MINE, 18.10.2022, Im Wizemann, Stuttgart

Mine, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

„Schduddgard, es war mir ein Feschd!“ So verabschiedet sich hochvergnüglich die Berlinerin Mine, die, in tiefrotem Licht getaucht und bedrohlich trommelnd, den Abend mit der Punch-Line „Wer starrt hungrig auf den Tisch?“ im Wizemann eröffnet – eine Gefühlsreise folgt: pur, echt, offen, verletzlich, zugewandt, mutig, großartig. Der Reihe nach.

Madanii, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Um Punkt 20.00 Uhr steht auf einmal die grünbejackte Madanii, ausgestattet mit Touchscreen zum Abrufen von Sequenzen, mit Kopfhörer und Mikro auf der Bühne. Minimale Beats, Trap-Gezizze, leicht orientalisch angehauchte Klanggebilde, ihr R’n’B-Gesang in einer fremden Sprache. Das sei Farsi, also persisch, erklärt sie, herkunftsbedingt. Ihre weiteren Songs sind in englischer Sprache, Inhalte sind für mich nicht leicht zu verstehen.
Sie lobt das Mine-Publikum als eines der nettesten und sehr bemerkenswert ist tatsächlich die gespannte Aufmerksamkeit, die Madanii – als Pre-Act – entgegengebracht wird. Aus Solidarität zu ihren Landsfrauen im Iran bringt sie das Publikum dazu, den Kampfspruch der Hidschāb-Proteste, so gut es klanglich geht, gemeinsam schlachtzurufen:

Jin, Jiyan, Azadi – Frau, Leben, Freiheit

Ihren letzten Track singt sie wieder in persischer Sprache, das hat einiges mehr Stärke. Mit dem scharfgestellten Vocoder singt sie um zwei Töne herum, sodass ihre verzerrte Stimme wie ein orientalisches Blasinstrument klingt, richtig cooler Farsi-Trap, aber da ist ihr Auftritt schon wieder zu Ende.

Es folgt: Jasmin Stocker aus Geradstetten, Remshalden, Jazzgesang an der Hochschule für Musik Mainz, Popakademie Mannheim, Berlin, jetzt: Mine die Große.

Mine, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Zu fünft trommeln sie im roten Licht zur Dramatisierung von „Unfall“:

Die Welt ist ein Unfall
Wo soll ich anfangen
Die Welt brennt

Dann werden schwarzweiße Projektionen auf die in die Bühnentiefe sich verengenden, drei weißen Vorhangportale geworfen. Effekt: Tiefenwirkung, visuell wie emotional. Im nächsten Song „Hinüber“ heisst es:

Das Meer ist aus Plastik
Der Hunger ist groß

Ein wuchtiger, aufrüttelnder Einstieg ins Konzert, in Mines Welt. Mine ist in weiß gekleidet, so wie ihre drei Männer (Gitarre, Keyboard, Schlagzeug) und ihre Frau (die Vroni am Background-Mikro und am Bass). Damit werden sie Teil der Projektionslandschaft, es sieht eindrucksvoll aus.

Mine schaut genau hin, auf all die Themen, die uns und unsere Gesellschaft betreffen. Sie erzählt im Song „Du Kommst Nicht Vorbei“ vom Tod ihrer Mutter, von einem schlimmen Streit mit ihrer Freundin („Mein Herz“), von Mobbing in der Schulzeit („Tier“), von verpasster Liebe („Elefant“) und von schlechtem Musikgeschmack: für „Audiot“ textet extra Dexter (3 „x“ in 3 Worten) auf der Bühne, eine von Mines gefühlt 100 Kollabo-Kollegen:

Du magst scheiße doch es ist schon okay
Es ist so okay es tut niemandem weh
Nur ich kanns nicht verstehen

Mine, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Die obige Aufzählung scheint einen schwermütigen Abend zu beschreiben – dem ist jedoch ganz und gar nicht so. Mine hüpft, tanzt, lacht und singt und versichert, dass sie speziell heute Abend besonders Bock hätte und dass sie so dankbar sei, vor so vielen Menschen in Stuttgart spielen dürfe. Bei ihrem ersten Stuttgarter Auftritt im Zwölfzehn (ja, dem Zwölfzehn) wären gerade einmal 30 Leute da gewesen, wahrscheinlich genauso viele wie heute allein ihre Verwandt- und Bekanntschaft aus dem Remstal stellt.
Mine hat Spaß an der schwäbischen Publikumsansprache. Für das Intonieren des Gesangsloops für „Hinterher“ werden wir angewiesen:

„Ihr müsst kurz still sein… Schpiddse, Schduddgard“.

Zum fröhlichen Popsong „Eiscreme“ wirft sie Eis am Stil ins Publikum. Very cool, im wahrsten Sinne…

Mines komplexe Popklangkunst überzeugt, noch mehr überzeugt mich ihr Charisma, ihre Art: pur, echt, offen, verletzlich, zugewandt, mutig, großartig. Oder mit den Worten der auftretenden Künstlerin: „Doch das Drama fühlt sich real an“.
Das ausverkaufte Wizemann feiert Mine, die Identifizierung zwischen Publikum und Künstlerin und andersherum scheint fast greifbar. Schwäbisch gelobt: Des könnet au net älle.

PS: Mine ist Klangfetischistin. In ihrer losen Instagram-Reihe „Sweete Instrumete“  stellt sie eben diese mit Verve und Liebe vor. Letzter Eintrag: Teil 14, die Sansula.

Die Setlist
Unfall
Hinüber
Bitte bleib
S/W
Du kommst nicht vorbei
Tier
Hinterher
Bitter
KDMH
Audiot
Elefant
Einfach so
Katzen
Mein Herz
90 Grad

Encore:
Eiscreme
Spiegelbild

Mine, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Mine

Madanii

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