FETTES BROT, 02.05.2023, Porsche Arena, Stuttgart

Fettes Brot, Porsche-Arena, Stuttgart

Foto: Ralph Pache

„Papa und Papa und Papa trennen sich“ hatten Fettes Brot Ende August 2022 gerappt und mit dem Song „Weil Brot nicht weint“ das Ende der Band verkündet. Und ich so „F*** meine Band löst sich auf!“, aber im Abspann zum Video standen gleich die Tourdaten für „Fettes Brot … is History“. Der Abschied soll also nicht nur per Videobotschaft, sondern kollektiv zelebriert werden! Und die Fans machen innerhalb von kürzester Zeit die Hallen voll und auch die Porsche Arena ist an diesem Abend ausverkauft.

Zum Ankommen gibt es erstmal schöne Deutsch Rap-Songs von DJ DSL an den Plattenspielern und mit Fünfsternebeginnerblumentopfafrobferris beginnt das Einkuscheln und Abtauchen in die Zeit, als bei den meisten Anwesenden die Hosen noch deutlich mehr baggy waren als hier und jetzt im Jahr 2023. Baseballcaps sind noch ein Ding, Kapuzenpullis mit „Moin“ oder St. Pauli-Print haben diese und andere Rap-Formationen auch hier unten im tiefsten Süddeutschland salonfähig gemacht.

Nach dem DJ-Set und zu Beginn des Stuttgarter Endes von Fettes Brot ist jetzt fast fünf Minuten lang eine übergroße Foto-Show mit den drei Protagonisten Doktor Renz, König Boris und Björn Beton zu sehen. Eins von den gezeigten Bildern hatte ich in meinem Schulordner für die Oberstufe kleben. Der immerwährende Streit mit den Schulfreundinnen, wer von den Dreien denn am Süßesten sei, ist bis heute nicht geklärt.

Schon an den fotografischen Zeitdokumenten zeigt es sich ganz deutlich: Bei Fettes Brot wird und wurde viel aus der Pop-Geschichte zitiert. Musikalisch und optisch sampeln – das macht Hip Hop neben dem Sprechgesang eben aus. Und das obwohl Fettes Brot „ja eigentlich gar keinen so richtigen Hip Hop“ machen, wie ich mehrfach aus meinem Freundeskreis höre.

Fettes Brot, Porsche-Arena, Stuttgart

Foto: Ralph Pache

Der optische Rückblick ist zu Ende und Vorhang (der Geschichte) fällt: Mit „Jein“ und Pauken und Trompeten aus 1996 geht’s los. Auf der Bühne ist ein halber Fischkutter samt Steuerbord- und Backbord-Leuchten zu sehen, darüber eine dicke aufblasbare Möwe, im Hintergrund der Hamburger Hafen. Die Band (Bass, Keyboard, Drums, DJ, Percussion, Trompete, Posaune, Gitarre) ist davor aufgereiht. Der Platz bis zur Bühnenkante gehört meist allen drei rappenden Broten.

Die begrüßen erstmal das Publikum, auch das aus der direkt anschließenden Schleyerhalle, wo die ganze Woche Helene Fischer durch die Luft fliegt (und natürlich dazu singt). Ebenfalls flugfähig lässig in Piloten-Sonnenbrillen, Sweatpants und Sneakers sind Fettes Brot gekleidet. Das braucht es auch für die schwungvollen Choreografien, bei denen auch mit 50 sehr agil das Tanzbein geschwungen wird. „Jetzt können die auch noch tanzen, was können die Typen denn nicht?“ fragt König Boris frech in die Runde.

Das Publikum schwenkt enthusiastisch die Arme und nimmt strahlend den Dank für 30 gemeinsame Jahre entgegen. „Ihr habt einen Traum für uns wahr werden lassen“ wird nicht nur einmal gesagt. Alle sollen „mit einem weinenden und einem blauen Auge“ nach Hause gehen. „Der beste Rapper Deutschlands ist offensichtlich ist“ und „Erdbeben“ sind die nächsten Songs, das Wuhuu aus „Song 2“ von Blur mischt sich dazwischen.

