RAMMSTEIN, 10.06.2022, Cannstatter Wasen, Stuttgart

Warum stehst du noch am Rande?
Reih dich ein in unsre Bande
Wenn wir dann im Trist marschieren
Gar nichts, nichts kann dir passieren

Na, wenn frau/man so herzlich eingeladen wird, dann lasse ich mich und meine 49.999 Mitmarschierende von Rammstein heute Abend, kurz nach acht Uhr, in ihre Welt des Bombastbesinnlichkeitseskapismus entführen. Ist es nur das? Im Eröffnungssong vom aktuellen Album „Armee der Tristen“ heißt es weiter

Komm, wir schließen unsre Reihen
Marschier’n im Gleichschritt gegen Glück

Naja, so schlimm wird es Sänger Till Lindemann schon nicht meinen. Kleine Binse zum Themenkomplex Rammstein: Alles nicht so ernst nehmen.

Natürlich knallt es zum Anfang schon mal, keine Ouvertyro ohne Pyro. Ultrapfiffige Geister kamen auf die Idee, Händels Feuerwerksmusik als Konzerteinleiter vor Beginn der Show zu bringen. Gute Idee, trägt sie doch auch eine Friedensbotschaft mit sich: Sie wurde anlässlich des Aachener Friedens von Händel komponiert, welcher das Ende des Österreichischen Erbfolgekrieg 1748 besiegelte.

Sehr friedlich geht es übriges auf dem Cannstatter Wasen zu, soweit ich das wahrnehmen kann. Die Fantruppen in ihren schwarzen Rammstein-T-Shirts sind freundlich und guter Laune, die Brigaden an Ordner sind es auch, alles ist generalstabsmäßig geplant, es ist beeindruckend gut organisiert. Die Truppenversorgung wird durch 20 Wok-Kanonen und Pommessieder gewährleistet, für die richtige Ausrüstung im Feld sorgen an die zehn (in Worten: zehn) Merch-Stände. Rammsteiner Bier wird ausgeschenkt, zumindest steht das auf dem Truck, letztlich ist es Beck´s.

Es ist schwer, nicht im Militär-Sprech zu bleiben. Nach „Zick-Zack“ mit dem schneidigen Refrain „Zickzack, zickzack, schneid es ab/Zickzack, zickzack, kurz und knapp“ (es geht um Schönheitschirurgie) dröhnt es „Links/Links/Links/Links zwo drei vier“ und die eher schlicht gehaltene Losung wird dankbar mitgegröhlt. Aber im ganzen heisst es

Sie wollen mein Herz am rechten Fleck, doch
Seh‘ ich dann nach unten weg
Da schlägt es links
Links
Links
Links
Links zwo drei vier

Bei jedem Links schlägt sich Lindemann mit großer Geste aufs Herz. Auf größere Eindeutigkeit wird verzichtet.

Es geht die Gründungsmär, dass damals das Musikprojekt Rammstein von Leadgitarrist Richard Kruspe, Bassist Oliver Riedel, Schlagzeuger Christoph Schneider und Lindemann als unpolitische Entspannungsübung angestoßen wurden. War in den linken Punkbands, in denen die heutigen Mitglieder damals parallel spielten, das Arbeiten und Auftreten nur im entsprechenden Genreformat und mit entsprechender Gesinnung möglich, konnte bei Rammstein (zunächst unter dem Namen Tempelprayers) ein anderer Sound, orientiert an US-Metal-Bands wie Pantera, ohne Verkopfung ausprobiert werden. Und die zuletzt dazugekommen Musiker, Keyborder Christian „Flake“ Lorenz und Rhythmusgitarrist Paul Landers insistierten darauf, dass in deutscher Sprache gesungen werden sollte. Der Rest ist Geschichte, geblieben ist aber die Haltung, dass sich Rammstein nicht zu ihrem Werk äußert, die Welt da draußen muss sich ihren eigenen Reim darauf machen.

