STUTTGARTER KAMMERORCHESTER, DANIEL SEPEC: Iron Maiden in Love with Vivaldi, 01.02.2023, Hospitalhof, Stuttgart

Stuttgarter Kammerorchester: Iron Maiden in Love with Vivaldi

Foto: X-tof Hoyer

Obwohl ihre musikalische Verwandtschaft unbestreitbar sind, fremdelt die Klassik ja mit ihrem lauten Bruder, dem Metal. Und das ist im Grunde noch milde ausgedrückt. Man denke nur an die elitäre Unterscheidung von E- und U-Musik: Während die eine „ernst zu wertend“ ist, wird die andere als bloße „Unterhaltungsmusik“ abgetan.

Dankbarerweise wird die Grenze zwischen den Lagern immer wieder überschritten. Das geschah etwa, als die Dresdner Sinfoniker Rammstein unter dem Titel „Mein Herz brennt“ nach den Arrangements von Torsten Rasch als romantischen und neuklassischen Liederzyklus aufnahmen. Andererseits arbeiten immer mehr Metalbands mit Orchestern zusammen, um ihre Stücke mit Orchestrierung aufzuführen. Wohlgemerkt: mit Orchestrierung. Gemeint ist damit keine Orchesterfassung.

Die bekommen wir nun allerdings vom Stuttgarter Kammerorchester für Iron Maiden.

„Iron Maiden in Love with Vivaldi“ präsentiert uns die Briten Seite an Seite mit einem Barockkomponisten. Man befindet sich hier noch in der Zone des zaghaften Vortastens. Einen Abend allein den Iron Maiden zu widmen, ist vielleicht noch sehr mutig. Interessant umso mehr, dass in der Einführung mehr Wert darauf gelegt wurde, Antonio Vivaldi (1678–1741) den anwesenden Metalfans schmackhaft zu machen als umgekehrt Iron Maiden (seit 1975) dem Publikum des Kammerorchesters.
Stuttgarter Kammerorchester: Iron Maiden in Love with Vivaldi

Foto: X-tof Hoyer

Das Konzert begann mit dem ersten Satz aus dem Violinkonzert in e-Moll RV 278  (Allegro molto). Der dynamische Satz ist in weiten Teilen von einem starken Rhythmus getragen, der mal deutlicher in den Vordergrund, mal als tragende Struktur in den Hintergrund tritt. Überwiegend steht die sehr verspielte Solovioline im Vordergrund. Mehrfach, wie in einem Refrain, steigert sich das Stück jedoch in eine von allen getragene, gemeinsame druckvolle Melodie.

Das sind Qualitäten, die sich in derselben Form auch im ersten Iron-Maiden-Titel „Murders in the Rue Morgue“ finden. Dies ist auch der Grund für die Gegenüberstellung der beiden Künstler(gruppen): Der Aufbau auf starken Rhythmen, um welche sich dann jeweils die Melodien schnörkeln, ist beiden gemeinsam. Gleiches gilt für den Wechsel zwischen Parts, in denen die einzelnen Stimmen verschiedenes beitragen, und solchen Parts, in welche sie sich kraftvoll und unisono stürzen.

Um es gleich zu sagen: Iron Maiden klingt auch auf Streichinstrumenten großartig. Trotzdem ist die Übertragung in diese Instrumentierung kein Leichtes. Ein Kammerorchester hat mehr gleich klingende Instrumente (die Streicher nämlich) in unterschiedlichen Klangfarben (Violine, Viola, Violonchello, Kontrabass) als eine Metalband. Andererseits fehlen Klangäquivalente – konkret für das Schlagzeug.

Stuttgarter Kammerorchester: Iron Maiden in Love with Vivaldi

Foto: X-tof Hoyer

Für das Arrangement fand sich – soweit ich das verstanden habe – nach einigem Suchen der Österreicher Bernie Mallinger, der am Abend auch anwesend war. Laut seiner Biografie im Programmheft interessierte er „sich früh für genreübergreifende Sounds“. Und so vielseitig ist auch sein bisheriges Werk. Was er hier an den Stücken von Iron Maiden geleistet hat, ist phantastisch.

Er passt somit auch hervorragend zum Solisten und Leiter des Konzertes Daniel Sepec, der sich als „Hybridgeiger“ bezeichnet. Auch er arbeitet im Bereich der Klassik und in „Crossover-Projekten“, so das Programm. Als Konzertmeister der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen spielte er unter anderem bereits Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ ein.