Wer bei der anschließenden La Ola mitmacht (oder auch nicht) wird mit „Rock Mic’s“ vom Album „Fettes Brot lässt grüßen“ belohnt. Der Bass ist während der ganzen Show wirklich mächtig, quasi „immer mit dem Herzen dabei wie Artischocken“.

Fettes Brot, Porsche-Arena, Stuttgart

Foto: Ralph Pache

Es folgt ein kleiner verbaler Rückblick auf die Konzert-Locations, die Fettes Brot in Stuttgart schon bespielt haben. „Wer erinnert sich noch an die Röhre?“ funktioniert im Kessel bekanntlich immer. Dass sie dort mit Terminal Team aufgetreten sind, verhallt aber eher unkommentiert in der Halle (aber die heißen inzwischen ja auch nicht mehr so, sondern sind die Fantastischen Vier). Auch das „Unbekannte Tier“ und das LKA Longhorn sind den drei Hamburgern ein Begriff und im Stadion haben sie auch schon gespielt. (Ob hier das Hip Hop Open gemeint war oder eher ein eigener Auftritt weiß ich nicht so genau.) Es wird auch ein wenig mit dem Drogenkonsum von damals kokettiert und es waren wohl wilde Zeiten.

A propos Drogen und gute Eindrücke: Das Licht ist den ganzen Abend super schick, trotzdem herrlich aufgeräumt, die Kabine des Schiffkutters wechselt fröhlich die Farben mit. Man hat sich für die große Abschiedssause einiges an Beleuchtung gegönnt, aber eben nicht zu viel und das macht richtig was her.

Fettes Brot, Porsche-Arena, Stuttgart

Foto: Ralph Pache

Nach einem kleine Schlagzeug-Solo und immer wieder mit ordentlich Druck von den beiden Blasinstrumenten geht’s mit „Ich liebe mich“  weiter, wobei die Fan-Liebe heute mindestens so groß wie die Fettes Brot-Selbstliebe ist. Auf „Wacklige Angelegenheit“ folgt das The Clash-Cover „Hamburg Calling“ und der DJ schwenkt auf dem Kutter die Fettes Brot-Piratenfahne.

Zu „The Grosser“ zeigt Björn seine original Adidas-Jacke von 2001 und Doktor Renz fragt, ob die inzwischen wirklich 1,8 Millionen kostet? Ja, Hip Hop ist eben auch so ein Markending. Heute Abend ist auf der Bühne alles dabei von den berühmten drei Streifen an der Hose, dem kleinen Känguru auf dem Buckethat, sowie dem kleinen Krokodil und dem aufgestickten kleinen Lorbeerkranz am Polohemd. Am Ende des laufenden Songs wird das Publikum mit Blumen beschenkt. Warum auch nicht, denn die Band verabschiedet sich ja von uns!

Insgesamt ist man als Gast bei Fettes Brot ziemlich mit Mitmachen beschäftigt, aber hier spielt eher keine Band zum Anfassen. Der Graben vor der Bühne bleibt fast ganz leer, es wird nicht crowdgesurft oder sowas.

Mit „Wäre das nicht derbe?“ erzählt Björn Beton nochmal, wie alles angefangen hat. „Für immer immer“ und „Amsterdam“ und „Denxu“ sind Liebeslieder im Fettes Brot-Style. Die Deutsch Rap-Liebe kommt groß raus, als beim Scratchen mit „Ich weiss, das, was ich weiß, das weiß ich“ die Weltkulturerbe-Stiebers aus Heidelberg kurz akustisch anwesend sind.

