Denk ich an Deutschland in der Nacht, 1.10.2020, Staatsoper, Stuttgart
Natürlich weiß jeder, welches das Konzert das Letzte war, das man besucht hat. Jetzt unter Corona-Bedingungen ist alles anders, alles neu. Passend dazu startet man im Opernhaus die Spielzeit in dieser sonderbaren Zeit mit einem musikalisch sehr mutigen Abend, durch den Schorsch Kamerun führt. „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ ist mit illustren Namen besetzt: das Staatsorchester unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister (der btw einen hervorragenden Debattenbeitrag zu subventionierter Kultur und Kurzarbeit geschrieben hat) trifft auf Max Herre und Joy Denalane, Schorsch Kamerun und Mezzosopranistin Diana Haller, es gibt Stücke von den Goldenen Zitronen, Fanny Hensel, Schubert und Mahler. Das ist politisch, aktuell und aber auch lustig. Spielleiter Schorsch Kamerun sitzt am Holztisch, sagt, er habe die „Vorstellungsverantwortung“ und wünscht „FF“ – „viel Vergnügen“. Genau mein Humor!
Der Abend unter der wohlbekannten Heinrich-Heine-Zeile „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ ist ein Versuch, der dann am Ende wirklich gelingt. Das Staatsorchester ist imposant, die Instrumente der Band von Max Herre kommen von unten nach oben gefahren und alles geht zusammen. Der Sound in diesem ehrwürdigen Haus natürlich bombastisch. Musikalisch ein kühner Remix, der 1 Stunde 45 Minuten dauert.
Joy Denalane beeindruckt mit ihren sanften Interpretation von „Auf dem Wasser zu singen“ von Franz Schubert, Max Herre wird bei „Sans Papiers“ kongenial von Yonii begleitet und „Wenn ich ein Turnschuh wär“ von den Goldenen Zitronen in der Version vom Staatsorchester ist natürlich großartig. Ja, da sind so viele Momente an diesem Abend, die einem mal wieder deutlich machen, dass Live-Musik so unfassbar fehlt.
Und dann umreißen die Künstler in den knapp zwei Stunden thematisch das „Konstrukt Deutschland“, verorten es musikalisch in Europa. „Diebesgut“ von Max Herre ist da unabdinglich, die Band unter der Leitung von Lillo Scrimali ist in Topform, auch wenn nicht oft gemeinsam mit dem Orchester geprobt werden konnte. Schön auch, dass die Herren mit Stuttgarter Wurzeln, als junge Hip-Hop-Buben sich nie haben träumen lassen, eines Tages in der Oper aufzutreten.
Schorsch Kamerun – wer sonst – hat die letzten Worte und sagt: „Bleiben Sie gesund und supereuropäisch. Adele“.