NAPALM DEATH, EYEHATEGOD, MISERY INDEX, 04.03.2020, Im Wizemann, Stuttgart

NAPALM DEATH, EYEHATEGOD, MISERY INDEX, 04.03.2020, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Madita Nair

„Campaign For Musical Destruction“.
Präziser hätte der Name für diese Tour wohl nicht ausgewählt werden können.

Napalm Death, EyeHateGod, Misery Index, Rotten Sound und BAT sind auf einem brachialen Ritt durch Europa und machen heute Halt in Stuttgart, um Amps, Trommelfelle und den ein oder anderen Torso zu zerstören. Leider beginnt der Abend schon um 18.30 Uhr und so schaffen es unsere alternden Kadaver erst zu Misery Index vor die Bühne. Dafür beginnt für uns der Abend direkt mit der Brechstange. Ich bevorzuge eigentlich eher Black denn Death Metal, aber wenn es nicht zu technisch wird und auch noch ein wenig Platz für das Rotzige bleibt, ist mein Interesse recht schnell geweckt und wenn man ein wenig für Dying Fetus übrig hat, wird man auch Misery Index lieben.

NAPALM DEATH, EYEHATEGOD, MISERY INDEX, 04.03.2020, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Gitarrist Mark Kloeppel informiert uns zu Beginn kurz darüber, wer denn da nun auf der Bühne steht und dann wird sofort das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten und man knallt uns den Opener Embracing Extinction um die Ohren. Das Schlagzeugspiel ist unglaublich schnell und malträtiert in bester Dampfhammer-Manier unsere Köpfe. The Great Depression und Ruling Class Cancelled sind dabei meine Highlights und vereinen die Death Metal Wurzeln mit schmutzigem Punk und Grindcore Anleihen.

Auch vor der Bühne kommt so langsam Bewegung auf und der ein oder andere größere Moshpit flackert so schnell auf wie er auch schon wieder verschwindet. An einem Dienstagabend muss man sich die Kräfte eben einteilen. Misery Index nehmen auf diese „kleiner Mann“-Befindlichkeiten natürlich keine Rücksicht und prügeln weiter munter mit New Salem des aktuellen Rituals Of Power Albums auf das Wizemann ein.

Ich muss mich korrigieren, denn mein Highlight dieses Auftritts ist der letzte Song Traitors. Der Chorus ist unglaublich gut mitreißend und auch das Publikum reißt die Fäuste in die Luft und feiert den Auftritt der Maryland Deathgrinder.

EyeHateGod habe ich noch nie gesehen. Gehört allerdings schon. Und war etwas verdutzt, dass sie inmitten dieser vier Death/Grind-Schwergewichte mit im Billing sind. Geht hier doch alles ein wenig langsamer, träger und unpräziser vonstatten.

EHG sind seit beinahe 30 Jahren tätig und haben mit In The Name Of Suffering zu großen Teilen den Weg für Das geebnet, was die heutige Sludge-Szene ausmacht. Schwere, blueslastige Riffs, Berge von Feedback und gequälter Gesang.

Den zusätzlichen Legendenstatus hat man sich neben der guten Musik zusätzlich noch mit ordentlichem Drogenmissbrauch, diversen Nahtoderfahrungen und Inhaftierungen gefestigt. Der menschliche Körper ist für manch einen eben kein Tempel, sondern ein Vergnügungspark.

Enjoy the ride!

NAPALM DEATH, EYEHATEGOD, MISERY INDEX, 04.03.2020, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Madita Nair

EHG beginnen ihr Set direkt aus dem Soundcheck heraus. Kein Intro, kein Einlauf unter großem Applaus. Das dröhnende Feedback wird angefeuert, Jimmy Bower lässt uns zwischen den Zeilen lesen und Aaron Hill beginnt jammend das Schlagzeug zu bearbeiten. Besonderen Applaus und Freude erhält Mike Williams, als er uns begrüßt mit einer Flasche Wein, von welcher er mehr vom Inhalt neben das Glas vor dem Schlagzeug schüttet als hinein. Da hatte scheinbar jemand Backstage vor Showbeginn schon eine Menge Spaß.

