ABOUT POP Konferenz & Festival, 23.07.2022, Im Wizemann, Stuttgart
In den letzten Wochen kam man bei der Vielzahl der Plakate in der Stadt kaum daran vorbei, am vergangenen Samstag fand das vierte About-Pop-Festival statt, die gleichzeitig auch die vierte About-Pop-Konferenz war. Das Popbüro der Region Stuttgart hat einmal mehr ein umfangreiches Tagesprogramm auf die Beine gestellt – Konzerte, Diskussions-Runden, Lesungen, Workshops und die ein oder andere Hybrid-Form ließen das Programmheft zu einem beeindruckenden Umfang gedeihen. Um es gleich vorab offen zu kommunizieren – es gelang uns, nur einen bescheidenen Auszug dieses vielfältigen und spannenden Programms zu besuchen, zu verlockend waren der angenehm luftige Außenbereich und die zahlreichen Begegnungen im Laufe des Tages und am Abend, sodass sich der Blick auf die Konzerte fokussierte und die Panels dann doch eher außer Acht ließ. Falls es die Ein oder der Andere nicht bis zum Ende des Artikels schaffen sollte, sei an dieser Stelle schon gesagt: Geht unbedingt zur About-Pop-Konferenz 2023!
Das erste besuchte Konzert des Tages – leider noch ohne Bilder – war Cali. Aufmerksamkeit zog sie mit der Band „Zirkel“ und als Bassistin des „Peter Muffin Trios“ auf sich, nun hat Cali Lust ihr eigenes Projekt voranzutreiben und präsentiert dies zum ersten Mal im „Studio“ des Wizemann Areals den gespannten Anwesenden. Sie hat sich Paul Schwarz an den Drums dazu geholt und zu zweit zeigen sie, was uns da in der nächsten Zeit erwarten wird: Calis Bass ist immer wieder angereichert mit verschiedensten Effekten, teils wummernd, kratzig bis hin zu einem vernehmbaren Orgel-Sound; dazu Texte auf Deutsch, Englisch und Französisch. Die beiden ergänzen sich gut, die Songstrukturen sind nicht einfach, aber erzeugen einen Sog, bei dem ich immer wissen will, wie es weiter geht und nie das Gefühl habe zu wissen, was als nächstes kommt. Was aber hoffentlich bald kommt, sind mehr Auftritte von Cali.
Der einzige Talk, dem ich heute (auch nur teilweise) beiwohne, hat das Prinzip der „Playtime“ als Ausgangspunkt und geht der Frage nach, was unser Hören beeinflusst und welches Hören die Popmusik beeinflusst. Auf der Bühne befinden sich die Moderatorin Isabel Thalhäuser von „Fragmente Deutschland“, der Autor Tobi Müller sowie Duc-Thi Bui und Marc Engenhart von den „Playtime Album Sessions“, bei denen an unterschiedlichen Orten komplette Alben gehört werden. Marc Engenhart stellt die These in das Foyer, dass sie die Bürgerlichkeit des Album-Hörens (zudem noch auf Vinyl) aufbrächen, indem sie das bei der Playtime an einem Ort wie z.B. einem Kino machen würden, wo das Abspielen im Vorführraum, also nicht sichtbar, stattfindet. Ob durch den Ortswechsel allein schon diese Bürgerlichkeit schwindet, würde ich schon bezweifeln. Dass dies aber passieren soll, indem ich einen weiteren Ort einer vornehmlich bürgerlichen Kultur damit bespiele, das kommt mir dann doch seltsam vor. Wäre es dann nicht konsequenter, ganz andere Orte zu bespielen? Und ist es nicht der größte Ausdruck an Bürgerlichkeit zu denken, man müsste die Bürgerlichkeit künstlich aufbrechen?
Ortswechsel zurück ins Studio zum Auftritt der Band „Temmis“. Die Band aus Tübingen gewann 2021 den „Amplified Bandcontest“ und nahm daraufhin ihre erste EP in Hamburg auf und wenn die ein oder andere günstige Konstellation es ergibt, haben sie auf jeden Fall alle Voraussetzungen auf deutlich größeren Bühnen zu stehen und das Publikum so zu begeistern wie an diesem Nachmittag. Der Sound ist eine Mischung aus Postpunk-Elementen und an Pop-Rock der 80er erinnernde Melodien, mit Themen, über die heute vielleicht eine Spur weniger verklausuliert in Musik, die nicht düster klingt ist, gesungen werden kann und die beim Publikum auf Verständnis oder eigene Erfahrungen treffen – Depression, Identität, Herkunft. Das alles wird getragen von einer beeindruckenden Eingespieltheit und garniert von der einnehmenden Bühnenpräsenz des Sängers. Das Publikum schwitzt, tanzt und feiert – die Entdeckung des Festivals.
Mit Bühnenpräsenz spart auch die französische Künstlerin Eugénie in keiner Weise. Begleitet von den Backingtracks, die von ihrem, in einer durchsichtigen Umhängetasche befindlichen, Discman stammen, singt sie über das Verlassenwerden oder die Beziehung zu ihrer Mutter und andere schwierige, persönliche Phasen ihrer letzten Jahre. Dabei erinnern die Songs in Bezug auf die Beats und das Timing manchmal an den Sound einer Billie Eilish mit dem Unterschied, dass Eugénie an manchen Stellen in für diesen Stil ungewohnten Höhen singt und es insgesamt etwas mehr in Richtung R’n’B geht. Mit dieser Stimme ist dann auch jede Ballade verzaubernd, bei denen der Discman gegen ein Stage-Piano getauscht wird.
