MAIFELD DERBY, Tag 1, 03.09.2021, MVV-Reitstadion, Mannheim
Hand aufs Herz. Dass wir in diesem zweiten Pandemie-Sommer noch ein richtiges Festival erleben sollten, darauf hätte ich bis zuletzt keine Wette abgeschlossen. Und jetzt stehen wir vor dem wohlbekannten Reitstadion und mögen unser Glück kaum glauben. Der unermüdliche Timo Kumpf und sein Team haben es tatsächlich geschafft: Das zehnte Maifeld Derby findet statt! Vor uns liegen drei Tage mit 35 Bands auf zwei Bühnen. Und das alles bei schönstem Sommerwetter. Unfassbar.
Aber wir stellen uns auch ein paar bange Fragen: Funktioniert ein coronakonformes Festival überhaupt? Wie wird die Stimmung sein, wie die Abläufe? Sehen wir hier eventuell das Festival-Format der Zukunft oder ist das ein einmaliges Notprogramm, das keiner nochmal haben will?
Nach einem vierstufigen Check-In (Luca, 3G-Kontrolle, Festivalbändel holen und Security-Check) stehen wir also am Freitag um halb vier auf dem noch leeren Gelände. Und dieses hat sich im Vergleich zu den letzten Jahren doch sehr verändert: Wo sich in den letzten Jahren das riesige Festival-Zelt, die Open-Air-Bühne, das kleine Konzert-Zelt und viele Essens-, Getränke-, Sponsorenstände versammelt haben, befindet sich nun nur der eher schmucklose „Biergarten d’Amour“ mit einer kleinen Bühne. Die „Palastbühne“ ist im eigentlichen Reitstadion untergebracht, das ansteigende Stadion-Gestühl wurde um Stuhlreihen auf dem Reitplatz ergänzt. Merch- und Verpflegungsstände liegen mit großem Abstand am Rand. Für die geplanten 1.500 Zuschauer pro Tag ist das Ganze sehr luftig gestaltet, mit viel Abstandsflächen und markierten Laufzonen.
Corona (und Brexit) bestimmen natürlich auch das Line-up. Bands von der Insel oder gar aus Übersee weist das Programm nicht aus, die weitest gereisten Künstler sind die Belarussen Molchat Doma. Alle anderen Acts stammen aus Deutschland und den direkt angrenzenden Nachbarländern. (Oder es handelt sich um ausländische Künstler:innen, die in DE wohnen und das Line-up doch noch mit den Kürzeln UK und US schmücken).
Das Programm des Maifeld Derby scheint noch mehr als bisher Richtung Indie-Pop orientiert. Stilistische Ausreißer gibt es jedoch in ausreichender Zahl, sodass auch Freunde schrägerer Klänge auf ihre Kosten kommen. Aber selbst bei diesem reduzierten Programm müssen wir Entscheidungen treffen. Nicht alles kann angeschaut werden. (Der Fotograf allerdings legt enorme Strecken zurück und schafft es tatsächlich, alle Acts einzufangen. Respekt! Dafür sieht er aber keinen Auftritt komplett.)
Der Freitag bringt mit Luis Ake, Edwin Rosen und Drangsal gleich drei Herren aus dem weit gefassten Bereich Elektro-Schlager auf die Hauptbühne – letzteren übrigens als Headliner. Edwin Rosen mit seinem melancholischen Wave Pop mag mir gefallen, die beiden anderen sind nicht ganz mein Geschmack. Aber es ist unübersehbar: Das Publikum ist sichtbar jünger als sonst und feiert seine Stars in euphorischer Party-Stimmung.
Sofia Portanet mit knackigem Eighties-Wave-Pop, äußerst eingängigen Melodien, einer sehr tighten Band und einer mächtigen Stimme (Nina Hagen lässt grüßen) setzt für mich das erste Highlight. Festivalstimmung stellt sich ein.
Direkt im Anschluss hauen uns die Nürnberger Schubsen ihren treibenden, leicht manischen Punkrock im Biergarten um die Ohren. Auch hier ist die Spielfreude nach der langen Durststrecke mit Händen zu greifen. Die Stimmung an den Biertischen ist schon am frühen Abend bestens. Eine kleine Runde Distanz-Pogo sorgt für Staubwolken.
Die Bestuhlung dient übrigens vor beiden Bühnen je nach Gig mal nur als Abstandshalter für die Tanzenden oder auch als Sitzgelegenheit. Bei drei Tagen Festival ist es durchaus komfortabel, wenn man sich nicht ununterbrochen die Beine in den Bauch stehen muss. Für uns ergraute Besucher ebenso erfreulich wie der frühe Schluss um 23 Uhr. ;)
Große Erwartungen habe ich an den Auftritt der belarussischen Coldwaver Molchat Doma. Das Trio, dessen frühere Alben klaustrophobisch finsteren Wave geliefert haben, kann aber auf der großen Bühne nicht ganz überzeugen. Was das aktuelle Album Monument schon angedeutet hat, wird live noch deutlicher: Der Sound ist wesentlich opulenter, manchmal schon fast etwas poppig und klingt stellenweise eher nach Cure. Da ist das Besondere etwas auf der Strecke geblieben.
Den ersten Abend beschließe ich im Biergarten mit den sehr geschätzten holländischen Minimal-LoFi-Schrammel-Nerds Lewsberg, die ein hartes Kontrastprogramm zu Drangsals „Stadionschlagerrock“ *) auf der Hauptbühne bieten. Die Band aus Rotterdam ist auf ein Trio geschrumpft, die Songs sind noch karger geworden. Velvet Underground scheinen nicht mehr ganz so häufig durch, auch wenn eine Geige Bratsche Einzug gehalten hat. Was die Obertudienrätigkeit des Frontmanns Arie van Vliet trefflich unterstreicht. Für mich das klare Highlight des ersten Tages und gleichzeitig der perfekte Ausklang.
*) Dank an den Kollegen Jens für diese treffende Bezeichnung.
Berichte über Samstag und Sonntag folgen in Kürze. Stay Tuned.