TESTAMENT, EXODUS, DEATH ANGEL, 22.02.2020, Filharmonie, Filderstadt
Wenn man ein Adjektiv zur Beschreibung von Thrash Metal heranziehen müsste, dann würde man mit “wütend” definitiv nicht daneben liegen. Wütende Musik für eine Zeit, in der man sehr wütend sein kann, nee, muss. Insofern erübrigt sich die Frage ob dieser in den 80ern kreierte Spielart des Metal noch aktuell ist. Ist sie. Überhaupt ist es ein bisschen ungerecht, Thrash Metal als ein von den Jahrzehnten erodiertes Denkmal zu betrachten, sorgt doch die eng gefasste Musikdefinition des Genres für folgendes Problem: dreht man an irgendeiner Schraube, um den thrash-typischen Sound zu modifizieren, landet man in einer anderen Schublade. Bisschen melodiöser -> Speed-/Power-Metal. Bisschen brutaler -> Death Metal. Bisschen primitiver und satanischer -> Black Metal. Punkanteil hoch -> Hardcore-Punk. Da wird’s schwer mit der Modernisierung bei gleichzeitigem Verbleiben in derselben Sparte.
Soll aber mein Problem nicht sein, ich mag Thrash Metal so wie er damals back in the 80ies entwickelt wurde. Und mit gleich drei der stilprägenden Bands, die hier und hier schon mal besprochen wurde, dieser Ära, Bay Ära also (rofl), erhoffe ich und die volle Filharmonie bestens unterhalten zu werden. Drei amerikanische Thrashbands auf Tour, ein bisschen Metal Hammer Roadshow 1986 kommt auf.
Death Angel waren zu Zeiten ihres Debütalbums “The Ultra-Violence” 1987 teils noch nicht alle volljährig. Auch wenn nur noch der Sänger und ein Gitarrist der Urformation dabei sind, wirken die Herren folgerichtig noch sehr frisch. Und klingen auch so. Fiel mir auf ihren Konzerten im LKA 2010 und 2017 schon das technisch anspruchsvolle Spiel und eine gewisse Komplexität der Songs auf, kommt diesmal noch eine erstaunliche Energie hinzu. Vielleicht liegt es an der Songauswahl, welche die thrashigen, direkten Songs in den Mittelpunkt stellt, aber das Set zündet prima von der ersten Minute an.
Der sehr gute Sound hilft dabei enorm, die Klasse von Songs wie dem Urgestein “Voracious Souls” oder dem neueren “The Moth” zu unterstreichen. Die schon früh ertönenden “Death Angel” Rufe der Halle sind der Beleg dafür, dass die Kalifornier hier auf dankbare Abnehmer treffen. Im Gegensatz zum Auftritt vor drei Jahren, der fast schon ein wenig zu glatt wirkte, ist diesmal auch die nötige Portion Schmutz im Sound dabei. Machen wir’s kurz: ein wirklich beeindruckend guter Auftritt, und dass das Weltklasse-Riff des finalen “Thrown To The Wolves” erst 2004 auf die Welt kam und nicht irgendwie mit der geologischen Geburt Kaliforniens mitgeformt wurde, kann ich fast nicht glauben.
Ein paar Betrachtungen in der Umbaupause. Das Publikum ist wie bei solchen Gelegenheiten gerne ein ziemlicher campo de nabos einerseits. Andererseits fällt mir bei Metal-Shows, stärker als bei Konzerten anderer Genres, sehr positiv der stark inkludierende Charakter der Community bzgl. Personen mit Handicaps körperlicher oder geistiger Art auf.
Exodus sind DIE Bay Area Urgesteine. Eine Bandgeschichte, bei der sich Querverweise zu Metallica, Slayer, Testament und, und, und zuhauf finden lassen. Im Vergleich zum Konzert 2010 ist diesmal Sänger Steve „Zetro“ Souza dabei. Langhaariger Jeanswesten-Typ gegenüber hardcorigem Glatzenmann damals. Und das passt nicht nur optisch besser, sondern ich werde das erste Mal richtig warm mit Exodus. Und zwar so richtig.
