DIE NERVEN, ZWEILASTER, 15.11.2022, LKA, Stuttgart
Einen Konzertbericht von den Nerven in Stuttgart zu schreiben ist aus vielen Gründen eine relativ sichere Bank, auch wenn ich mich musikalisch oft ganz woanders rumtreibe. Deshalb wage ich einen eher steilen Stunt, und zwar den Einstieg über Kendrick Lamar. Der Rap-Superstar hat im Oktober in Stuttgart gespielt, und die Schnittmenge einer gewissen Bubble im Publikum war überraschend groß. Und so gab es während des Auftritts der Vorband Zweilaster, die ja einen gewissen Kultstatus besitzen, mich als Unwissenden jetzt aber nicht soo überzeugen konnten, vor allem ein großes Hallo unter allerlei musikwissenden Online- und Offline-Bekanntschaften doch eher gesetzteren Alters.
Und dann geht es im mit an die 800 Leuten sehr gut gefüllten LKA los, und wie. Mit der Ode „An die Freunde“ von Schiller mit der Vertonung von Beethovens 9. Sinfonie vom Band (Infos natürlich von Wikipedia). Nicht ohne Grund oder nur für den Effekt, sondern weil das (die Instrumentalversion) die offizielle Europahymne ist und die Band direkt danach mit „Europa“, dem Opening Track des aktuellen Albums „Die Nerven“, wie ein Donnerschlag das Konzert eröffnet. Gefolgt von „Ich sterbe jeden Tag in Deutschland“ und „Keine Bewegung“. Und so merkt man schon nach den ersten drei Songs, wie sich Die Nerven in den letzten zwölf Jahren ihres Bestehens von sehr gut zu unfassbar gut entwickelt haben, nicht nur auf den Longplayern, sondern auch live.
Auch ohne sich näher mit Rockmusik oder der klassischen Besetzung aus Bass, Gitarre und Schlagzeug auszukennen, spürt man die unglaubliche Qualität des Trios. Atemberaubende Tempiwechsel, schockartige Wechsel von Lärm zu fast kompletter Stille und zurück und eine Soundwand bis in die letzten Reihen schaffen nur Musiker, die ihre Instrumente perfekt beherrschen und perfekt harmonieren. Oder wie es ein Gig-Blog-Kollege formuliert hat: „Das sind halt Punks aber auch Musiknerds“.
Star des Abends ist, für eine Rockband ja eher untypisch, Drummer Kevin Kuhn – nicht nur für seine Gesangseinlage bei der Motörhead-Hommage „Ace of Spades“, sondern auch als Dirigent der halb improvisierten Breaks und Übergänge.
Mit am meisten hat mich die Schnörkellosigkeit begeistert – keine Effekte, keine Show, keine bedeutungsschweren Ansagen, sondern drei Jungs, die brutal Bock haben und es bei aller Nerdigkeit und inhaltlichen Tiefe schaffen, große Gesten mit absoluter Symapthie und Authentizität zu verbinden.
Ein Abend ist dann besonders toll, wenn man Großes erwartet und Großes bekommt.
Sehr schön:
Die Nerven feat. RTO Ehrenfeld – „Europa“ | ZDF Magazin Royale
https://www.youtube.com/watch?v=eqZU70jLXnc