MAYHEM, MORTIIS, 10.05.2022, Im Wizemann, Stuttgart
Der beste Weg, um der aufkommenden Hitze etwas entgegenzusetzen, ist die Aussicht auf eiskalten norwegischen Black Metal.
Bevor ich in die Nacherzählung über das heutige Konzert eintauche, möchte ich für einen Moment in die Vergangenheit reisen. Vor knapp zwei Jahren waren Madita und ich das letzte Mal tätig für den Gig-Blog. Napalm Death, Eyehategod und Misery Index gestalteten den Abend und ein einzelner Besucher mit Maske zog irritierte Blicke auf sich.
Heute, 26 Monate später, sehe ich im Konzertsaal des Wizemann zwei Menschen mit Maske. Ein leicht beklemmendes Gefühl macht sich dabei im Körper breit. Es ist unser erstes Metal Konzert seit Napalm Death. Unzählige Absagen, Verschiebungen und Zweifel ob der gesundheitlichen Sicherheit später, scheint der Weg zurück in die Normalität zu führen, sollte es diese ob der täglichen Schreckensmeldungen überhaupt noch geben.
Doch muss es ja irgendwie weitergehen. Vorab muss ich zugeben, ein wenig enttäuscht gewesen zu sein, dass uns in Europa nicht dasselbe Tour-Paket geboten wird wie den Amerikanern. Mayhem, Watain und Midnight. Zumindest in den Genuss von Watain sind auch diese nicht gekommen, wegen Visa und so.
Unseren Abend mit Mayhem wird heute Mortiis eröffnen. Ein Künstler, dessen verwesende Goblin-Erscheinung sicher vielen ein Bild ist, so auch mir. Doch konnte ich mich nie überwinden, diesem Projekt eine Chance zu geben, weil es mir dann doch einen Tick zu viel des Mummenschanz‘ war.
Völlig ahnungslos also, was mich erwartet, stehe ich ein wenig abseits des halb gefüllten Saals und bin erstaunt, dass das Intro Mortiis‘ fließend in die weitere Performance übergeht. Eine Mischung aus Ambient und Industrial ist es also, was Mortiis seit knapp 20 Jahren mal Solo, mal mit kompletter Band produziert.
Auch heute startet dieses „Wesen“, besser möchte ich es nicht beschreiben, den Abend solo und lässt zwischen die atmosphärischen, an Filmmusik erinnernden Stücke, immer wieder klare Gesangspassagen einfließen. Mit Wohlwollen goutiert das Publikum diese Darbietung und wenn man, im Gegensatz zu mir, weiß, was auf dem Programm steht, ist das sicherlich unterhaltend und auch auf eine Weise entspannend/beruhigend. Doch dafür bin ich heute nicht hier. Ich warte auf Blastbeats und kalten, skandinavischen Hass. Dem kommt Mortiis in dem Sinne einen Schritt näher, als in der Mitte des Sets ein zweiter Musiker die Bühne betritt und mit vier Trommeln zumindest ein wenig Rhythmus in die Sache bringt.
Ich möchte zu diesem Auftritt keine abwertenden Gedanken äußern, da ich etwas völlig anderes erwartet hatte und mich diesem Musikstil in einem anderen Rahmen und anderer Erwartungshaltung, mit Blick auf den Hauptact, auch durchaus öffnen und genießen könnte.
Der erste Blick beim Umbau der Bühne fällt direkt auf das monströse Schlagzeug von Hellhammer. Das Backdrop dahinter wirkt dagegen fast wie ein Mayhem Backpatch-Aufnäher, auf den man zurückgreifen musste, weil man das eigentliche Backdrop vergessen hatte. Ob so ein Schlagzeug nötig ist für den Sound und die Songs von Mayhem? Darüber könnte man stundenlang salbadern.
Mayhem. Legende und Mythos. Der Ursprung allen Übels.
Meine Liebe für den Black Metal wurde weder von Mayhem entfacht, noch habe ich mich rückwirkend intensiv mit den musikalischen Werken der Band befasst.