Ein wenig verwahrlost wirkt er ja schon, wenn er auf der Bühne hin und her wankt und den Mikrofon-Ständer hauptsächlich nutzt, um sich auf den Beinen zu halten. Wenn er sich nicht gerade hingebungsvoll und emotional durch die Songs brüllt, oder verwirrte, unverständliche Ansagen von sich gibt,  ist er damit beschäftigt auf der Bühne herum zu rotzen und die Fotografen vor der Bühne halten auch nach den ersten abbekommenen Tropfen angemessenen Sicherheitsabstand zum Sänger. Die Grenzen zwischen unterhaltsamen Suffkopf und gebrochenem Addict verschwimmen im Laufe des Sets mehr und mehr. Musikalisch überzeugen hingegen die Hits Sister Fucker und Shoplift in ihrem siffigen, schweren Gewand absolut, dennoch sucht man immer mal wieder eine Ordnung im teilweise seltsamen Soundchaos.

NAPALM DEATH, EYEHATEGOD, MISERY INDEX, 04.03.2020, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Madita Nair

„We will leave you soon – you’ll never see us again“, kündigt Williams vor dem letzten Song an, nachdem er immer mal wieder mit Leuten aus der ersten Reihe den Mittelfinger ausgetauscht hat. Nachdem der letzte Song Peace Thru War im Feedback vom Anfang ausgeklungen ist, wankt er noch einmal an den Bühnenrand und signiert dann doch freudig ein paar Poster, eines davon gibt er einem Fan aber nicht mehr zurück. Sister Fucker eben.

Nach diesem angenehmen Ausflug in langsamere, zähere Gefilde kann es nun weitergehen mit legendärem Geknüppel.

Im Gegensatz zu EHG betreten Napalm Death unter angebrachtem Jubel im Dunkeln die Bühne und starten mit dem Dreierpack I Abstain, Silence Is Deafening und The Wolf I Feed furios und haltlos wütend. In beachtlichem Deutsch begrüßt uns Barney Green im Anschluss bekanntermaßen mit „Wir sind Napalm Death aus Birmingham“, um im Anschluss wieder wildernd quer über die Bühne rennend Can’t Play, Won’t Pay auf uns einzubrüllen. Ich merke immer wieder, wie mir aus Versehen ein Grinsen ins Gesicht rutscht, wegen dieser Abwechslung aus scheinbar orientierungslosem Hinundherrennen und todernstem, wuterfülltem Brüllen. Absolut charismatisch.

NAPALM DEATH, EYEHATEGOD, MISERY INDEX, 04.03.2020, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Bevor der Klassiker Scum in Fatalist übergeht, hebt Barney während einer mahnenden Ansprache die Wichtigkeit der persönlichen Freiheit hervor und wie diese in unserer heutigen Zeit mehr und mehr bedroht wird. Es sollte nicht die letzte Ansprache für mehr Menschlichkeit an diesem Abend bleiben, welche auch immer wieder ein fester Bestandteil einer Napalm-Death-Show sind.

Mit Logic Ravaged by Brute Force bekommen wir auch einen neuen Song des in wenigen Monaten erscheinenden neuen Albums zu hören, welchen Green als kleinen Einblick in den kommenden, furchtbaren Krach bezeichnet. Mich reißt das nicht ganz mit, wenn Green von Wüten zu cleanem Gesang wechselt. Ich erfreue mich mehr am Krach.

NAPALM DEATH, EYEHATEGOD, MISERY INDEX, 04.03.2020, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Madita Nair

Und mit Krach soll es weitergehen. Das ganze Konzert über flammen immer wieder hier und da kleine Moshpits auf und den kürzesten aller Zeiten gibt es natürlich zu You Suffer. Da muss alles präzise sitzen, der Moment zählt.

Um den Abend und die ganze Haltung der Band abzurunden, bekommen wir zum Ende des Sets zwei Klassiker zu hören, die fest in einer Napalm Death Setlist eingebettet sind, aber gar nicht von ihnen stammen. Und so zeigen uns Napalm Death mit dem Dead-Kennendys-Cover Nazi Punks Fuck Off und White Cross von Sonic Youth, was momentan wichtiger denn je ist und auch, wenn ich selbst Politik und Musik nicht gerne vereint höre, habe ich diesmal als Abschluss für so ein Konzert nichts zu maulen.

Achja, den Rest des Sets verbringt Barney mit dem Kopf in der Bass Drum von Schlagzeuger Dany Herrera. Also genau das, was man an einem späten Dienstagabend tun sollte.

Kampagne erfolgreich abgeschlossen.

Napalm Death

EyeHateGod

Misery Index

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