DREAM THEATER, 15.02.2023, Liederhalle, Stuttgart

DREAM THEATER, 15.02.2023, Liederhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Auf den Tag genau im Jahre 2012 gastierten die Prog-Metal-Urgesteine in der Liederhalle. Wobei der Begriff Urgestein sich für mich etwas komisch anfühlt. Meine Metal-Heydays gingen von 1986-90, Dream Theater gelangten aber erst kurz danach zu Bekanntheit und Blüte. Alles nach 1990 erschienene aber landet in meinem Brain unter “Neue Musik”. Die dysfunktionale Memoryverwaltung in einem Boomer-Hirn, irgendwie noch süß oder schon bemitleidenswert verblödeter Opa? Btw ihr Slacker, schon mal Nirvana gehört?

Wie eigentlich immer, wenn die US-Amerikaner in der Gegend auftreten, ist der Zuschauerzuspruch sehr gut. Die Sitzplätze sind ausverkauft und das Parkett ist gut, aber noch angenehm gefüllt. Publikum meist 50+ würd ich schätzen, traditionell eher sausage fest. Das letzte “Metal”-Event mit mehr Frauen als Männern dürfte wahrscheinlich ein Ratt oder Poison Konzert sometimes in den 80ies in Los Angeles gewesen sein. Kein Vorwurf, nur Beobachtung.

ARION, DREAM THEATER, 15.02.2023, Liederhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Apropos Ratt oder Poison, die Vorband Arion aus Finnland schlägt nach dem eher powermetaligen ersten Stück teilweise ganz schön cheesige Melodic-Metal Töne an. Erster Gedanke: Wäre heutzutage im Eurovision Song Contest nicht fehl am Platz. Und siehe da, kurze Recherche, et voila.

Das nur 30 minütige Set ist sehr kompetent und energievoll gespielt. Bei mir funkt’s aber trotzdem nicht, da die Balance zwischen cheesy Popiness und interessantem Songwriting / Arrangements nicht getroffen wird. Vielleicht ist aber einfach nur die Gitarre zu leise abgemischt. Wie diese Spielart in der Gegenwart noch funktionieren kann, zeigen u.a. Ghost (unoriginelle Meinung, ich weiß) sowie Spell. Aber vielleicht brauchen Arion einfach noch einige Hörversuche auf der heimischen Anlage.

Dream Theater sind dafür bekannt ihre Setlists oft zu ändern und einige unerwartete deep cuts zu bringen. Sehr zur Freude der kompetenten Fangemeinde. Man hat auch nicht die Bürde Konzertbesucher*innen befriedigen zu müssen, die nur wegen früherer Radiohits, welche die Band nie hatte, aufzutauchen. Wer zu Dream Theater geht, ist im Normalfall bestens vertraut mit ihrer Musik und den oft sehr langen Songs.

DREAM THEATER, 15.02.2023, Liederhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Punkt 20 Uhr geht es unter großem Jubel mit “The Alien” vom sehr guten, letzten Album “A View from the Top of the World” los. Mit seinen knackigen zehn Minuten und diversen Momenten, ein recht typisches DT-Stück. Leider fällt es mir aufgrund des Sounds etwas schwer, die Gesangsmelodie nachvollziehen zu können. Ging mir 2012 übrigens ähnlich. Vier Thesen dazu:
– Die Akustik der Liederhalle harmoniert nicht perfekt mit DTs sehr busy Musik.
– James LaBrie hat nicht die durchsetzungsstärkste Stimme.
– Der Soundmixer hatte es jeweils an den Ohren.
– Ich hab’s an den Ohren.
Oder alles vier in der Kombination zusammen.

Beim zweiten Stück “6:00” wird es aber spürbar besser. Vielleicht weil ich das dazugehörige Album seit fast 30 Jahren gut kenne, denke ich. Als später im Set “Caught In A Web” vom selben Album gespielt wird, und ich es trotz auf der Leinwand animierter Riesenspinnen nicht erkenne, verwerfe ich die Theorie wieder. Scheint eher so zu sein, dass bei manchen Stücken die Stimme mehr durchdringt als bei anderen.

DREAM THEATER, 15.02.2023, Liederhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Genug gemäkelt, der Rest ist nämlich riesig. Die Songauswahl ist fast eine komplett andere als bei meinen vorherigen Konzertbesuchen. Die instrumentalen, das überragende technische Können demonstrierenden Momente, sind deutlich reduziert zugunsten einer stärkeren Betonung der songwriterischen Stärken und emotionalen Momente der Musik. Weil, seien wir ehrlich, selbst der straighteste DT-Song bietet immer noch ausreichendes Virtuosentum. Ein visueller Hinweis, dass man mit weniger Solirerei rechnen muss ist das deutlich abgespeckte Schlagzeug von Mike Mangini (dazu im Vergleich wie das 2012 und 2014 aussah). Dieses ist übrigens das ganze Konzert hindurch sehr gut abgemischt, und der Konzertbesuch wäre allein schon dadurch gerechtfertigt sich nur seine Drumparts anzuhören.

Vom Album “Six Degrees Of Inner Turbulence” werden hintereinander “Solitary Shell”, “About To Crash” und “Losing Time / Grand Finale” gespielt. Diese erinnern in dem einen oder anderen Moment an Kansas, die zu Ihren Hochzeiten ja Meister des melodiösen, gut zugänglichen Progrocks waren.

DREAM THEATER, 15.02.2023, Liederhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Gitarrengott Petrucci hat, passend zum gesamten, runtergeschraubten Frickellevel einige Momente, in denen er seine Gitarre mit langgehaltenen Tönen singen lässt, dass einem das Herz aufblüht. Beim wahrscheinlich bekanntesten Song “Pull Me Under” shreddet er allerdings vorschriftsmäßig. Wenn man so will, einer der wenigen Hits des Progmetalgenre, falls es so etwas gibt. James LaBrie hat aber den Song hindurch stimmlich schwer zu kämpfen.

Überfüssiger Schlusskommentar bei einem Zweistunden-Set, das nicht einen einzigen Ausfall in der Songauswahl hatte: Schade dass nichts vom tollen, vorletzten “Distance Over Time” Album gespielt wurde.
…oder vom Debüt “When Dream And Day Unite”,
…oder von “Metropolis, Pt. 2: Scenes From A Memory,
…oder von “Train Of Thought“,
…oder…

Dream Theater

Arion

2 Gedanken zu „DREAM THEATER, 15.02.2023, Liederhalle, Stuttgart

  • 18. Februar 2023 um 19:45 Uhr
    Permalink

    ah ich erinner mich, saß mal vor den Tabs von Pull Me Under ausnem amerikanischen Guitarmag (vorschriftsmäßig im einzigen International Press Outlet am Pforzheimer Bahnhof gekauft) wie vor nem völlig unbegreiflichen Strickmuster…

  • 18. Februar 2023 um 19:49 Uhr
    Permalink

    ziemlich Friedman-artig was der Petrucci da gehäkelt hat

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