritisch-aufklärerische Inhalte. Bei Ghost zusätzlich immer auch ein wenig tongue in cheek.
„Year Zero“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Der düstere Bombast des Liedes ist auf dem Album eh schon erste Sahne, wenn allerdings live die ganze Halle „Hell Satan“ singt und dann gehen die Flammensäulen auf der Bühne hoch … das ist schon sehr, sehr geil, ich sag’s, wie’s ist.
Ein wunderbarer rührender Song folgt kurz darauf mit He Is. Beim Refrain gehen jedes Mal viele schwarze Fingernägel vor mir hoch und gefühlt vor allem die jungen Leute singen aus ganzem Herzen mit. Klingt aber auch irgendwie so rührend nach coming of age, das Ding. Meint zumindest der noch nicht ganz verschüttete 16-Jährige in mir. Der aktuell-Jährige in mir freut sich beim darauffolgenden „Miasma“ über den Auftritt eines Vorgängerpapstes, der das Saxophonsolo darbietet. Dass ihm gleich anfangs nicht geplant die Mitra runterfliegt, unterstreicht diesen eh schon comichaften Moment.
Höhepunkte sind bei der Dichte und Qualität des gebotenen Materials echt schwierig zu identifizieren. Dass durch die Kombination „Stranger Things + Tiktok“ populär gewordene „Mary on a Cross“ ist so einer. Nach einer recht gewöhnlichen Strophe zieht einem ein einfacher Akkordwechsel vor dem Refrain jedes Mal emotional die Schuhe aus. Genius!
Die emotionalen Schuhe können nach „Mummy Dust“ gleich wieder ausgezogen werden, denn „Respite On The Spitalfields“ schließt das reguläre Set ab. Das bombastische „farewell“ und „we may see each other again“ Grundgefühl im Songfinale richtet einem jedes einzelne Körperhaar auf. Dieses larger than life Gefühl ist schon die ganz große Pop-Schule. Und wenn man dann eh so emotional gebeutelt vom Papst die Abschlussmessage „Be nice to each other and help each other“ gerichtet bekommt, dann wird der eigene zynische Panzer ganz schön brüchig.
Wir bekommen aber noch drei Zugaben, die dann die schamloseste Having-A-Good-Time Seite der Ghost-Musik präsentieren. Emeritus kehrt im Glitzerjacket auf die Bühne zurück, um mit „Kiss the Go-Goat„, „Dance Macabre„, „Square Hammer“ uns drei Songs vor das Büßergewand zu hauen, von denen die letzten zwei locker jeden Eurovision Song Contest gewinnen könnten. In a good way natürlich.
Wenn man bedenkt, dass u.a. so Songs wie „Life Eternal“ oder „Pro Memoria“ es nicht auf die Setlist geschafft haben, wird einem ganz schwindelig, wie gut diese Band eigentlich ist.