ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

Jetzt nimmt dieses Corona-Ding also doch nochmal ganz schön an Fahrt auf, ärgerlich. Da hilft es auch nichts, dass man selbst ein ordnungsgemäß durchgeboostertes Schlafschaf ist. Der nächste Lockdown ist in Sicht und jeder Konzertbesuch kann mal wieder auf längere Zeit der letzte sein.

„The last show on earth“ betitelten The Burning Hell ihr Konzert in der Manufaktur schön theatralisch. Lustige Übertreibung natürlich, und ja, es gibt wichtigeres als Pop-Konzerte usw., aber diesen Winter hatte ich mir doch etwas anders vorgestellt.

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

Hätte ich nicht gedacht, dass Impfverweigerung so ein Massenphänomen ist. Bin selbst seit Jahrzehnten treue Stiko-Followerin und komme sämtlichen Impfempfehlungen mit Begeisterung nach, weil, why not? Aber wie lernten wir schon früh in der Pandemie: There is no glory in prevention. Seufz.

Ich fühle mich tatsächlich etwas unwohl, trotz looming Kontaktbeschränkungen noch weiter auf Konzerte zu gehen. Bei The Burning Hell (2G+ und Maske) dachte ich schon, es sei das letzte gewesen. Aber da Erdmöbel nach wie vor nicht abgesagt ist und ich mich schon vor Monaten als Schreiberin eingetragen habe, gehe ich trotzdem hin. Und, ganz egoistisch, weil ich mich seit Wochen darauf freue. Mit aktuellem negativem Bürgerinnen-Schnelltest auf dem Handy geht’s also Richtung Esslingen.

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

Eine Veranstaltung in der Dieselstraße war auch mein erster Event nach dem ersten Lockdown. Damals ähnlich awkwardes Gefühl und Verunsicherung, ob man das jetzt wirklich „darf“.

Zum wiederholten Male also das bekannte Prozedere: Maske auf, an der Eingangsschleuse CovPass, Schnelltest und Ausweis vorzeigen und mit der Luca App einchecken und schon steht dem infektionsschutzkonformen Konzerterlebnis nichts im Weg.

Am Einlass werden kleine Glöckchen am Band verteilt. Bei Erdmöbel-Konzerten wird das Publikum traditionell gerne zur Mitwirkung eingeladen. Fühle Tinker-Bell-Vibes und freue mich schon jetzt aufs Bimmeln.

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

Der Innenraum ist locker gefüllt, sodass sich auch Abstandsregeln gut einhalten lassen. Fotograf Martin entpuppt sich als noch größerer Erdmöbel-Fan als ich, der schon auf bestimmt zehn Konzerten war und sich im Backkatalog der Band eindeutig besser auskennt als ich. Stimmengewirr, zartes Klingeln liegt in der Luft. Licht aus, ein paar vorfreudige „Erd-mö-bel!“-Rufe. Pünktlich geht’s los.

Die repetitive Hook von „Nonstop Christmas“ dient als Intro. Liebe es jetzt schon, hier zu sein. Erdmöbel-Konzerte, einfach einzige akzeptable Weihnachtstradition.

Natürlich wird auch direkt ausdrücklich zum Mitsingen aufgefordert. „Trotz Masken klingt das astrein“, lobt Sänger Markus Berges.

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

Wir erfahren, dass der Posaunist der Band leider in Quarantäne ist und nicht dabei sein kann. Teile der Band seien aber selbstverständlich schon geboostert und trotz „Impfarm“ am Start. Mehr medizinische Details gab es nie on stage, Rock’n’Roll in der Pandemie, halt einfach das etwas andere Erlebnis.

Es folgen „Fräulein Frost“ und „Russisch Brot“ und das endzeitmäßig durchaus passende „Ich wollte, die Welt ginge immer bergab“, das in hypnotischen Wiederholungsschleifen endet.

Beim wie immer zum Heulen schönen „Der letze deutsche Schnee“ fällt mir zum ersten Mal deutlich das Fehlen der charakteristischen Posaune auf. Sie wird durch „ba-ba-ba“ ersetzt, dazu kommt schöner Backgroundgesang von Schlagzeuger Christian Wübben.