Rammstein bietet mit „Links“ subversive plus massentaugliche Mitsing-Parolen, genauso in den Songs „Ausländer“ („Ich bin Ausländer – Ausländer“) oder „Deutschland“ („Deutschland – Meine Liebe kann ich dir nicht geben“), genauso in den Songs über Sex und Geschlechteridentität. Der Song „Engel“ wird mehrstimmig nur mit Klavierbegleitung des Duo Játékok auf einer im Publikum eingerichteten Bühne intoniert. Eine wohltuende Pause von den brummenden Gitarren. Nach dem Song steigen die sechs Musiker in mehrere Schlauchboote und paddeln, getragen von den Händen der Fans, an den Bühnenrand. Ein Verweis auf die Flüchtlingsproblematik? Die Rockstars können nur weitermachen, wenn die Fans helfen. Die Flüchtlinge können nur weiterleben, wenn die Gesellschaft mit anpackt? Die Musiker werden auf der Bühne mit einem Schild empfangen: „Willkommen“ – auf dessen Rückseite steht: „in der Dunkelheit“. Schön irritierend.

Bestimmte gesellschaftliche Gruppen kommen mit der Ambivalenz und der Vielschichtigkeit in unserer Welt nur schwer zurecht, wünschen sich eine Vereinfachung und manche sind der Meinung, dass dies sogar politisch zu erreichen wäre. Rammstein thematisiert die Uneindeutigkeit unserer Gesellschaft und popularisiert sie, unterlegt sie mit ordentlichem Rock und verpackt sie in eine bombastische Bühnenshow, die mit ihrer Größe und mit ihren Feuereffekten einer Jahrmarktattraktion gleicht. Offensichtlich trifft diese Mischung auf den Geschmack eines Teils der Mehrheitsgesellschaft. Heute 50.000 Leute, morgen 50.000 Leute, 31 Mal in Europa, 11 Mal in Nordamerika, ganz normale Leute.

Nach guten zwei Stunden, einem Ritt Lindemanns auf einer Schaumkanone (praktisch, hatte ich wieder eine ordentliche Krone im Bierbecher), einem feuerstrahlenden Lindemann, einem Lindemann, der Flake in einem Kessel kocht und so mancherlei mehr, züngeln die Flammen abschließend bis zur Spitze des über 50 Meter hohen zentralen Bühnenturms. Am Ende strahlen die Scheinwerfer in den Himmel. Alle drei Bühnentürme leuchten. Rammsteins Kirche. Opium fürs Volk.

Nachtrag:
Der erste Rammstein-Auftritt in Stuttgart fand nicht, wie vielfach kolportiert, im Dezember 1995 in der Röhre statt, sondern im November im LKA. Sie waren damals Vorgruppe der Gothic-EBM-Formation Project Pitchfork (spielt übrigens am 25.06.22 im Wizemann). Damals schon paddelte beim Song „Seemann“ Lindemann mit dem Schlauchboot übers Publikum. Ich war wegen Pitchfork da. Als alter Laibach-Fan dachte ich: Hä? Rammsteins Gesangsstil ist Laibach sehr ähnlich, die deutschen, irritierenden Texte sind ähnlich, selbst das Rammstein-Logo, das sich an Malewitschs Schwarzes Kreuz orientiert und das Laibach seit Anfang der 1980er benutzt – ahnlich? Wie auch immer. Rammstein habe sich laut eigener Auskunft (Interview mit Christoph Schneider 2011) tatsächlich von Laibach inspirieren lassen. Und Ivan Novak von Laibach meinte im Interview 2004: „Laibach ist Rammstein für Erwachsene“. Wie auch immer. Zum Rammstein-Konzert heute zog ich dann ein Laibach-T-Shirt an. Ich habe kein weiteres gesehen.

Crazy enough: Laibach konzertiert just diesen Oktober in der Manufaktur Schorndorf.

Setlist:

  1. Armee der Tristen
  2. Zick Zack
  3. Links 2-3-4
  4. Sehnsucht
  5. Zeig dich
  6. Mein Herz brennt
  7. Puppe
  8. Heirate mich
  9. Zeit
  10. Deutschland
  11. Radio
  12. Mein Teil
  13. Du hast
  14. Sonne
  15. Engel
  16. Ausländer
  17. Du riechst so gut
  18. Pussy
  19. Rammstein
  20. Ich will
  21. Adieu

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