URIAH HEEP, 07.12.2022, Liederhalle, Stuttgart
Das hätte ich erst mal nicht gedacht, dass ich mit dem Konzert der britischen Hardrocker Uriah Heep in der Liederhalle die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen habe. Genaugenommen auch nicht wegen der doch recht reifen Band im Karriere-Herbst, viel mehr wegen der Umstände des Konzertereignisses.
Denn diese Konstellation wird wohl zunehmend Standard werden: Popmusikalische Veteranen ziehen ein mitgealtertes Publikum an, denen weder happige Eintritts- und Getränkepreise noch Bestuhlung bis vor die Bühne etwas ausmacht. Au contraire – in diesem Fall ist die Stimmung von Anfang an begeistert, am Ende gar euphorisch.
Als Gigblog-Autor fortgeschrittenen Alters mischt man sich in der Regel ja ungeniert unter teils deutlich jüngere Leute, hier bin ich tatsächlich mal (knapp) unterm Altersdurchschnitt. Das Publikum besteht überwiegend aus gutbürgerlichen Ehepaaren, kleineren graubärtigen Männer-Cliquen und nur ganz wenigen genretypischen Kutten-Trägern. Das Foyer ist passenderweise mit Plakaten von Status Quo und Barclay James Harvest gepflastert
Als milde sentimentaler Hardrock-Nostalgiker freue ich mich auf einen unkomplizierten Abend mit bodenständigen Rock-Hymnen und dem einen oder anderen Bierchen, bin zum minutengenauen Konzertbeginn aber erst mal nachhaltig geschockt. Keine Getränke im Auditorium, Komplettbestuhlung im Parkett und dann auch noch eine Band, die es sich im Sitzen gemütlich macht und ohne jede Bühnendeko ausschließlich akustisch spielt – auch Sänger Bernie Shaw agiert vom Barhocker aus.
Der firmiert nach diversen Personalwechseln in den frühen 80ern bei mir ja immer noch als „der Neue“, ist aber bereits seit 36 Jahren die Stimme von Uriah Heep. Letztes Originalmitglied ist der knuffige Mick Box, dem man seine 75 Jahre keinesfalls anmerkt. Kurioserweise steht das Konzert ja unter dem Motto „50 Years of Uriah Heep“, dabei ist die Band schon seit 54 Jahren im Geschäft. Vermutlich touren sie damit auch noch die nächsten Jahre, inklusive launiger Video-Einspielungen von musikalischen Weggefährten, die der Band zum Wiegenfest gratulieren.
Beim dritten Song „Free Me“, ihr Radio-Hit von 1977, reißt es dann zunächst die anwesenden Damen aus den Sitzen, die Herren ziehen munter mit, es wird mitgeklatscht und lauthals mitgesungen. Für den irritierten Rezensenten Anlass, sich mit dem Gigblog-Fotografen im Foyer zum Bier zu treffen und das 50-minütige Akustikset aus der Distanz zu erleben – unüberhörbar gekrönt von „Lady In Black“, zu Recht eine Ikone des klassischen SWR1-Rock. Das Publikum ist begeistert und in der halbstündigen Pause gönnt man sich Sekt an Stehtischchen.
Nach der Pause fällt sogleich der Vorhang und hinter den nun stehenden Frontmännern eröffnet sich ein klassisches Hardrock-Setting mit Boxentürmen und effektvoller Beleuchtung. Und hui, plötzlich rockt der Hegel-Saal ganz gewaltig. Denn jetzt zünden Uriah Heep die härteren Klassiker ihres Repertoires – und zwar richtig überzeugend. Shouter Shaw gibt den markigen Heldentenor mit Funk-Mikro im Revolverhalfter, oft gekonnt mehrstimmig von den Kollegen unterstützt. Drummer Russell Gilbrook ist ein dynamisches Kraftpaket mit durchschlagendem Punch. Keyboarder Phil Lanzon kann auch stimmlich glänzen, im Mittelpunkt steht aber meistens der kleine Mick Box mit weißer Matte und schwarzer Gibson Les Paul.
Er macht einen topfitten Eindruck und hat erkennbar Spaß an der altmodischen Rockshow mit den gängigen Posen. Da Uriah Heep nun wirklich reichlich Hits im Programm haben, erweisen sich diese weiteren gut 90 Minuten doch noch als das erhoffte rocknostalgische Spektakel. Bei älteren Nummern wie „Gypsy“ und „Return To Fantasy“ hält es kaum mehr jemand auf den Sitzen, beim finalen „Easy Living“ erst recht nicht. Übrigens fällt auf, dass Ü-60er im Publikum mindestens genauso hartnäckig mit den Handys filmen und fotografieren wie die jungen Leute.
Der Rezensent ist also versöhnt und hat zwei Konzerte zum Preis von einem erlebt. Punktabzüge gibt es allerdings für die Liederhallen-Gastro: Dass es gerade bei Musik, die symbiotisch mit Bierdurst verbunden ist, ab 22 Uhr – und damit fast eine Stunde vor Konzertende! – nichts mehr zu trinken gibt (gar nichts), ist schon arg aus der Zeit gefallen und zeugt von beamtenhafter Rock’n’Roll-Verachtung. Ansonsten ist es ein doch noch vergnüglicher Abend geworden – vermutlich exemplarisch für viele Rockkonzerte der kommenden Jahre. Denn Bands und Publikum altern gleichermaßen – und die Nachfrage nach Livemusik ist erfreulicherweise da, wächst vielleicht sogar auch weiter an. Vermutlich bin ich nicht der einzige im Gigblog-Team, der auch als Rentner dem Konzertvergnügen treu bleiben will.