MODERAT, 12.11.2022, Wagenhallen, Stuttgart
Nach 2014 und 2016 behämmern Moderat wieder unsere Trommelfelle. Im Flight Case dabei: das Grab Das Lebenszeichen des unbekannten Techno-Clubs in Berlin. Hart, aber furios, und sieht dabei so gut aus.
Samstagabend, ein altes Bahngelände, umgenutzte Hallen, weit weg von der Innenstadt, lange Schlangen vor dem leuchtenden diskokugelbehängten Eingang. 24 Uhr, harte Tür vor dem Berghain? Nein, Innerer Nordbahnhof, Wagenhallen, 20 Uhr, aber auch harte Tür, weil Zugang nur mit Ticket, und die sind seit Monaten ausverkauft und wurden dreistellig gehandelt.
Moderat, die perfekte Symbiose aus kalter, Berliner Club-Musik, geklöppelt von Modeselektor (Sebastian Szary und Gernot Bronsert), und warmer Stimme, gesungen von Apparat (Sascha Ring) bilden nach wie vor die Grundlage für den perfekten Elektropop der Zehnerjahre. Das neue Album „More D4ta“ vom 13.05.2022 ist clublastiger geworden. Es wird mehr geklopft und geklappert als früher. Vielleicht auch eine Reaktion auf Corona: Clubs geschlossen, die drei Berliner können sich nicht austanzen, Ersatzhandlung Technoplatte.
Punkt 20 Uhr: Der französische DJ Sylvere, auch auf Modeselektors Monkeytown Records verlegt, eröffnet den Abend mit schnörkellosem Mid-Tempo-Dancehall-Reggae, der sich bis zum Ende seines Sets leicht beschleunigt. Basisarbeit für die geschätzten 2.000 Normalo-Hipster und Techno-Heads, die überwiegend zwischen 30 und 40 sind.
Punkt 21 Uhr: Moderat drückt auf Start und lässt die Beats und Bässe auf uns los, die formatfüllende LED-Wand zuckt. Gestartet wird mit dem stimmungsvollen Siriusmo Remix von Eating Hooks. Wie cool: Moderat finden also die Bearbeitung ihres eigenen Tracks von Siriusmo so gut, dass sie es zum Opener machen, ein furioses Intro. Oder emotionaler formuliert:
Lekk mich phaett, geht das hier up!
Wie bei den vergangenen Shows wieder begeisternd: die LED-Visuals. Sich langsam bewegende Linien, die verdichten, Datenreihen im ASCII-Code, die Piktogramme bilden, animierter Beton (ja, richtig gelesen), der über die Leuchtwand wandert und platzt. Obwohl die Technik Kinofilme abbilden könnte, bleibt es durchgängig bei abstrakten, grafischen Elementen, präzise abgestimmt auf die Musik. Die Lichtinszenierung nutzt die volle Tiefe der Wagenhallen. Das ist hochästhetisch, sehr elegant und zeugt von bestem Gespür für Gestaltung.
Das schneidende Licht und die penetrierenden Schläge sind auf Dauer ganz schön anspruchsvoll, wenn nicht sogar belastend. Techno eben, aber geprägt vom Modeselektor-Style: Gefühlt hat jeder Takt 512 bis 1024 kleinste Claps, Cuts, Clicks, High Heads, Cow Bells, Brazzelts, Kritzels, Tröppflz, Knatters, Ticks, Tricks und Tracks. Oder anders umgerechnet: Jedem blinkenden LED-Licht der Rückwand wird ein perkussives Element zugeordnet.
Dem gegenüber bleibt Sascha Rings warmer Gesang heute Abend seltsam dünn und verstärkt dadurch ungewollt die technoide, die clubbige Performance. Es scheint, als wäre die Ausschallung der Line Arrays, der Lautsprecherbananen, nicht ganz gelungen, obwohl der Verfasser des Artikels in der Mitte direkt vorm FOH, vor der Tontechnik, stand.
Oder anders interpretiert, angelehnt an das neue Album: Moderat wollen an einem Abendkonzert alle verlorenen Clubnächte der Coronazeit wieder aufholen und ballern das Publikum dicht mit Überwältigungstechno.
Im Zugabenblock finden Geklapper und Gesang, Strenge und Wärme wieder in gewohnter Stärke zusammen und Sascha singt den Song „Bad Kingdom“ zusammen mit dem seligen Publikum:
This is not
What you wanted
Not
What you had in mind
Naja, so weit sollte man nicht gehen, wir haben das schon alles so gewollt 😉
Zum Ausklang wählt Moderat mit dem Track „Intruder“ den Psychedelic-Exit: Sascha produziert mit der E-Gitarre eine Feedback-Walze, die Beats überholen sich selbst, der ganze Saal wird in ein mäandrierendes, minutenlang anhaltenden Crescendo getaucht, und bricht dann plötzlich ab. Einmal Trommelfell neu beziehen, bitte.
Setlist:
Eating Hooks (Siriusmo Remix)
Running
NEON RATS
Abandon Window (Jon Hopkins cover)
Reminder
MORE LOVE
Animal Trails
UNDO REDO
Last Time
Ghostmother
A New Error
FAST LAND
EASY PREY
Les grandes marches
No. 22
Encore:
Milk
Bad Kingdom
Intruder
Danke für das Review, insbesondere der Part zur nicht-gelungen Ausschallung muss ich leider zustimmen. Der Set von Moderat war, wie die Effekts, sehr präzise abgestimmt, der Sound in meinen Augen jedoch wirklich eine Enttäuschung. Wenig Tiefe, teilweise blechig und schlichtweg auch nicht laut genug. Schade um die gute Musik, da hätte ich mehr erwartet.
Ich stand im vorderen Drittel, also laut genug war es dort schon, nur nicht ausgewogen.
Und wenn es da nicht hinhaut mit dem Sound, dann muss er anderswo eher schlechter/schwächer gewesen sein.