JAH SCHULZ „Record Release Livestream“, 19.03.2020, online, Facebook

JAH SCHULZ "Record Release Livestream", 19.03.2020, Facebook

Foto: Holger Vogt

Es ist und bleibt unwirklich. Der sechste Tag in der Bude und der Hausarrest hat noch gar nicht richtig begonnen. Auf kein Konzert mehr können und keinen von den Konzert-Nerds mehr treffen. Das ist genauso schlimm, wie es sich anhört. „Social Distancing“ at its worst. Am Samstag hätte ich die ganzen Nasen sicher im Yart getroffen, wo Stuttgarts Dub-Großmeister Jah Schulz sein neuestes Album präsentiert hätte. Hat uns ja im gleichen Rahmen schon mal viel Spaß gemacht. Aber auch dieser Gig wurde vom Virus dahingerafft, wie tausende andere. Jah Schulz war aber nach meiner Wahrnehmung der erste, der seine Live-Präsentation kurzerhand in einen Livestream umgemünzt hatte. (Liegt vielleicht daran, dass dies in der international verstreuten Dub-Szene gar nicht so unüblich und bestens erprobt ist)

JAH SCHULZ "Record Release Livestream", 19.03.2020, Facebook

Foto: Holger Vogt

So nehmen wir diesen „Gig“ also als Anlass für eine Premiere: der erste Gig-Blog-Bericht über ein Remote-Konzert! Wo ich heute bereits neun Stunden mit Arbeit verbracht habe, soll nun also Live-Atmosphäre entstehen: Im improvisierten Home-Office im Wohnzimmer. Der Laptop an die Anlage angeschlossen, ein lecker Bier bereitgestellt und mal für zwei Stunden den ganzen Wahnsinn da draußen vergessen. Angenehme Überraschung: der Sound ist wirklich gut. Die Bässe wummern wie im Club. Die Nachbarn dürften ihre Freude haben. Und wie beim richtigen Gig trudeln in der Seitenleiste so nach und nach die ganzen üblichen Verdächtigen rein.

JAH SCHULZ "Record Release Livestream", 19.03.2020, Facebook

Foto: Holger Vogt

Das Video-Setup ist an radikaler Einfachheit nicht mehr zu überbieten: Eine feste Kamera in Vogelperspektive über dem Sammelsurium der elektronischen Geräte. Sie stellt zwar in analytischer Klarheit dar, wie diese hypnotische Musik entsteht, vom Maestro selbst sind in den knappen zwei Stunden aber gerade mal die Unterarme zu sehen. Irgendwie aber auch ganz passend für Jah Schulz, der auch im echten Leben nicht gerade eine Rampensau ist. Die Musik tut jedenfalls ihre Wirkung: auf dem Stuhl wippend beginne ich die ersten Eindrücke in den Laptop zu tippen. Zugegeben, von einem richtigen Club-Besuch ist das meilenweit entfernt, aber nach diesen Tagen voller Katastrophen-Berichterstattung und ersten Symptomen von Lagerkoller ist das ein absoluter Lichtblick. Als die ersten Takte seiner Hits „Praise H.I.M“, „Chanting“ und „Rise & Shine“ erklingen (und die Großflasche des holländischen Starkbiers schon fast geleert ist), klicke ich in meiner Euphorie den diskret platzierten Spendenlink.

JAH SCHULZ "Record Release Livestream", 19.03.2020, Facebook

Foto: Holger Vogt

Denn diese Live-Streams – und sie kommen gerade nicht ohne Grund in Massen – haben natürlich einen ernsten Hintergrund: Wie sollen Live-Künstler in Viren-Zeiten Geld verdienen? Da ist das distanzhaltende Internet die einzige Möglichkeit, trotzdem ein größeres, eventuell sogar zahlendes Publikum zu erreichen. Knapp hundert Zuschauer waren zu den besten Zeiten im Stream. Hoffen wir, dass der ein oder andere auch etwas in den virtuellen Spendenhut geworfen hat. So oder so: Hier entwickelt sich aus der Not eine spannende Darreichungsform von Live-Musik, die in den nächsten Wochen sicher noch häufiger im Gig-Blog gewürdigt werden wird. Und so erfreulich dies alles ist, es ist gleichzeitig beängstigend, dass einem Bilder wie von diesem euphorischen, dicht gedrängten Jah-Schulz-Auftritt schon fast wie ein Relikt aus lang vergangener Zeit vorkommen. Aber diese Zeiten werden auch wiederkommen!

Für alle die nicht dabei waren, gibt es hier den gesamten Stream. Und das präsentierte Album „Right Time – Right Dub“ gibt’s natürlich auch online zu erwerben: digital bei Bandcamp, als Vinyl bei Buyreggae.com.

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