BLOODYWOOD, 07.03.2023, Im Wizemann, Stuttgart
Ohne den umfassenden Überblick der gigblog-Redaktion über das Stuttgarter Konzertgeschehen hätte man dieses Konzert im Wizemann leicht übersehen können: Bloodywood kommen aus Neu-Delhi und spielen Indian Folk Metal. Da müssen wir natürlich hin! Und zwar gleich zu zweit: Joe als ehemals kuttentragendes, langhaariges Metal-Urgestein, Holger als Fan exotischer Klangwelten und ausgewiesener Hartmetall-Skeptiker.
Heavy Metal ist ja wahrlich nicht mein Ding. Bloodywood haben mich auch eher zufällig über den Umweg der indischen Musik gekriegt. Die treibenden Rhythmen des nordindischen Bhangra, der exotische Sound der Doppeltrommel Dhol in Kombination mit der einsaitigen Tumbi und der typischen Flöte haben mich schon bei der Asian Dub Foundation oder auch beim Bhangra-Hit „Mundian To Bach Ke“ gepackt. Erstaunlich, dass außer Bloodywood bisher niemand auf die Idee kam, traditionelle indische Musik und Metal zu mischen. Denn der Mix funktioniert hervorragend, wie der heutige Abend zeigen wird.
Dass die Band, die mit der parodistischen Interpretation von Bollywood-Klassikern und 90er-Metal-Hits im Hindi-Style begonnen hat, das Thema mit einem Augenzwinkern angeht, ist in der unterhaltsamen Doku „Raj Against the Machine“ zu sehen. „Nine Inch Naans“, der Titel der letzten Tour, und auch der Bandname geben deutliche Hinweise auf musikalische Referenzen und den Humor dahinter. – Holger
Vor Ort spielen sich erst mal lustige Szenen in der beachtlichen Warteschlange ab, denn zeitgleich spielt in der großen Wizemann-Halle Teenie-Idol Makko – beide Konzerte sind ausverkauft und vor dem Eingang drängeln sich sowohl verwegen-langhaarige Metalheads als auch besorgte Mütter mit irritierten Teenies.
Im knackvollen Club wundern wir uns, dass die erwartete indische Community dann doch nicht da ist, stattdessen sieht das Publikum eher nach bodenständigem Wacken aus. Vermutlich, weil Bloodywood beim legendären Metal-Festival anno 2019 als exotischer Farbtupfer richtig abgeräumt haben.
Wir sind also unter echten Fans mit hoher Bloodywood-Shirt-Dichte, als das Konzert mit reichlich Schmackes und beachtlicher Klangwucht beginnt. – Joe
Auch, wenn der Auftritt mächtig startet und das Publikum binnen Sekunden auf Volldampf ist – was zum Teil auch dem resoluten Auftritt des Nu-Metal-Hyperpop-Support-Acts Lake Malice zu verdanken ist – so schnell nutzt sich bei mir der Überwältigungseffekt ab. Songs, in denen die Folkloreeinlagen nicht vorkommen, sind relativ einförmig. Lediglich der spannende Wechselgesang zwischen Jayant Bhadula und dem Rapper Raoul Kerr gibt dem Gehörten eine eigene Note. – Holger
Da meine ohnehin überschaubare Metal-Fachkenntnis spätestens 1987 endet, bin ich mir nicht ganz sicher, ob Bloodywood tatsächlich Heavy Metal spielen. Wenn, dann in der mir eher fremden Nu-Metal-Variante – also weit weg von traditionellem NWOBHM, dafür aber überdeutlich von Rage Against The Machine, Linkin Park, Slipknot und, äh, Beastie Boys beeinflusst. Letzteres, weil der Beat doch recht oft nicht Rock, sondern tonnenschwerer Funk in HipHop-Nähe ist – der sehr präsente Rapper verstärkt naturgemäß diesen Eindruck. Jüngeren Menschen fällt so etwas möglicherweise gar nicht mehr auf. Für Extrawumms sorgt jedenfalls die doppelte Bassdrum, nachhaltig verstärkt durch die beidseitig bespielte Handtrommel. – Joe
Etwas seltsam ist, dass man manche Sounds keinem gespielten Instrument zuordnen kann: Mal erklingt folkloristisch Gezupftes, mal geht das Gitarrenriff gerade durch, auch wenn der Gitarrist Karan Katiyar zwischendurch – sehr eindrucksvoll – zur Flöte greift. Auch kleine elektronische Intros kommen vom Band, wie auch mal ein eingespielter Autotune-Effekt.
Wollen aber nicht allzu kleinlich sein, denn ansonsten gehen Bloodywood mit ganz viel Leidenschaft und Herzblut an ihr williges Publikum. Die Songs ähneln sich dabei doch recht stark, sind sehr funktional aufs Körperliche ausgerichtet. Nach Breaks und Bridges setzt der Powergroove mit nicht zu leugnender Fulminanz ein – was auch bei den anwesenden Gigblog-Glatzen zu (verhaltenem) Kopfnicken führt. – Joe
Meine Erwartungen an meinen ersten Metal-Gig: Langhaarige Typen in Jeanswesten lassen die Köpfe kreisen, wedeln mit üppigem Haupthaar und recken mit finsterer Miene unentwegt das Symbol des Leibhaftigen in die Höhe. (Stimmt auch zum Teil.) Was ich nicht erwartet hatte: Dass Band und Publikum keine Gelegenheit zur gemeinsamen Bespaßung auslassen. Da wird im zweiten Song von der Bühne der erste Moshpit dirigiert. Da wird mitgeklatscht, im Gleichtakt mit den Armen gewedelt und gemeinsam gesungen. Zum ultimativen Höhepunkt ziehen sogar die Instrumentalisten musizierend ins Publikum. Kurzum: Hier wird jedes Register gezogen und das Teenie-Konzert im Nebenraum dürfte sich zumindest hierin kaum unterscheiden.
Die arg plakativen und eher inhaltsleeren Messages gehen in diesem gutgelaunten Tohuwabohu dann auch ziemlich unter.
Letztlich erleben wir eine ausgesprochen kurzweilige und sehr enthusiastische Showband, die ihre exotische Herkunft gekonnt und auch durchaus augenzwinkernd vermarktet – auch wenn ich mir mehr indischen Content gewünscht hätte. Unterhaltsam und anfangs absolut mitreißend, ist eine schweißtreibende Konzertstunde dann aber auch genug.
Epic!! Sehr sehr fresh die neue, gekreuzte gig-blog-Variante „Joelger“.