VALTAVA, ZWEILASTER, 13.08.2021, Merlin, Stuttgart
Nächster Schritt auf dem Weg zur Konzert-Normalität: Unsere Lieblings-Festivals besuchen. So es sie denn noch gibt. Das traditionelle Sommerferien-Event ist die „Klinke“. Und sie war schon immer der obligatorische Treff für alle Daheimgebliebenen. Sehr familiär, alles bekannte Gesichter, laue Abende im Biergarten. War sie letztes Jahr die „Kleine Klinke“, ist sie dieses Jahr zur „Feinen Klinke“ mutiert. Und einiges ist anders: nur 60 Gäste, Tickets im Vorverkauf statt Spendenhut, 3G-Check plus Maskenpflicht. Dafür aber immerhin freie Bewegung im locker bestückten Saal.
Gleich zwei junge und weitgehend unbekannte Bands stehen auf dem Programm. Wir gehen ziemlich unvorbereitet in den Abend, denn größere Social-Media-Aktivitäten oder gar eine eigene Website scheinen heute nicht mehr zu einer Band zu gehören. Lassen wir uns überraschen. Das Punk-Duo ZweiLaster haben wir zwar schon mal beim Sommerfest des Kunstvereins Wagenhallen gesehen, aber hier bei fast klinischen Ton- und Lichtverhältnissen spielen Marie (Schlagzeug, Gesang) und Arno (Gitarre, Gesang) quasi unter Laborbedingungen. Mal schauen, ob wir zur gleichen Einschätzung kommen wie unser französischer Freund. Der prognostizierte vor einigen Wochen nach einem Zweilaster-Konzert auf dem Schoettle-Platz: „Spätestens in zwei Jahren spielen die in der Manufaktur!“
Unerschrocken gehen die zwei jedenfalls an Werk: Kurzer Einzähler, das Schlagzeug scheppert los, Akkorde werden geschrammelt und der Wechselgesang ist – nun ja – interessant. Arno nölt etwas schräg ins Mikro während Marie eher schreit als singt. Manchmal mit fast überkippender Stimme, immer leicht hysterisch. Herrlich! Die Texte sind absurde Kunstwerke vom Feinsten. Ob es um den „Kumpelhund“ oder die Beschwerlichkeiten des Alltags geht („Halt die Fresse!“), das ist minimaler DIY-Dada-Punk mit erstaunlich eingängigen Melodien und höchstem Unterhaltungswert. Dass da manchmal der Einsatz verrutscht, der Takt nicht passt, oder die Gitarre trotz ausgiebigen Stimmens etwas schräg klingt, das nehmen wir jetzt einfach mal als Teil des Konzepts wahr.
Spontane Erinnerung an die Experimente der frühen Neuen Deutsche Welle werden ebenso wach wie an den Dilettantismus der echten Punk-Bands. Und ja, einen Auftritt in der Manu kann ich mir auch vorstellen, am besten mit den Hoyerswerda-Punkern „Pisse“.
Zu Valtava schweigt sich das Internet noch mehr aus: Seinen Stil beschreibt das Trio etwas schwammig als „Indie“, gerade mal einen Song gibt es auf Bandcamp, der deutet eher in Richtung Noise. (Vielleicht der Grund, warum sich auch zwei Drittel von Stuttgarts Oberkrachmachern Unbite im Publikum befinden?) Eine amtliche Setlist von zwölf Titeln lässt vermuten, dass die drei schon länger zusammen musizieren. Und ja, wir erinnern uns, die Bassistin Alex und den Drummer Jannick schon mal als Teile der Band „Flüssige Jugend“ in der Schachtel gesehen zu haben. (2019 war das. Als Support von „De Klumb“, an die ich mich bezeichnenderweise nicht mehr erinnern kann)
Der dritte im Bund ist der hochgeschossene Gitarrist João. Und was dann folgt, ist so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was Zweilaster gerade präsentiert haben. Valtava stellen von der ersten Minute an eine mächtige Wall of Sound in den Laden. (Unser durch die pandemische Ruhe verweichlichtes Gehör muss sich kurz mal neu justieren.) Im ersten Song werden wir mit einer Fülle an Rhythmus-Wechseln und anspruchsvollen Gitarrensoli gefordert. Kurz denke ich, das könnte ein anstrengender Abend werden. Aber je länger die Band spielt, desto zwingender und tighter wird es. Ein Song geht nahtlos in den nächsten über.
Der Drummer holt aus seinem Minimal-Drumset erstaunlich komplexe Rhythmen mit hohem Druck, die Gitarre wechselt zwischen gewaltigem, effektbeladenen Breitwand-Sound und fast frickeligen Soli. Der Bass übernimmt auch gerne mal die Melodie, arbeitet aber meist am soliden Rhythmusfundament. (Soundmäßig erinnert es mich manchmal an Kim Deal.) Kurzum: das ist mitreißender Krach, irgendwo zwischen Noise-, Progressive und Postrock, eine fast körperliche Erfahrung – insbesondere nach dieser langen Durststrecke. Der Gesang spielt in diesem Setup eine eher untergeordnete Rolle. Wenn gesungen wird, dann eher vom Gitarristen, zwei Titel übernimmt Alex am Bass, was prompt die gesamte Fotografenschar vor der Bassistin versammelt.
Das Set wird mit einer wilden Improvisation als Zugabe gekrönt und hinterlässt ein begeistertes Publikum, das sich allerdings im Laufe des Gigs etwas reduziert hat. Dieser fortgeschrittene Krach ist halt doch nicht jedermanns Sache. Unglaublich jedenfalls, dass dies erst der zweite Gig von Valtava ist, so professionell wie die hier abgeliefert haben. Mit Freude sehe ich jedenfalls nach dem Auftritt die Mitglieder von Valtava und Unbite im Gespräch. Ja, ein Doppelkonzert dieser beiden, das könnte ich mir sehr gut vorstellen!