MICHAEL PATRICK KELLY, 03.02.2023, Schleyerhalle, Stuttgart

MICHAEL PATRICK KELLY, 03.02.2023, Schleyerhalle, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Eine Fotoakkreditierung für „Die“ Kelly Family oder jeweils ein einzelnes tourendes Mitglied zu erhalten, ist nicht gerade eine sichere Nummer. Meistens haben alle ihren eigenen Fotografen dabei, der für Exklusiv-Material sorgt. Doch nicht heute! Tatsächlich haben Madita und ich es auf die Liste geschafft und dürfen hoch oben auf der Tribüne der Schleyer-Halle im Pressebereich Platz nehmen.

Als wären wir die ersten Journalisten jemals vor Ort, kann uns niemand so recht sagen, welchen Weg wir eigentlich gehen müssen, um dorthin zu gelangen. Auch der fotografische Ablauf ist noch nicht final geklärt, da das heutige Konzert aufgezeichnet wird für eine kommende Live-DVD. Letzten Endes ist der Foto-Slot während des vierten Songs angesetzt. Auch das soll nicht so ganz abgeklärt und strukturiert ablaufen wie gedacht, aber dazu später mehr.

Erstmal beobachten wir zu diversen Songs von Johnny Cash, wie sich die Halle rasch füllt und ein jeder sich in seinen abgeteilten Sitzblock schiebt. Von den oberen Rängen sieht das absolut nach deutscher Maßarbeit aus, wie mit dem Lineal platziert. Ich stelle mir jedes Mal aufs Neue die Frage, warum alle Konzerte von Kelly-Family-Mitgliedern Sitzplatz-Konzerte sind, wo doch sowieso nach den ersten paar Tönen jeder steht und tanzt. Auf das Alter des Publikums lässt es sich nur bedingt schieben, da so ziemlich jede Altersgruppe vertreten ist. So wie auf der Bühne nun bei fast allen Konzerten auch die Kinder mit auftreten, ist auch der Nachwuchs der Kelly-Ur-Fans im Publikum vertreten.

Um Punkt 20:00 Uhr gehen die Lichter aus und ein tiefes Dröhnen bringt die Schleyer-Halle zum Vibrieren. Auch Kelly-üblich: Es gibt keine Vorband. So etwas ist hier nicht nötig, denn sobald Michael Patrick Kelly die Bühne betritt, ist das Publikum stimmgewaltig am Start.

MICHAEL PATRICK KELLY, 03.02.2023, Schleyerhalle, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Die Bühne ist heute sehr clean gehalten, schwarz, glatt, glänzend. Es gibt keine Stage-Props, nur drei große LED-Wände untermalen die Songs. Zu „Diamonds And Metals“ erstrahlen diese in den schwarzen und gelben Farben des aktuellen Albums „B-O-A-T-S“. Ist der Sound zu Beginn noch etwas dünn und höhenlastig, so ist die Stimme von MPK definitiv auf den Punkt abgemischt und glasklar. Und wie unglaublich stimmgewaltig dieser daher kommt und auch die nächsten Songs „Earthquake“ und „Throwback“ lassen die Stimmung ohne Kommunikation mit dem Publikum gewaltig anschwellen. Stuttgart ist da ja fast immer etwas zurückhaltend und schwierig, aber heute sind alle von Beginn an dabei.

Beim vierten Song „Boats“ werden nun die Fotografen abgeholt. Viele Künstler warten die ersten drei Songs, während denen fotografiert wird, gerne ab mit dem Präsentieren des vollständigen Bühnenbildes, Pyroeffekten oder anderen Specials, um dann, nachdem die Presse wieder weg ist, richtig loszulegen. Anders ist das bei MPK, als er auf seinem gelben Boot mit der gelben Flagge schwingend den Titelsong seines Albums präsentiert. Leider zeigt sich die ansonsten akkurat durchstrukturierte Publikumsabwicklung auch hier wieder problematisch, da scheinbar niemand eine Ahnung hat, wohin mit den Fotografen. So werden diese zuerst auf der einen Seite der Halle geparkt und während des einen Songs, bei dem eigentlich fotografiert werden dürfte, dann doch auf die andere Seite der Halle verfrachtet – das ist viel Weg für viel zu wenig Zeit. So bleibt knapp eine Minute, um zu fotografieren, von der Seite der Halle, da der Front-Of-Stage-Bereich wegen Dreharbeiten gesperrt ist. Ich hätte wahrscheinlich geflucht wie ein Rohrspatz.

Zurück zur Musik. MPK verzichtet gänzlich auf Songs der Kelly Family und präsentiert hauptsächlich Songs der letzten zehn Jahre. Bei „Friends R Family“, mit der vieldeutigen Zeile „Friends are the family that you choose“, dringt immer wieder der Verdacht hindurch, dass hinter den Kulissen der Haussegen zumindest zu MPK etwas schief hängt. Doch völlig unbeeindruckt davon zieht MPK alle Register der Pop-Musik und produziert einen Radio-Hit nach dem anderen, wogegen die Kelly Family eher einen Ticken altbacken daher kommt.

Fast zu jedem Song erzählt MPK die dahinterstehende Geschichte, das Schicksal eines Menschen oder Freundes und verleiht so den Songs noch mehr Tiefe, auch wenn mancher davon ohne dieses Hintergrundwissen vielleicht etwas beliebig daher kommen würde. Diese Vorgeschichten sind dem ganzen Konzept des Albums zu verdanken – B-O-A-T-S (Based On A True Story). „Shake Away“ ist auch heute wieder der Abschied von der alten Zeit und der Aufbruch in neue, ungewisse Gewässer. Der Tatsache geschuldet, dass heute gefilmt wird, lässt in so manchem Fan vielleicht die Hoffnung keimen, dass der ein oder andere Gastmusiker mit auftritt, doch weder „Rea Garvey“ bei „Best Bad Friend“ noch „Gentleman“ zu „iD“, hatten scheinbar Zeit, vor die Kamera zu huschen.

MICHAEL PATRICK KELLY, 03.02.2023, Schleyerhalle, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Meine beiden persönlichen Highlights des Abends sind zum einen der Song „Thank You“, der mich immer wieder verstohlen zu Madita blicken lässt, da man genau weiß und fühlt, was MPK mit diesem Song ausdrücken möchte und zum anderen der Song „Home“, bei dem MPK auf seinem gelben Boot durch das Publikum gezogen wird und es von oben so aussieht, als wäre das Publikum die stürmische See, die ihn dennoch sicher in seinen Hafen zurückträgt.

MPK weiß definitiv wie eine große Pop-Show abzuliefern ist und findet dennoch zwischen dieser ausgelassenen Stimmung immer wieder die passenden Momente schwere, melancholische Balladen einzubauen. Für eine Schweigeminute wird vom Hallendach die aus Kriegsschrott geschmiedete Peace-Bell herabgelassen, die daran erinnern soll, dass im Zweiten Weltkrieg viele Kirchenglocken zur Munitionsgewinnung eingeschmolzen wurden und nun wieder zu ihrem friedlichen Ursprung zurückverwandelt wurde. Für den Abschluss dieses Konzertes entscheidet er sich auch beim letzten Song des Abends für den ersten Song, den er nach seiner verrückten Zeit bei der Kelly Family im einsamen Keller des Klosters, in das er geflüchtet ist, komponiert hat. Und mit „Holy“ rundet MPK diesen Abend voller großer Pop-Hymnen und Gänsehaut-Balladen perfekt ab. Mal sehen, ob seine Geschwister da mithalten können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.