Fettes Brot, Porsche-Arena, Stuttgart

Foto: Ralph Pache

Bei „Da draußen“ darf die Band noch kurz an Deck des Bühnen-Kutters chillen, dann gibt’s zu „Spitzen Stein“ live Blechmusik mit großer Trommel und Susafon. Erstmal im Norden angekommen, folgt jetzt konsequenterweise „Nordisch by Nature“. Beim anschließenden Song-Texte-Raten wird das Publikum nochmal richtig in die Pflicht genommen. Das hatte ich so zuletzt bei den großartigen Rappern für Kinder „Deine Freunde“ so gesehen – und sehr wahrscheinlich sehr viele von den Mamas und Papas in der Porsche Arena auch. Beim Weitersingen zu Lizzo gibt’s jedenfalls bedauerliche Lücken, den Text von „Call Me Maybe“ hat die Crowd aber genauso am Start wie den von „Twist and Shout“ oder Mitsummen zu „An der schönen blauen Donau“.

Bei „Emanuela“ in einer zündenden Guantanamera-Interpretation wird’s dann für meinen Geschmack etwas zu bierzeltig. Und ein Becher Bier – wenn gleich genauso teuer wie auf dem Frühlingsfest nebenan – ist im „Hallen-Duo“ nach wie vor schwer zu bekommen. Die Gastro scheint immer noch pandemie geplagt, die Schlangen vor der Show waren sehr lang.

Nach „Das letzte Lied auf der Welt“ ist es dann so weit: Der große Abschiedsapplaus erklingt. Fettes Brot sind wirklich übervoll mit Dankbarkeit, das aber ohne Tränen „Weil Brot nicht weint“, das an dieser Stelle nicht fehlen darf.

Fettes Brot, Porsche-Arena, Stuttgart

Foto: Ralph Pache

Der Vorhang fällt: Eine riesige Wand aus Hafencontainern ist zu sehen. Davor wird für den ersten Zugabenblock ein kleines Schlagzeug geschoben, auf dem in Anlehnung an und im Design des New Yorker Punk-Club „CBGB OMFUG“ die Lettern „FBFB Unfug“ stehen. Boris und Martin Doktor Renz hängen sich die Saiteninstrumente um, Björn trommelt. „Jetzt wird gerockt, Pogo tanzen und Unterwäsche werfen ist explizit erlaubt!“ Wie Die Ärzte, nur eben als drei musizierende Rapper kommen Die Brote super schrabbelig daher. „Trotzdem“ und ein Freestyle-Gesang über Stuttgart gibt’s quasi unplugged. Dann verschwinden „Hamburgs Hip Hop Dinosaurier“ und tauchen vor ihrem bereits versteinerten Logo aus Kassette und Plattenspielerarmen wieder auf.

Dass man sich hier produktionstechnisch einiges gegönnt hat, sieht man an dieser Stelle nochmal daran, dass während der Rock-Einlage nicht nur der Kutter in Windeseile von der Bühne verschwunden ist, sondern auch sämtliche kleinen Details, die noch auf das „Bühnenbild“ aus dem Hauptteil des Abends hingedeutet hätten, abgehängt oder verdeckt wurden. 30 Jahre Bandgeschichte bedeuten eben auch immer 30 Jahre (technische) Crew- und Showgeschichte!

„An Tagen wie diesen“ (wohlmerklich nicht mit „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen zu verwechseln), gesanglich unterstützt von Pascal Finkenauer, als einzigem Gast an diesem Abend, holt alle nochmal kurz in die Realität zurück, bevor bei brettharten Versionen von „Bettina“ und „Schwule Mädchen“ wirklich alles aus (und auch an ein zwei Stellen ganz wenig Pogo) ist.

Eine letzte lautes Schiffshorn dröhnt, Fettes Brot – wortgewandt, (nicht nur) witzig, musikalisch on point und für immer unvergessen – is history!
Fettes Brot, Porsche-Arena, Stuttgart

Foto: Ralph Pache

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