Man kennt die Geschichten. Was in diesen am ehesten dem Kern der Wahrheit nahekommt, darüber kann sich niemand ein abschließendes Urteil erlauben, wenn selbst die Beteiligten an diesen Legenden, Necrobutcher und Varg Vikernes, sich gegenseitig der Lügerei bezichtigen. Ihre Mitte finden sie scheinbar nur auf die Wut über den 2018 erschienenen Film „Lords of Chaos“, bei dem sich beide in gleichem Maße in ein schlechtes Licht gerückt fühlen.
Wie bereits erwähnt sind Mayhem nicht die Spitze meiner liebsten Black Metal Bands aus Norwegen. 1349, Gorgoroth, Taake oder auch die noch recht frischen Whoredom Rife sind eher in dem Kreise der Bands, auf welche ich zurückgreife, wenn ich mich nach einer kalten, norwegischen Brise sehne. Doch was all diese teilweise ebenfalls legendenumwobenen Bands eint, ist dieser eine finstere Trieb, dessen Ursprungswurzel in Langhus, Norwegen liegt.
Dichter Nebel lässt Hellhammers „Monster“ schon während des Intros und beinahe für den kompletten Rest des Abends verschwinden. „Falsified And Hated“ radiert die Frage ob der nötigen Größe seines Sets mit dem Feuer aus allen Rohren für den Moment vollständig aus. Mit einer unglaublichen Wucht und Präzision begehen Mayhem diesen Abend und schüren das norwegische Höllenfeuer, wo doch eine Abkühlung gewünscht war.
Mayhem hatten in allen ihren Phasen immer diese schmutzige, punkige Attitüde in ihrem Songwriting und auch To Daimonion des aktuellen „Daemon“ Albums lassen diese Rotzigkeit nicht vermissen. Attila ist dabei das Zentrum des Chaos, der sich alle möglichen Gesangsstile zu eigen macht und mit Kutte und Knochenkreuz über die Bühne wütet, tänzelt und schwankt.
Die Setlist dieser Tournee ist ähnlich wie auch die musikalische Historie Mayhems in drei Akte unterteilt. Dieser erste Part des Abends gebührt den neueren Werken, welche in unmittelbarer Verbindung zu Teloch stehen, sowohl Daemon als auch dessen Vorgänger „Esoteric Warfare“ stammen zu großen Teilen allein aus seiner Feder.
Im Vergleich zu den Songs von „Esoteric Warfare“ ist „Daemon“ eine sehr ursprüngliche Black Metal Platte und Songs wie „Malum“ oder „Bad Blood“ machen, falls sie das in diesem Rahmen überhaupt dürfen, einfach Spaß live zu hören/sehen/fühlen. Man blickt gefühlt den ganze Abend in Strobo-/Gegenlicht, was eine komische Wirkung aus einem leichten in Trance verfallen und Herzrasen bewirkt.
Der zweite Abschnitt des Konzertes konzentriert sich nun komplett auf „De Mysteriis Dom Sathanas“. Hat man dieser Platte noch die komplette vorangegangene Tour gewidmet, gibt es diesmal mit „Freezing Moon“, „Pagan Fears“, „Life Eternal“ und „Buried by Time and Dust“ die Essenz dieser Blaupause der ersten Welle Black Metals. Auch die Zuschauer reagieren mit Begeisterung, wenn die kaputte Stimme des verstorbenen Dead dieses Kapitel Mayhems‘ an diesem Abend einläutet und die ganze Band nun in Kutten zurück auf die Bühne kommt.
When It’s cold, And when it’s dark the Freezing Moon can obsess you
Für den letzten Akt dieses Abends werden alle Kutten und Knochen abgelegt. Attila kommt in Lederweste und seltsamer Ring-Tonsur zurück und Teloch schlüpft gar in seine Metal-Kutte. Denn für diesen letzten Abschnitt des Abends reisen Mayhem weit zurück zu ihren Anfängen und bieten uns mit den letzten vier Songs eine einwandfreie Black/Punk-Zugabe.
„Deathcrush“
„Chainsaw Gutsfuck“
„Carnage“
„Pure Fucking Armageddon“
Das letzte Pure Fucking Armageddon, das aus Attilas Kehle röhrt und dank Effekt noch eine Weile nachhallt, schickt uns zurück in das Armageddon der realen Welt.
Black Metal atmet.
Hej Satan!