KADAVAR, GRAVEYARD, POLYMOON, 21.04.2023, LKA Longhorn, Stuttgart
Das LKA meint es gut mit einem in der KW 16. Zumindest wenn man verzerrte Gitarren mag und den Stil vergangener Dekaden gutheißt. Am Dienstag wurde dem 80er-Metal, heute dem 70er-Rock gefrönt.
Obwohl der musikalische Referenzpunkt ein Jahrzehnt weiter zurückliegt, sind interessanterweise heute deutlich mehr jüngere Menschen anzutreffen als noch wenige Tage zuvor. Mehr Schirmkappen also, einige Kuttenträger*innen tummeln sich aber dennoch. Und es ist noch ein Stückchen voller als schon am sehr gut besuchten Dienstag. Heavy Rock, der late Hund, sells die Tage.
Polymoon heißt der finnische Supportact aus Finnland. Auch wenn sich mir die proggigen Psychedelicrock-Songs beim erstmaligem Hören, zumal im solala Live-Sound, nicht ganz erschließen, trifft es schon sehr meinen Geschmack. Meine Neugier ist geweckt, und die Hörproben am Tag darauf zuhause lassen die Platten der Band gleich mal auf meiner Kaufliste landen. Live Akquise also, genau wie man sich das so denkt als Support.
Optischer Pluspunkt: Wenn schon diese Rockveranstaltungen am Dienstag und heute eine reine Männerangelegenheit auf der Bühne darstellen, dann sind die effeminierten Posen des Sängers eine willkommene Ergänzung zu dem reinen Bro-Treffen. Apropos Posen: Nachdem im Zuge von Grunge, Alternative und Indie sowohl Gitarrensoli als auch große Rockposen in Ungnade fielen, bin ich froh auf das Comeback von Beiden.
Die Schweden von Graveyard waren mir bisher nur vom Namen her bekannt. Wahrscheinlich auch weil sie in diesem Blog schon öfters besprochen wurden, und zwar schon 2011 mit den seligen Motörhead, ebenfalls 2011 als Headliner im seligen 1210, sowie 2012 im Universum (vermutlich ebenfalls selig). Wie die Umbaupausenmusik andeutete, die Band mag den Blues. Natürlich keinen reinen, sondern die Rock-Variante davon. Und zwar die mit dick 70er Patina drauf, so dass sie sogar vorstellbar wäre für musikalisch offene Hot-Rod-Schrauber*innen.
Einige Sachen an dem Auftritt sind für mich bemerkenswert. Da wäre zum Beispiel die enorm große Publikumseuphorie, gerade auch bei den Jüngeren. Hätte ich nicht erwartet, dass die Halle, eigentlich in Gänze, Musik abfeiert, die so hart Retro ist, und in ihrer Detailtreue ein vermeintlich uncooles Genre wie Heavy-Rock mit starken Blueseinflüssen hochleben lässt. Und da sind wir bei der Erklärung gleich am zweiten bemerkenswerten Punkt: Graveyard können was. Viel Dynamik ist bei den Songs im Spiel. Getragene Bluesballaden steigern sich zu mächtigen Refrains oder münden in schnellere, jamartige Parts. Schnellere Rocksongs haben den nötigen Groove und die nötige Hingabe, um nicht als uninteressante Kopie schon anderswo 1000mal Gehörtem unterzugehen.
Originalität ist es also nicht, was den Auftritt so gut macht. Zuhause würde ich mir das eher nicht anhören, da, Blues eben, immer klar ist wo harmonisch der Akkordhase so lang hoppelt. Die Geduld haben meine ADHS-Ohren nicht. Live ist das aber eine runde Sache. Band und Publikum sind nach Abschluss des Auftritts auf jeden Fall zufrieden mit dem jeweils anderen.
Kadavar hatte ich nach dem Auftritt 2013 im, natürlich seligen, Keller Klub und dem Kauf des Debütalbums aus den Augen verloren. Abgespeichert unter: Langhaariges Vollbart-Trio mag Black Sabbath und macht live ganz schön Wellen. Musikalisch dachte ich wird, wie bei so vielen Bands aus der „Stoner“-Ecke nicht viel passieren. Letztes Jahr dann die „Isolation Tapes“ gekauft. Oha, sphärisch-psychedelisches, Eloy statt Black Sabbath. Insofern war ich sehr gespannt wie das live aussehen wird.
Nach dem „All you need love“ Intro betreten die Berliner die Bühne. Optisch ist einiges passiert. Keine langen Bärte und Haare mehr beim Ursprungstrio und ein viertes Bandmitglied ist hinzugekommen. Der Erweiterung des Musikstils findet seinen Widerhall also auch optisch und im Bandgefüge. Der Auftaktsong „All Our Thoughts“ ist mir aber bekannt, da Opener vom Debütalbum. Der Unterschied in Sachen Heaviness zu Graveyard ist gleich sehr deutlich hörbar. Mitreißend vom erstem Ton ist es.
Was danach folgt ist ein Querschnitt der Alben der Band. Also auch den Alben, die ich mir nach diesem Konzert noch kaufen muss. Denn das ist schon ziemlich beeindruckend für mich zu sehen, wie stark die Band gewachsen ist. Das ist nicht mehr die Band, die den Keller Klub mitriss, und jetzt einfach auf einer größeren Bühne steht. Die Musik, die Melodien, das Bühnenacting v.a. von Bassist Bouteloup, Sound, Licht und Bühnenbild, das alles sieht, riecht und schmeckt nach großer Rockshow.
Ähnlich wie bei Graveyard ist es interessant zu sehen, wie Kadavar es schaffen mit ihrer eigentlich nischigen Spacerock meets Proto-Metal so ein großes Publikum zu bespaßen. Dabei schaffen sie es, mehr noch als Graveyard, ihre Retroeinflüsse in etwas noch Originäres münden zu lassen. In einem Set ohne Durchhänger sticht „Die Baby Die“ als letzter Song vor der Zugabe sogar noch heraus. Das ausufernde Cover von Fleetwood Macs „Green Manalishi“ ist die ungewöhnliche Zugabe einer der mittlerweile besten europäischen Rock-Bands.
Neben dem im Text erwähnten 2013er Gigs, haben wir im Archiv noch Besprechungen von Kadavar-Auftritten aus dem Jahr 2012 und 2015. Ein Blick lohnt sich.