PAULA IRMSCHLER, 07.03.2020, Merlin, Stuttgart

Paula Irmschler, 07.03.2020, Kulturzentrum Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Ich kann nicht mehr genau rekonstruieren, über welchen Kanal ich auf die Autorin Paula Irmschler ursprünglich aufmerksam wurde. Am Anfang waren es jedenfalls ihre sargnagelesken Social-Media-Posts, die mich begeisterten, dann ihre journalistischen Texte und auch der Podcast mit Linus Volkmann.

Groß war die Freude, als sie in den sozialen Medien erstmals von einer bevorstehenden Buchveröffentlichung berichtete (gefühlt noch gar nicht so lange her). Und dann kommt sie auf ihrer Lesetour auch noch ins Merlin, für mich jetzt schon klar, das wird eines meiner Highlights des Jahres!

Im Hauptberuf ist Paula Irmschler inzwischen Titanic-Redakteurin, ich weiß nicht, ob das Buch schon vorher in Arbeit war oder jetzt parallel zum Hauptjob entstanden ist. Und schreibt sie nicht nebenher auch noch alle möglichen anderen Kolumnen?

Jedenfalls Hut ab, wie viele geniale Ideen, überraschende Beobachtungen und zutreffende Kommentare zum politischen Geschehen dieser Frau einfach so die ganze Zeit einfallen. Ich lebe doch auch ein einigermaßen interessantes Leben und verfolge fleißig das Tagesgeschehen, wieso komme ich nicht auf sowas?

Paula Irmschler, 07.03.2020, Kulturzentrum Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Höchstwahrscheinlich, weil viel mehr dahintersteckt an Wissen, Hintergrundrecherche, mit Anderen im Austausch sein, reflektieren, sich educaten als man denkt. Und, weil Paula Irmschler einfach schlau und klug ist.

Doch zurück zum heutigen Abend. Das Buch, aus dem Paula Irmschler heute liest, heißt „Superbusen“. Allein diesen Titel finde ich schon großartig und preiswürdig. Was da alles mitschwingt. Super wie Superkraft, aber auch Größenwahn und Übertreibung. Busen wie Komm an meinen Busen, Busen der Natur. Weibliche Superpower, gigantische Mutter Erde. Gegen Superbusen bist du chancenlos, gib einfach auf, du willst es doch auch.

Der Roman selbst dreht sich um die Protagonistin Gisela (ein ihr selbst eher unangenehmer Spitzname, den wahren Namen erfahren wir nie), ihre prägenden Erlebnisse während ihrer WG- und Uni-Zeit und eine Deutschlandtour mit ihrer mit Freundinnen gegründeten Band Superbusen. Teile der Handlung spielen außerdem während des Naziaufmarsches 2018 in Chemnitz. Die Ereignisse hängen nicht in einem zwingenden Plot zusammen, sondern bilden eher ein mosaikartiges Hintergrundbild zu Giselas Erwachsen-werd-Geschichte.

Im Merlin liegt der 300-Seiten-Roman stapelweise an der Kasse aus. Am Ende des Abends sind alle Exemplare restlos ausverkauft.

Um kurz nach acht geht es los. Der Saal ist angenehm gefüllt, freie Plätze gibt es nur noch wenige. Wasserkrug und Weißweinglas stehen auf der Bühne am Lesetisch bereit. Paula Irmschler trägt Schwarz und sitzt allein im Spotlight. Die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen des Publikums hat sie direkt. Hier lauschen alle gespannt und konzentriert. Und wie toll sehen bitte diese gekonnt nachlässig mit der Hand frisierten blonden Wuschelhaare aus? Unverschämtheit.

Paula Irmschler, 07.03.2020, Kulturzentrum Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

In der Mitte der Lesung gibt es eine Pause, drei Teile aus dem Buch im ersten Teil, drei im zweiten, plus Zugabe. Paula Irmschlers Vorlesestimme klingt angenehm und natürlich. Kann wegen uns ewig so weitergehen.

„Alles fiktiv, aber ihr könnt euch trotzdem Notizen machen“, kommentiert sie die Episode, in der Protagonistin Gisela ihren „Energy Drink Trick“ erläutert, dessen Ausgangssituation beinhaltet, dass man zwei Dosen Energy Drinks im Laden entwenden muss.

Mein Lieblingsausschnitt ist die Szene der Bandgründung im gemeinsamen Low-Budget-Sommerurlaub, in der euphorisch die notwendigen Maßnahmen für die ersten Schritte diskutiert werden und der schöne Satz fällt: „Mir war egal, ob es eine Band würde, ich wollte ganz einfach, dass wir uns nie wieder trennen.“

Als Zugabe gibt es die Lieblingsstelle von Margarete Stokowski, in der die Gedanken um sechs Uhr morgens nach einer durchwachten Nacht beschrieben werden: „Diese Stunde zählt nicht, es ist die Stunde der Anarchie, alles ist erlaubt und alles wird gefühlt.“

Zum Schluss gibt es viel Applaus, Bücher werden signiert und die Künstlerin steht für Fan-Gespräche, gemeinsame Drinks und Subkultur-Erkundungen zur Verfügung.

Bester Abend, Highlight-Erwartung voll erfüllt.

Paula Irmschler, 07.03.2020, Kulturzentrum Merlin, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

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