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

„Rakete zwischen den Jahren“ wird von Bassist Ekki Maas (im schicken goldenen Blouson-Jäckchen, Neid) eingeleitet mit einem nicht restlos überzeugten „Böllerverbot … ich find’s … okay.“

Bei „Blinker“ ist erstmals körperliche Publikumspartizipation gefragt. Beim Refrain werden rhythmisch beide Hände in Brusthöhe nach vorne gestreckt und die Finger abwechselnd geöffnet und geschlossen. Das bewirkt nach Aussage der Band besonders von der Bühne aus gesehen einen schönen Blinkeffekt.

„Der große Dezember“ ist der aktuelle Weihnachtssong der Gruppe. Mag ich sehr, gerade auch die perfekt getimten Fingerschnipp-Breaks. „Das ist übrigens das sechzehnte Weihnachtslied, das ich geschrieben habe – die Luft wird langsam verdammt dünn“, kommentiert Berges. „Das hat er schon nach dem dritten Lied gesagt“, kontert Maas scherzhaft. Aber ernsthaft, Hut ab, sicher nicht einfach ein Thema, zu dem eigentlich schon alles gesagt wurde, immer wieder neu und überraschend zu interpretieren.

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

Zu „Goldener Stern“ gibt es, so erfahren wir, seit einiger Zeit eine unter Publikumsbeteiligung entwickelte Choreographie. Martin und mir schwant Übles. Wir sind von unserer Polonaise-Teilnahme seinerzeit im ClubCann noch nachhaltig traumatisiert. Um es kurz zu machen, liebe Leser*innen, selbstverständlich machen wir mit. Es ist ein schöner, einfacher und alberner Tanz. Man fühlt sich wie eine Mischung aus eierndem Tannenbaum und dicker Tanzbärin. Erdmöbel made me do it.

Zu Ehren des anstehenden „wichtigsten Feiertag des Jahres – Nikolaus“ steht als nächstes „Muss der heil’ge Nikolaus sein“ auf dem Programm. Ein bisschen enttäuscht ist die Gruppe schon, dass die scheidende Bundeskanzlerin das Stück nicht für den zeitgleich stattfindenden Zapfenstreich ausgewählt hat – immerhin kommt sie drin vor. Zukünftig muss in den Text zusätzlich der Name „Scholz“ eingebaut werden. „Metrisch schwierig“, aber Keyboarder Wolfgang Proppe ist schon dabei, eine Idee zu entwickeln.

„Ding Ding Dong (Jesus weint schon)“ findet heute, wie erwartet, ohne Körperkontakt, also ohne Weihnachts-Polonaise, statt.

ERDMÖBEL, 02.12.2021, Dieselstraße, Esslingen

Foto: Martin Schniz

Gemäß des irgendwann mal genutzten Bundesland-Claims „Baden-Württemberg – Land der Chöre“ – ich meine mich zu erinnern, ist aber nicht mehr googlebar – wird das Publikum im Rahmen des Wham!-Covers „Weihnachten ist mir doch egal“ nochmal zum Mitsingen eingeladen.

„Es war hellichte Nacht“ und „Erster Erster“ folgen als Zugaben. Und schließlich „Nah bei dir“, ein tolles eingedeutschtes Bacharach/Carpenters-Cover, als allerletzte Zugabe bzw. Rausschmeißer. So schön immer, sterbe.

Ich fühle mich nach Konzertschluss und letztem Abschlussgetränk draußen im Esslinger Industriegebiet wie ein heimeilendes Aschenputtel auf dem Rückweg in die grimmige Corona-Realität. Finde zu Hause noch das Glöckchen in der Tasche. Bleibt die vorsichtige Hoffnung, dass mein nächstes Erdmöbel-Konzert unter weniger lebensgefährlichen Bedingungen stattfindet. Bitte nicht weitererzählen, aber ich feiere das, falls von Bandseite gewünscht, auch gerne mit Nonstop-Polonaise.

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