ABOUT POP Konferenz, 30.10.2021, Im Wizemann, Stuttgart
Pop-Kultur ist die Leitkultur unserer Zeit. Sie entwirft Utopien, Ideen und Gesellschaftsentwürfe, die zu Diskursen der Gegenwart werden.
Die Präambel der About-Pop-Konferenz lässt es schon erahnen: Die dritte und bisher größte Auflage der Konferenz verspricht eine Menge an Diskussionen, Inspiration – und Networking. Und es ist echt beeindruckend, wie groß das Popbüro dieses Event angelegt hat und was für schwergewichtige Speaker:innen und Künstler:innen es gewinnen konnte. Das einzige Problem daran: Es ist unmöglich, das gesamte Programm mitzunehmen. Und so handle ich wie auf jedem Festival mit vielen Bühnen: Ein paar Programm-Highlights werden fix gesetzt, dabei schaue ich genauer, was sich auf den „kleinen Bühnen“ tut. Mehr Raum lasse ich aber für zufällige Entdeckungen und spontane Treffen.
Und Letzteres ist besonders wichtig, denn die About Pop ist – wie zu erwarten war – zuallererst ein großes Familientreffen von Kulturschaffenden und Künstler:innen aus der Region. Und auch eine tolle Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen. „Networking“ halt. Das Im Wizemann als Veranstaltungsort bietet dafür einen hervorragenden Rahmen. Obwohl unter 2G-Bedingungen stattfindend, wurde das Event dennoch sehr weitläufig angelegt. Abstandsflächen allerorten und der lange Weg über den Hof, der die beiden Gebäude verbindet, dient nicht nur zum Auslüften, sondern garantiert viele zufällige Treffen und Gesprächsrunden.
Schon die Konferenz-Eröffnung im Club ist erfreulich unprätentiös und kurzweilig. Kimsy von Reischach, in der Region verwurzelte Ex-MTV-Moderatorin, leitet souverän und humorvoll durch das Programm auf der großen Bühne. Ein Minikonzert von Luis Ake setzt den ersten musikalischen Akzent. Die Keynote „Cute Empowerment“ der Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout genießt noch die Aufmerksamkeit des vollen Plenums, aber schon bei der Podiumsdiskussion „Pop und Populismus“ wandern die ersten zu den parallel stattfindenden Veranstaltungen ab. Dabei ist gerade diese Runde, die sich mit den hässlichen Seiten der Popkultur beschäftigt, besonders hochrangig besetzt.
Jens Balzer, dessen gleichnamiges Buch hier das Thema setzt, Jörg Freitag, Vojin Saša Vukadinović und die live aus Berlin hinzu geschaltete Rapperin Sookee beleuchten Themen wie Sexismus, Rassismus und Antisemitismus im popkulturellen Kontext. Allein hierfür hätte man Stunden einplanen können.
Die anschließende Runde „Pop ist tot – Lang lebe Pop“ mit Linus Volkmann und Andreas Vogel ist da schon weit fröhlicher. Beide sind für ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis bekannt und so hat Kimsy von Reischach wenig zu tun, den Fluss aus Anekdoten und gegenseitigen Neckereien zu steuern. Dass die Frage, ob Pop denn nun tot sei, dabei nicht beantwortet wird, ist letztlich egal. Denn die Antwort wird im Laufe des Tages immer wieder gegeben.
Natürlich schaue ich bei der Ausstellung „Die Rückkehr der Musik“ unseres Fotografen-Freundes Reiner Pfisterer vorbei. Sie ist im ersten Stock etwas abgelegen und so bekommen wir von ihm und Kunstvermittlerin Sara Dahme eine sehr exklusive Führung mit vielen Behind-the-Scene-Geschichtchen.
Während auf der großen Bühne das Nachmittagsprogramm der großen Musikökonomischen Studie und einer Podiumsdiskussion zum Thema „Nachhaltige Popförderung“ gewidmet ist, bleibe ich im „Impact Hub“ hängen, wo Theorie und Praxis nachhaltiger Festivals und Events diskutiert werden. Diese Runde fällt leider viel zu kurz aus. Matthias Mettmann (u.a. Chimperator Live), Sarah Bergmann (Coach), der Schweizer Moritz Meier (One of a Million Festival) geben hier spannende Einblicke zu den Möglichkeiten aber auch Grenzen nachhaltiger Eventgestaltung. Wie man absurde Hospitality Rider durch das Angebot eines lokalen, saisonalen, veganen und qualitativ hochwertigen Caterings aushebeln kann, ist nur eines der vielen Beispiele für kreatives Herangehen.