Die nächsten beiden Stücke waren das Concerto ripiento für Streicher und Basso continuo d-moll RV 128 mit den Sätzen I. Allegro non molto, II. Largo, III. Allegro sowie Iron Maidens großer Hit „Fear of the Dark“. Letzteres ist für die Iron-Maiden-Stücke vergleichsweise dynamisch mit seinem Kontrast zwischen Einleitung und Hauptteil. Vor allem fällt auf, dass es um ein Vielfaches melodischer ist als „Murders in the Rue Morgue“. Und diese Melodien zeigen einen wichtigen Unterschied zu dem, was uns Antonio Vivaldi zeigt: Sie sind langsamer, getragener, griffiger, ja ohrwurmtauglicher, wo Vivaldi verspielter ist. Er ist sogar über weite Teile verspielter als Iron Maiden bei ihren Soli. Umgekehrt sind Iron Maiden auch in der Orchesterfassung in weiten Teilen druckvoller als Vivaldi.

Dass Vivaldi auch druckvoll kann, zeigt sich in den beiden Konzerten aus dem „Vier Jahreszeiten“, die jeweils vollständig gespielt wurden: „Der Winter“ RV 297 und „Der Sommer“ RV 315, Stücke, die ohnehin jeder Metalfan kennen sollte. Interessanterweise gelingt es Daniel Sepec, dass die Solovioline weicher und die ganzen Konzerte dynamischer klingen als beispielsweise in Nigel Kennedys Interpretation, die ich euch verlinkt habe.

Es fällt dabei auch etwas auf, das Daniel Sepec in der Einführung sagte: Die Spielweisen der Streicher unterscheiden sich zwischen den Stücken von Antonio Vivaldi und von Iron Maiden deutlich. Bei ersteren wird der Bogen in den Violinkonzerten immer wieder auf die Seite gesetzt und abgehoben, während sich der Klang entfaltet. Bei den Iron-Maiden-Stücken bleibt der Bogen eher auf den Seiten und stößt permanent den Ton an.

Stuttgarter Kammerorchester: Iron Maiden in Love with Vivaldi

Foto: X-tof Hoyer

Die Besetzung des Kammerorchesters wechselt nur ein Mal anlässlich der Sonate „La Follia“ RV 63, wo die Viola-Stimme nicht gebraucht wird und vier Musiker:innen das Podium kurzzeitig verlassen. Sie besteht außerdem aus je vier Violinist:innen in der ersten und zweiten Stimme, dem dreifach besetzten Violonchello und je einer Person am Kontrabass und am Cembalo.

Zwischen den Konzerten von Antonio Vivaldi hören wir „Phantom of the Opera“, dass sich mit seinen zahlreichen schnellen Läufen perfekt einfügt, sodass man die Frage aufwerfen möchte, warum wir nicht häufiger Metal in klassischen Gewand zu hören bekommen. Und zugleich ist da natürlich noch eine andere Frage, die ich sehr drängend finde: Warum trauen sich Metalbands, die mit Orchestern auftreten, nicht, ihre Gitarren runterzudrehen, zurück- oder ganz rauszunehmen. Zumeist hört man von den Orchestern leider zu wenig und verpasst den Genuss, der uns hier bereitet wird. Ich meine: Es gibt zwei „S&M“-Alben. Und trotzdem wissen wir immer noch nicht, wie Metallica auf Sinfonieorchester klingt.

Stuttgarter Kammerorchester: Iron Maiden in Love with Vivaldi

Foto: X-tof Hoyer

Das letzte Stück im Programm ist „Can I play with Madness“, das mit gleichlautendem Ruf des Stuttgarter Kammerorchesters beginnt und endet. Auf diese Frage kann ich nur antworten: You can. But it isn’t. Wir brauchen mehr Projekte dieser Art – und zwar nicht nur zur Überbrückung kultureller Missverständnisse wie, dass E-Musik zu wenig unterhaltend und U-Musik zu wenig ernst ist. Man sieht es doch daran, wie viele zu der Veranstaltung gekommen sind und begeistert applaudieren. Und man sieht es auch daran, welche Spielfreude Daniel Sepec, Luca Bognár, Irina Simon-Renes et al. ins Gesicht geschrieben steht.

Zum Abschluss der Veranstaltung gibt es noch das Gegenbeispiel: Die lokale Band C. L. Anger zeigt mit allen Attributen von der Kleidung bis zum Humor, wie sich Heavy Metal in seinem natürlichen Habitat anhört. Fraglos gelingt es damit zu zeigen, dass Metal mit Metalattitüde nicht stumpf ist, wie manch einer vielleicht gemeint haben mag. Leider ist die Präsentation der Band mehr als Appendix denn als Schaustück der Sache nicht so dienlich und auch für die Musiker nicht fair, finde ich, weil sie nach dem Aufbruch eines Großteiles des Publikums an den Rand der riesigen Bühne gequetscht wurden. Aber die Anwesenden lassen sich davon nicht verdrießen und haben Spaß.

C. L. Anger nach dem Stuttgarter Kammerorchester

Foto: X-tof Hoyer

Und wir? Wir bekommen noch ein paar fliegende Haare auf Film gebannt.

Stuttgarter Kammerorchester

C. L. Anger

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