FAMILIE HESSELBACH, 06.05.2023, Merlin, Stuttgart
Selten so viele zufrieden grinsende Gesichter auf der Bühne und im Publikum gesehen. Familie Hesselbach sorgt im Merlin bei allen Beteiligten für überschäumende Laune und das Konzert kann guten Gewissens als durchschlagender Erfolg verbucht werden – keine Selbstverständlichkeit bei einer Band, die ihren kreativen Zenit in der ersten Hälfte der Achtziger hatte und in den letzten Jahren nur noch sehr sporadisch zu Auftritten zusammenfand.
Aus Anlass eines frisch veröffentlichten Doppelalbums mit historischem Material finden sich rund 120 Menschen im Kulturzentrum Merlin ein, darunter etliche Weggefährten und auch die Stuttgarter Konzertblase ist auffallend zahlreich vertreten. Niemand muss sein Erscheinen bereuen, auch wenn die Supportband Die Sache mit ihrem leicht windschiefen Powerpop auf den Spuren der Television Personalities noch nicht so richtig zünden will – vermutlich liegt es nur an der verstimmten Gitarre.
Die Hesselbachs starten dagegen gleich furios mit meinem Lieblingssong „Warnung vor dem Hunde“, der das Programm druckvoll auf den Punkt bringt. Denn Familie Hesselbach entstammen zwar ursprünglich der postpunkigen Kassettentäter-Szene im schwäbischen Südwesten, entfernten sich aber bereits 1982 mit ihrem ersten (und einzigen) Album von den meisten bierseligen Pogo-Stereotypen.
Stattdessen hören wir damals wie heute freigeistige Erweiterungen in Richtung Funk, New Wave, No Wave und Jazz – letzteres ist dem zickigen Gebläse mit Alt-Sax und Trompete zu verdanken. Während die Gitarre pointierte Splitter-Riffs im Gang Of Four-Stil setzt, sorgt die dynamische Rhythm Section für Schubkraft. Vor allem Basser Lupe ist ein echter Funkateer, der den Songs pumpenden Drive verleiht, was dann natürlich an die Fehlfarben, wenn nicht sogar an Chic erinnert.
Aber auch New Yorker No Wave-Bands wie James Chance und die Contortions sind als Vorbilder erkennbar, wie auch britische Art-Punks von Pigbag über Rip, Ric & Panic bis hin zu Mark Stewart und Pop Group. Im gut gefüllten Merlin werden diese erlesenen Zutaten in punkige Tanzmusik transformiert, die heimlichen Hesselbach-Hits perfekt über das Konzert verteilt: „Blut Im Stuhl“, „Mein Fetisch ist der Teetisch“ oder „Rimini“ müssten in einer besseren Welt zum festen Kanon jeder (Post-) Punk-Party zählen.
Wie ein derart kühner und im Nachhinein auch wegweisender Stilmix ausgerechnet im beschaulich-studentische Tübingen entstehen konnte? Familie Hesselbach hat es einfach gemacht und klingt heute genauso frisch wie einst. Namentlich Sänger/Trompeter Gottfried erweist sich einmal mehr als sympathische Rampensau mit coolen Dancemoves und charmanten schwäbischen Ansagen. Textlich bewegt man sich übrigens in souveräner Distanz zum eskalierenden Frohsinn der zeitgleich anderswo stattfindenden Reste der Neuen Deutschen Welle.
Das Ersetzen einer gerissenen Gitarrensaite wird mit der Einspielung eines vom jüngst verstorbenen Keyboarder Handke gesungenen Songs überbrückt – eine ebenso schöne wie unaufdringliche Würdigung. Überhaupt hat man keinem Moment den Eindruck, hier eine Altherrenband bei ihren letzten Runden zu sehen, ganz im Gegenteil verspüren (vermutlich?) alle Anwesenden Spielfreude und Esprit.
Warum gibt es eigentlich kein neues Material, liebe Hesselbachs? Wer beim Konzert dabei war, wird euch garantiert auch ein cooles neues Album zutrauen.
So war’s ein beschwingter Abend mit tanzbarem Postpunk unterschiedlichster Couleur – selbst Veteranen, die schon 1982 live dabei waren, fanden den aktuellen Auftritt super.