Klassischer Thrash Metal wird geboten. Derber und direkter als Death Angel, mit einem Schuss Räudigkeit, welche vor allem durch den crunchy Gitarrensound und das Gekeife des Sängers verursacht werden. Das Slayer Gastspiel von Gary Holt ist beendet, und warum er von den Thrashmetalgods gewählt wurde, davon kann man sich hier nochmal überzeugen. Große Ausstrahlung, bombensicheres Spiel und sichtlichen Spaß auf der Bühne. Aber auch Drummer Tom Hunting ist ein richtig, richtig Guter seines Fachs.
Mittlerweile schwimmen schon fröhlich die ersten Fans auf dem Publikum, Exodus Chöre ertönen zwischen den Songs, und ein Moshpit, befeuert von Steve Zousa, rotiert auch prächtig. “Fabolous Disaster” und “Toxic Waltz” sind so zwei Höhepunkte eines Auftritts ohne Schwächen. Es gibt sogar noch eine sehr feine und rührende Szene, als sich die Band am Ende des letzten Songs einen sehr, sehr jungen Fan aus dem Publikum auf die Bühne holt und ihm eine Gitarre umhängt. Kundenbindung der besonderen Art. Als das Hallenlicht angeht, leitet Bob Marleys Exodus in die Umbaupause. Sehr sympathisch und gute Vibes verbreitend das alles, trotz Faust in der Luft Sound.
Schon wieder eine Betrachtung: Gar nicht unclever gewählt ist die Wahl des Auftrittsorts. Der typische Fan für diese Musik kommt halt eher nicht aus den hip-urbanen Innenstadtbezirken, und da liegt Filderstadt dann verkehrstechnisch gar nicht mal so schlecht.
Testament sind die erfolgreichste der drei Bands, und die am wenigsten reine Thrashband heute Abend. Was gleich nach den ersten Minuten auffällt ist, dass die Band mit Chuck Billy den stärksten Sänger in ihren Reihen hat. Nicht nur körperlich. Einmal von dem Mann angebrüllt werden sollte auf jede “things to do before I die”-Liste.
Nicht mehr groß erwähnen muss man das überragende Können des Gitarrenvirtuosen Alex Skolnick. Ein Gigant unter Geringeren. Immer wieder lustig jedoch, dass das sowohl sein graziles Spiel als auch sein Erscheinungsbild ein wenig out of place wirken. Als würde sich ein Zarenprinz inmitten einer Wirtshausschlägerei befinden.
Besonders beeindruckt mich diesmal allerdings der andere Gitarrist Eric Peterson. Mit was für einer Präzision er verboten schnelle Riffs raustackert, das ist schon sehr geil. Als einzig verbliebenes Urmitglied übrigens, der seit Zeiten der Vorgängerformation The Legacy mit dabei ist. In der, übrigens again, noch Steve Zouza zeitweilig der Sänger war, der dann wohl Chuck Billy als Nachfolger vorschlug. Networking damals zu Fanzineszeiten.
Zum Set gibt es zu sagen, dass Testament sich nicht wie Death Angel und Exodus heute Abend hauptsächlich auf ihr thrashiges Schaffen beziehen. Aber auch in ihrer Auswahl aus Songs aller Dekaden sind doch viele sehr harte, schnelle Stücke dabei. Bay Area strikes back, und mit den zwei Bands davor in der beschriebenen Form hat man wohl keine Wahl. Auf “Trial By Fire” und “Alone In The Dark” warte ich auch dieses Mal vergeblich, aber mehr gibt’s nicht zu meckern. “Into The Pit”, “Practice What You Preach” und “Over The Wall” sind eh über alles erhaben. Selbst das brandneue “Night Of The Witch” weiß zu überzeugen.
So bleibt am Ende um 23 Uhr der Eindruck eines formidablen Abends. Für mich absolut überraschend in welcher Form sich die drei Bands präsentiert haben. Die Angst, dass nach über drei Jahrzehnten eine verständliche Saturation sich bei einer so von der Energie lebenden Musik hätte zeigen können, blieb zum Glück unbegründet. Kompliment an alle (und liebe Grüße an die Bay Area).