SOUNDSYSTEM ROLLOUT, 15.06.2023, contain’t, Stuttgart

Jamaikanische Party- und Clubkultur und öffentliche Förderung – zwei Dinge, die man nicht unbedingt in Verbindung bringt. Ausgerechnet in Stuttgart ist dies passiert, und dass dies sogar eine Logik hat, lernen wir heute hier im contain’t. Beim „Rollout“ des ersten Soundsystems in Deutschland, das sich in kommunalem Besitz befindet (und von Interessierten für Events ausgeliehen werden kann).

Bei der kurzen Info-Veranstaltung erzählt zuerst Julian Warner, künstlerischer Leiter des Übermorgen-Festivals der Kulturregion Stuttgart, wie man in der Pandemie etwas suchte, das auch in der nach-pandemischen Zukunft Kultur in den öffentlichen Raum bringt, dort Gemeinschaft stiftet und niederschwelligen Zugang ermöglicht.

Mit Elmar Jäger, einem der Akteure der international renommierten und aus Stuttgart kommenden Dancehall-DJ-Formation Sentinel Sound, entwickelte man die Idee, eine dieser mächtigen Soundanlagen bauen zu lassen, mit denen in Jamaika bereits in den 1950ern öffentliche Straßenpartys beschallt wurden und die heute fester Bestandteil der weltweiten Dub-, Reggae- und Dancehallkultur sind.

Die Stadt Stuttgart, Mitglied des Vereins Kulturregion Stuttgart e.V. und Financier des Soundsystems, ist durch den Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner vertreten. Dieser betont in seiner Eröffnungsansprache ebenfalls die Bedeutung der kulturellen Bespielung des öffentlichen Raums, bezeichnet die Clubkultur als „Bestandteil der regionalen Daseinsvorsorge“ ¹⁾ und sieht darin auch die „Förderung zur Umsetzung des Unmöglichen“. Als er dann den Bogen zur Platzierung der Interims-Oper an den Wagenhallen schlägt und hier eine Chance der kulturellen Begegnung im öffentlichen Raum sieht, wollen ihm einige der Anwesenden wohl kaum noch folgen, denn für das contain’t und die gesamten restlichen Container der Kulturschaffenden, die dafür weichen müssen, gibt es zwar einen konkreten Auszugstermin noch in diesem Jahr, aber trotz langer Suche noch keinen sicheren Alternativstandort. Dies ist einer der Punkte, die in der anschließenden Podiumsdiskussion thematisiert werden.

¹⁾ Übersetzung aus dem Verwaltungsdeutsch: Daseinsvorsorge = Staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Dienstleistungen, d.h. die Grundversorgung.

Nun erzählt aber erstmal Elmar Jäger die Entstehungsgeschichte des Soundsystems, von der Arbeit mit dem deutschlandweit führenden Spezialisten Jürgen „Blacky“ Becker aka Crucial B, der hier aus feinsten Komponenten und mit viel Handwerk ein wahres Meisterwerk abgeliefert hat. Und dann berichtet er mit brechender Stimme, dass Blacky genau einen Tag vor der Rollout-Veranstaltung verstorben ist. Nach einer kurzen Gedenkpause widmet er dann die Veranstaltung und sein Set dem verstorbenen Freund. Ein sehr ergreifender Moment.

In der anschließenden Podiumsdiskussion, die als Teil einer von neun „About-Pop-Pre-Sessions“ einen Vorgeschmack auf die kulturellen und politischen Diskurse der Popkonferenz am 22. Juli gibt, tauschen sich Nachtmanager Nils Runge, Marco Trotta von contain’t e.V. und Theresa Kern (Clubkultur BW und im Planungsstab Villa Berg) ebenfalls über das Thema „Öffentlicher Raum“ aus. Unter der Moderation von Isabel Thalhäuser werden die Veränderungen und Chancen diskutiert, die die Pandemie mit sich gebracht hat. Die kulturelle, soziale und ökonomische Bedeutung der Clubkultur, aber auch die Veränderungen in der Förderlandschaft, die einige Härten abgefangen und Perspektiven eröffnet haben.

So hat z.B. contain’t eine Förderzusage in erheblicher Höhe, die aber nur zum Tragen kommt, wenn der Verein an einem neuen Standort weiter betrieben wird. Und dieser Standort ist – nach der Besichtigung von 18 Optionen – noch nicht in Sicht. Im Weg steht meistens, und dies gilt auch für die langfristige Perspektive der „Maker City“ im Rosensteinviertel, die Lärmschutzverordnung. Die Anregung, die Stadt möge doch aus den Gewinnen des Verkaufs von Flächen an Investoren eine geeignete Fläche erwerben, verhallt leider ungehört, da die Vertreter der Stadt bereits weitergezogen sind.

Und dann ist es endlich so weit: Sentinel Sound haben die Ehre, die ersten Töne aus dem neuen Soundsystem zu jagen. Und als wir gerade noch denken „Joa, das klingt ganz fein“, kickt der Bass rein und uns klappt die Kinnlade runter. Was für ein monströs druckvoller Sound! Ein zentnerschweres Bassfundament, das die umliegenden Container erschüttert, klare, transparente Mitten und filigrane Höhen ergänzen sich zu einem spektakulären Sounderlebnis, wie es eine Clubanlage nicht bieten kann. Das ist nicht raffiniert räumlich oder irgendwie effektheischend – das ist mächtig, geradlinig und direkt von vorne. Wo immer sich Blacky in diesem Moment befinden mag, dieses erste Lebenszeichen seines Werks muss ihn erreicht haben.

Nach dem einstündigen Dancehall-Set von Sentinel Sound, das genretypisch mit einer schnellen Abfolge vieler Tracks, Samples und Voiceovers das „Massive“ in Bewegung setzt, übernimmt Selecta HeiFi die Turntables, erdet die Crowd zuerst mit etwas Dub, bevor sie langsam, aber unwiderstehlich Richtung Breakbeats und Dubstep aufbricht und letztlich ein amtliches Drum’n’Bass-Feuerwerk abbrennt. Das ist eine absolut souveräne Performance und ich freue mich sehr, dass in dieser sehr männerlastigen Subkultur eine Frau den Ton angibt. Inzwischen ist der Floor jedenfalls bestens gefüllt, alle sind am Zappeln und die Grundlage für eine längere Partynacht ist gelegt. DJ Amy.G.Dala aka Miss Evoice beweist im Anschluss, dass auch House bestens über das Soundsystem präsentierbar ist.

Wir dürfen feststellen: Der Stapellauf des Kommunalen Soundsystems (Hier fehlt übrigens noch ein schmissiger Name, oder?) ist perfekt gelungen. Die Anlage kommt mit allen Clubsounds bestens zurecht und schafft ein Spitzen-Sounderlebnis. Nur mit einem dürfte sie wohl immer wieder Schwierigkeiten bekommen: mit ihrem Endgegner „Lärmschutzverordnung“.

Soundsystem Rollout

Sentinel Sound

Selecta HeiFi