Die anschließende Keynote von „Music in Games – Games in Music“ von Jérôme Nguyen vom FZI gibt nostalgisch-nerdige Einblicke in diesen popkulturellen Grenzbereich. Und die Keynote „Fashion & Pop“ von Dr. Maaike van Rijn und Agnes Obenhuber, den Kuratorinnen der Landesausstellung „Fashion“, präsentiert nicht nur spannendes über die Wechselwirkung von Mode, Popmusik und Rollenklischees, sie macht vor allem Lust auf den Besuch eben dieser Ausstellung.
Drüben im Club findet derweil eines der Programm-Highlights statt: Dr. Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray liest vor gut gefülltem Saal aus ihrem Buch „Lady Bitch Ray über Madonna“.
Um 18:30 spaltet sich das Programm: während im Club der Themenblock „About Night“ Aspekte der Club- und Nachtkultur beleuchtet werden – unter anderem mit einer Keynote von Stuttgarts Nachtmanager Nils Runge – tun wir das, was Gigblogger machen müssen: Wir besuchen die Konzertreihe im „Impact Hub“, die das Komma Esslingen – wie fast alle Konzerte der Konferenz – kuratiert hat. Und hier findet dann völlig unerwartet das Event statt, das für mich den Höhepunkt des gesamten Tages darstellt: Der Auftritt der japanischen Musikerin Ichiko Aoba, die mit einer virtuos gespielten, einfachen akustischen Gitarre eine zarte und geradezu magische Mischung aus japanisch angehauchtem Folk, Bossa Nova und minimaler Klassik im Stile von Erik Satie präsentiert. Sie schafft es nicht nur, den sonst eher wuseligen Konferenzbetrieb zur andächtigen Stille zu bringen, sie beantwortet vor allem eindrucksvoll eine der Fragen des Tages: Pop lebt, und zwar vitaler denn je!
Das Konzert von Salomea bekomme ich – Networking, you know – leider nur vom Hof aus mit. Was da an Elektropop, Breakbeats und Jazzigem durch die Fenster dringt, klingt aber hoch spannend und verankert die Band auf meiner Liste „Unbedingt hingehen, wenn wieder vor Ort“.
Dass Stuttgarts Lieblings-Punkband Zweilaster auf der Konferenz spielen, war schon fast unvermeidbar. Sie sind nicht nur die gerade allgegenwärtige Sympathiebombe, sie markieren hier vor allem eindrucksvoll das andere Ende der musikalischen Skala. Ein krasserer Gegensatz zu Ichiko Aoba ist kaum vorstellbar. Virtuosität und Filigranität werden hier ersetzt durch lässiges DIY-Geschrubbe und erfrischend-ungelenken Krach. Wunderbar! (Und nein, Pop ist definitiv nicht tot. Und er riecht auch nicht komisch.)
Für mich ist damit nach elf Stunden die Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht und ich schwänze die Konzerte von John Moods und Luis Ake. Verpasst habe ich so vieles, das Atelier mit fünf Workshops zur Musikproduktion habe ich gar nicht besucht. Die Konzerte im „Happen“ sowie die Lesung von Thorsten Nagelschmidt musste ich leider auch sausen lassen. Das große Publikumsinteresse aber und die vielen offenen Enden, die die Panels hinterlassen haben, beweisen eines: Die About Pop Konferenz und ihre Themen sind hoch relevant. Gerade – aber nicht nur – in Pandemie-geschüttelten Zeiten muss die „Branche“ den Diskurs bestimmen, sichtbar bleiben und Impulse setzen. Und dass Stuttgart, wo im Bereich Popkultur besonders viel zu tun ist, damit auch zu einer Landmarke in der Pop-Landschaft wird, war längst überfällig. Wir sehen der About Pop 2022 jedenfalls mit Spannung entgegen!