LIZ HUNT (THE SCHOOL), 14.06.2020, The Moon, Cardiff
Gefühlt hat das Angebot an Livestream-Musik-Events in den letzten Wochen deutlich nachgelassen. Eigentlich naheliegend, macht ja auch wenig Sinn, immer wieder einen mehr oder weniger identischen Auftritt fürs Internet zu reproduzieren. Irgendwann hat halt jede*r alles gezeigt, was sie/er so drauf hat.
Sophie Ellis-Bextor hat es immerhin auf zehn Ausgaben ihrer Kitchen Disco gebracht. Sehr empfehlenwert – gesammelt hier auf YouTube. Joel Sarakula, den ich auch sehr gerne diesen Sommer live gesehen hätte (Plattenpräsentation in London musste leider ausfallen), hat es in den vergangenen Wochen zweimal zumindest probiert. Einmal scheiterte es an der Technik, beim zweiten Mal am Wetter. Eric Pfeil und Die Realität gab’s immerhin als Konzert-Aufzeichnung plus Live-Interview.
Sonst war irgendwie nix mehr, zumindest in meiner Bubble.
Diesen Sonntag stehen dann dafür gleich zwei hochkarätige Events auf dem Programm. Die Qual der Wahl: United We Stream aus dem Komma in Esslingen oder Liz Hunt von The School live aus Cardiff?
Zum Glück geht es im Komma schon eine Stunde früher los. Genug Zeit, um zumindest ago mit Meike Boltersdorf zu sehen.
Ich bin immer wieder begeistert, wie übertrieben hochwertig (positiv gemeint) manche Streaming-Events daherkommen, z.B. dieser hier. Bei United We Stream gibt es verschiedene Kameraperspektiven und die Tonqualität ist exzellent. Dazu diese eingeblendeten Info-Banner. Das ist ja praktisch Fernsehen. Wer organisiert das alles? Muss doch teuer sein. Insider-Infos gerne in die Kommentare. Auf jeden Fall toll, irgendjemand hat anscheinend ordentlich Zugriff auf Ressourcen.
ago habe ich bisher zweimal gesehen. Einmal vor drei Jahren im Komma, wo ich den Auftritt ziemlich magisch fand. Das zweite Mal in der Schachtel bei ihrer eigenen Album-Präsentation, wo der Funke zumindest für mich nicht so hundertprozentig übergesprungen ist. Vielleicht fehlte auch das Überraschungsmoment, schwer zu sagen.
Der heutige Auftritt im Komma zieht mich dafür wieder direkt rein. Setting und Songs sind minimalistisch: Synthesizer, bei manchen Songs Gitarre und/oder Bass, teilweise elektronisches Schlagzeug. Ein/e Sänger*in hat die Band regulär nicht, es wird aber mit verhallten Spoken-Word-Samples gearbeitet. Passt gut zum hypnotisch-coolen Synthpop-Vibe.
Als Special Guest ist heute bei einem Stück Sängerin/Pianistin/Solo-Artist Meike Boltersdorf dabei. Und die überzeugt wie üblich mit einer traumhaften Neosoul-Stimme, dass einem nichts mehr einfällt. Wie schafft sie es eigentlich, immer noch eins draufzusetzen? Kaum zu glauben, dass das live gesungen ist (es ist). Der souveräne Auftritt fügt sich gut ins Band-Setting ein, sehr harmonisches Gesamtergebnis. Das Stück an sich gefällt mir auch. Gerne mehr davon.
In Cardiff, der nächsten Station meines persönlichen Mix & Match-Internetfestivals, dauert es noch etwas – technische Probleme.
Zeit, um zumindest noch kurz bei Peter Muffin Trio im Komma reinzuhören. Auch hier sind Bild und Ton wieder mega und der Teil des Auftritts, den ich sehe, ist tight und energiegeladen. Ist der zweistimmige Girl/Boy-Gesang neu? Klingt super. Die Bandmitglieder stehen allerdings so eng zusammen und interagieren ohne groß Abstand zu halten, dass ich mir schon etwas Sorgen mache wegen Aerosolen etc. Aber gut, Band als Art Virengemeinschaft, kann man schon machen. Bitte alle gesund bleiben.
Im Second Screen ploppt das fröhliche Gesicht von Liz Hunt auf, jetzt aber schnell nach Cardiff umschalten. Sie steht alleine auf der Bühne im Club The Moon in Cardiff, Wales. Ihre Band ist heute nur als Backingtrack bzw. virtuell dabei.
