WOLF HAAS „MÜLL“, 09.06.2022, Merlin, Stuttgart

WOLF HAAS, 09.06.2022, Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Nach acht Jahren ist er wieder da: der Brenner. Und sein Autor ebenso: der Österreicher Wolf Haas, der heute im Merlin aus seinem Werk vorliest – dem neunten Roman der BrennerReihe. Verlegt wurde die Lesung vom Wizeman ins gemütliche Merlin, was der Veranstaltung einen intimeren Touch verleiht. Gegenseitiges Beäugen zwischen Publikum und Vorleser Wolf Haas fällt in so einer angenehm dichten Atmosphäre natürlich leichter. Haas betritt das reduzierte Bühnenset, nur ein von der Decke herab scheinender Lichtkegel dient als Beleuchtung.

Und schon taucht er ein, in die Welt des “Mülls”. So der Titel des neuen Romans und zugleich Handlungsort für Privatschnüffler Simon Brenner: ein Wiener Wertstoffhof. Brenner, der in seiner Jobwahl eine gewisse Fluktuation hat (Rettungssanitäter, Inkassoeintreiber u.v.m.) hat die Nachhaltigkeit für sich entdeckt und arbeitet nun als “Mistler” auf eben diesem Wertstoffhof.

WOLF HAAS, 09.06.2022, Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Die sonst so akribisch eingehaltene Ordnung zur Trennung der verwertbaren Stoffe wird empfindlich gestört. In Wanne 4 gehört nur Sperrmüll und nicht – wie jetzt – ein menschliches Knie. Damit noch nicht genug, werden auch in den anderen Wannen die restlichen Leichenteile gefunden. Wie in den vorherigen Brenner-Romanen gibt es wieder die Instanz des unsichtbaren Dritten: der Erzähler, der Leserinnen und Leser sicher durch das Geschehen und die Gedankenwelt Simon Brenners führt. Durch seine ausdrucksstarke Lese-Präsenz zieht Haas die Zuhörenden mit in die Handlung des Romans rein. Und hinein geht es in das Soziotop des Wertstoffhofs mit seinen unausgesprochenen Regeln, Haltung gegenüber SUVs und dass Orange als Farbe der Arbeitskleidung nicht jedem der Kollegen steht.

Als wäre das nicht genug, ruft der Leichenfund einen Ex-Kollegen Brenners an den Tatort. Brenner, einst selbst Kommissar, sieht sich seinem ehemaligen Auszubildenden Alexander Kopf gegenüber: ”Der Brenner hat sich gedacht, jetzt haben wir uns so viele Jahre nicht gesehen und können uns ohne die geringste Anlaufzeit immer noch genauso schlecht unterhalten wie früher”. Heiteres Gelächter im Publikum macht sich breit. Hat doch sicher jeder schon mal erlebt, manchmal zündet eine Begegnung einfach nicht.

WOLF HAAS, 09.06.2022, Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Und so kommt Brenner nicht zur Ruhe. Bei dem Leichenfund hat nämlich eins gefehlt – das Herz. Sein detektivischer Instinkt ist wieder gefordert, um die Puzzleteile des mysteriösen Leichenfunds zusammenzusetzen. Als hätte er nicht schon genug Sorgen mit seiner eigenen Situation. Der Brenner wäre nicht der Brenner, wenn es nicht noch mehr Irrungen und Wirrungen geben würde.

Wolf Haas hat seine Romanfigur Brenner wieder aus dem kriminologischen Standby herausgelockt. Bei der Lesung bleibt es offen, ob es sich nun um eine Beziehungstat, mafiösen Organhandel oder ein weiteres unergründliches Motiv zu Tage kommt. Noch grübele ich, worum es sich nun handeln könnte. Doch das Saallicht geht nun an. Schade, das Publikum, mich eingeschlossen, hätten sicherlich gerne weiter gelauscht. Also nichts wie hin zum Signiertisch, um sich die Lektüre noch mit persönlicher Widmung versehen zu lassen. Insgeheim hoffe ich natürlich in naher Zukunft auf eine neue Brenner-Verfilmung.

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