EMILÍANA TORRINI & THE COLORIST ORCHESTRA, 22.03.2023, Manufaktur, Schorndorf
Am Samstag bei der dreiköpfigen Punk-Band Shonen Knife kam mir die Bühne der Manufaktur noch riesig vor, heute bei Emilíana Torrini & The Colorist Orchestra ist sie – auf zwei Ebenen – derart mit Instrumenten vollgestopft, dass jeder Quadratmeter weniger das Konzert gefährdet hätte. Das letzte Mal, dass wir eine derartige Materialschlacht gesehen haben, war bei den Einstürzenden Neubauten. (Da enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten.) Die Kooperation der isländischen Musikerin mit dem belgischen Orchester lockt jedenfalls dreihundert Zuschauer in die Manufaktur. Und die haben ein ganz besonderes Konzerterlebnis vor sich.
Die achtköpfige Kapelle um den Drummer Aarich Jespers und den Percussionisten Kobe Proesmans kooperiert seit 2014 immer wieder mit einzelnen Musikern und schafft Neuinterpretationen von deren Werken mit einem ganz einzigartigen Sound. (Sie nennen ihre Methode übrigens „Acoustic Live Remix“ beziehungsweise „Inverse Karaoke“.) Mit Emilíana Torrini ist dies offensichtlich besonders erfolgreich, was sich in der gemeinsamen Produktion eines zweiten Albums – „Racing the Storm“ – manifestiert. Und dieses macht heute auch einen guten Teil des Programms aus. Live wirkt das wesentlich packender, als die Studioaufnahme vermuten lässt. Das Kammerpop-Orchester musiziert so perfekt, variantenreich und rhythmischraffiniert, dass man sich als Zuhörer kaum entscheiden kann, ob man sich in die teilweise fast hypnotische Rhythmik fallen lässt, oder doch lieber dem spannenden Tun auf der Bühne folgt.
Zumal die Band bei aller Virtuosität niemals um des Effekts wegen auftrumpft oder sich gar in Soli verliert, sondern immer der Sängerin die dominierende Rolle überlässt. Und diese füllt Emilína Torrini sehr überzeugend aus. Die Mittvierzigerin mit der mädchenhaft-frischen Stimme wickelt ihr Publikum mühelos ein. Was nicht nur an den eingängigen Songs und ihrer ausdrucksvollen Interpretation liegt. Sie ist auch eine charmante, wenn auch manchmal etwas ausschweifende, Geschichtenerzählerin, die mit ein paar Anekdoten die Hintergründe der Songs beleuchtet.
Ich lasse mich aber trotz der höflich zurückhaltenden Band immer wieder vom Geschehen im Hintergrund ablenken. Ich zähle knapp vierzig verschiedene Instrumente, die von den acht Herren bedient werden. (Respekt für den Kollegen, der dieses riesige Sammelsurium mikrofonieren musste.) Darunter selbstgebasteltes wie eine Sperrholz-Bassdrum oder Ringe ausgemusterter Rototoms, die zu einem Glockenspiel aufgebaut wurden. Aber auch so feine Klangerzeuger wie eine Bassklarinette, Geige, Bratsche, Marimbaphon, Kalebasse oder Spielzeugklavier. Der Sound des Orchesters ist wirklich einzigartig: Trocken und hölzern stehen die Rhythmen und Melodien im Raum, was auch eine große Leistung des Manns am Mischpult ist.
Gegen Ende des Sets drehen Musikerin und Band immer mehr auf. Das dramatische „Lonesome Fears“ – das wie einige andere Titel echte Filmsoundtrack-Qualitäten hat – wird noch von der sehr rhythmischen Interpretation von „Me and Armini“ übertroffen, das in der Originalversion vom gleichnamigen 2008er-Album ein sanfter Pop-Reggae ist. „Jungle Drum“, das Emilíana Torrini etwas zu Unrecht das Attribut „One-Hit-Wonder“ eingebracht hat, gibt es erst in der Zugabe, bevor der Gig mit dem „Wedding Song“ endet. Ein rundum sehr unterhaltsamer Abend mit bravourös aufspielenden Akteuren.
Dass es das Konzert trotzdem nicht auf meine Jahresbestenliste schaffen wird, liegt einzig daran, dass das Songmaterial insgesamt dann doch etwas spannungsarm ist. Das kann auch die spektakuläre Interpretation der Belgier nicht überdecken. Oder anders gesagt: Shonen Knife haben wenige Tage zuvor an gleicher Stelle mit weit weniger Aufwand mehr Begeisterung bei mir ausgelöst. Aber irgendwie ist dieser Vergleich ein bisschen unfair – und genauso subjektiv, wie man sich das als Blogger erlauben darf.
Setlist
The Illusion Curse
Thinking Out Loud
Right Here
Blood Red
Dove
Nightfall
Smoke Trails
Mikos
Racing The Storm
Hilton
Gun
Lonesome Fears
Me And Armini
You Left Me In Bloom
Dreamlands
Jungle Drum
Wedding Song