Nach einer kurzen Begrüßung geht es direkt los. Ich höre mit Kopfhörern, was dem Ganzen ein noch intimeres Gefühl verleiht als sowieso schon. Der Sound ist auch hier exzellent und ich muss fast weinen, wie schön Liz singt. Das Bild ist etwas ruckelig, egal.
Vor lauter Begeisterung vergesse ich, den ersten Songtitel zu notieren. Ich habe The School noch nie live gesehen, das ist für mich echt etwas Besonderes. Irgendwann lief The School unter dem (wie ich finde) verniedlichenden Genre „Twee.“ Sixties-Girlgroup finde ich die viel aussagekräftigere Referenz. Und von Liz‘ super entspannter Stimme kann ich einfach nicht genug kriegen.
Song zwei ist „Never Thought I’d See the Day“ vom 2012er-Album „Loveless Unbeliever“ (Elefant Records). Liz wirkt sehr locker und happy und entschuldigt sich erstmal, wie ungewohnt es sei, ganz alleine dazustehen und dass sie sich immer wieder selbst daran erinnern müsste, dass sie gerade nicht daheim relaxt unter der Dusche singt, sondern gefälligst konzentriert bei der Sache bleiben muss.
Fans aus Peru, New York und München geben sich in der Chatleiste zu erkennen und werden auf Wunsch namentlich begrüßt.
Das nächste Stück ist „Is He Really Coming Home?“ . Es folgt außerdem ein Hinweis in eigener Sache, dass der Auftritt gleichzeitig ein Fundraiser für LGBTQI-Jugendliche ist.
Für „I Will See You Soon“ vom (noch) aktuellen Album „Wasting and Wondering“ (2015) wird erstmals die Band im (vorproduzierten) Video zugeschaltet.
Total entzückend. Trompete, Geige, Gitarre, Bass, Schlagzeug, alles dabei und alle sehen so nett aus. Goldigster Split Screen ever.
Es folgt „That Boy Is Mine“ und Liz entschuldigt sich prophylaktisch für die vielen Stücke, die noch kommen werden („Got a bit carried away with the setlist“). Soll mir sehr recht sein.
Mit „I Want You Back“ und „Love Is Anywhere You Find It“ schließen direkt zwei meiner Lieblingsstücke an. Gibt es eigentlich irgendwelche Lieder von The School, in denen es nicht um Liebe geht? Egal, schreibt eh keine*r so gut drüber wie Liz.
„I miss my band!“ sagt Liz fast schon ein bisschen verzweifelt. „We’ll play again soon.“
„Sun’s Up“, einen neuen Song, gibt es exklusiv hier und jetzt. Neues Album ist wohl auch schon in Arbeit. Auch bei diesem Stück sind wieder alle Bandmitglieder im Video in ihren jeweiligen Wohnzimmern zu sehen, wahlweise mit Kuscheltieren, lebendigen Katzen oder blinkendem LED-Zeugs im Hintergrund.
Auch die Überhits „All I Wanna Do“ und „Let It Slip“ dürfen nicht fehlen, Liz bekommt zwischendurch Tee gereicht und Musikerkollege Simon Love sendet liebe Grüße via YouTube-Chat („I’m watching this in the bath.“).
Nach achtzehn Stücken ist Schluss und Liz weist nochmal auf diverse Bonus-Features hin, die im für drei Pfund zu erwerbenden Fundraising-Package enthalten sind. Unter anderem ein Interview mit der Band, das ich mir direkt im Anschluss anschaue.
Dort erfährt man etwa, wie sich die Bandmitglieder kennengelernt haben und dass Liz die meisten Songs schon komplett fertig im Kopf hat, wenn sie sie der Band vorstellt. „Perfect Pitch“ habe sie, sagen die anderen, ein absolutes Gehör.
Freue mich sehr, dass ich The School jetzt zumindest als virtuellen Konzertbericht auf Gig Blog unterbringen konnte. Beeilt euch mal mit Impfstoff entwickeln, Scientists, dass ich die Band dann irgendwann auch in echt live sehen kann.
Diesen Sommer hätten The School beim SXSW-Festival in den USA gespielt. Hoffentlich wird das nachgeholt, wäre ihnen sehr gegönnt.