Es geht weiter zu „Fo Sho“, Rap aus der Ukraine bzw. momentan (leider!) Schwieberdingen. Die beiden Schwestern, die eigentlich zu dritt unterwegs sind, bestechen durch punktgenaue Rap-Passagen und tolle Gesangsstimmen. Das fällt insgesamt an den bisherigen Acts vielleicht am meisten auf: Oft werden verschiedene Elemente verschiedener musikalischer Richtungen sehr selbstverständlich genutzt und damit ganz individuelle Sounds kreiert, die wagen, in dieser Zusammensetzung in neue Richtungen zugehen, ohne die eiflussgebenden einzelnen Elemente verstecken zu wollen oder krampfhaft etwas ganz Neues machen zu müssen. „Fo Sho“ rappen auf Ukrainisch und Englisch und wie das klingt, kann man sich auf diesem Mitschnitt vom Europavox-Festival auf Arte anschauen.
Es ist mittlerweile Abend und die schwindende Aufnahmefähigkeit macht sich dadurch bemerkbar, dass die Verweildauer bei den Auftritten stetig abnimmt, so auch bei Konstantin Unwohl, der für „School of Zuversicht“ einspringt. Unwohl steht hinter einem Werkstatttisch, darauf ein Aufbau von Apparaten, Steckern, Kabel und Steckdosenleisten. Was daraus zu hören ist, ist veritabler Elektro-Sound, der mit extrem halligem und für mich nicht verständlichem Gesang angereichert wird. Für den einen oder anderen Sound wird zusätzlich die Gitarre genutzt. Die Gesangsmelodien wirken zwar unterkühlt, machen die ebenfalls kühl wirkende Musik nahbarer.
Weiter zu den “Gigolo Tears“. Die drei Musikerinnen – Gesang, Bass, Synthi, Backingtracks – wirken sehr hoffnungsfroh, wobei ich das aufgrund der Texte kaum sagen kann, denn die verstehe ich leider kaum. Das kann aber auch an dem Hinweis der Sängerin liegen, dass der Sound vor der Bühne gerne „bassiger und lauter“ sein dürfe. Lauter und bassiger wird es dann auch, aber dafür weniger organisch im Gesamtsound. Vergleiche sind natürlich immer schwierig, aber im Vergleich zu Temmis oder Eugénie sind auch die einzelnen Beats und gesamten Songs weniger organisch.
Ich nutze den Außenbereich für weitere Getränke und Gespräche, bevor es zu „Lostboi Lino“ geht. Einige Fans versammeln sich direkt vor der Bühne, auf welcher der „in den Vororten dieser Welt“ (Pressetext) aufgewachsene Lino zusammen mit einem Schlagzeuger seine Songs präsentiert. Ehrlicherweise sind diese mir persönlich, trotz der Rap-Parts, zu sehr am Deutsch-Pop der Zehnerjahre orientiert. Genauso abrupt wie die Songs aufhören, geht es wieder nach Draußen, wo ich selbst nach Stunden noch bekannte Gesichter entdecke und sich immer wieder kleine Gruppen in neuen Konstellationen bilden. Allen sind zunehmend die Hitze und die vielen neuen Eindrücke anzumerken und so ist es ehrlicherweise nur dem Schwärmen unseres Fotografen Schmoudi zu verdanken, dass ich mich für einen letzten Auftritt in voller Länge in den spärlich besetzten Wizemann-Club begebe.
„Gewalt“ sorgen für den wohl größten Gegensatz zum restlichen Programm des Festivals. Ein Highlight für alle Liebhaber*innen von Stroboskopen und stakkatohafter Gitarrenmusik. Die Backingtracks spulen unbarmherzig vier bis sechs Minuten den jeweiligen Beat ab, Helen Henfling und Jasmin Rilke spielen unbarmherzig ihre Seiten und Sänger Patrick Wagners Texte als „barmherzig“ zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung für jeden Euphemismus. Neben mir wird geraunt „irgendwo zwischen Fehlfarben und Rammstein“ und das trifft es ziemlich gut.
Highlights sind aus meiner Sicht die Ansagen, z.B.: „Das nächste Stück ist ein Partysong, heißt ‚Jahrhundertfick‘ und geht so.“ Oder auch: „Das nächste Stück ist über Euch und uns und es trifft hier in Stuttgart mehr zu als sonst irgendwo. Das Stück heißt ‚Deutsch‘ und ist ein Shaker.“ Der Schweiß tropft, der letzte Song „Wir sind sicher“ ist wie ein Soundtrack am Ende eines Westerns, in dem der Held in Zeitlupe zu Boden sinkt, nachdem ihn im Duell eine Kugel getroffen hat. Das sitzt und es bleibt nur die Heimfahrt auf dem Rad, den brüllenden Löwen in der nächtlichen Wilhelma im Ohr und die Vorfreude im Kopf auf die nächste About-Pop-Konferenz im kommenden Jahr.