KAISER QUARTETT, 11.12.2019, Im Wizemann, Stuttgart
Die erste Geige Adam Zolynski fabuliert über Bachfugen und kontrapostische Konstruktionen vorliegender Kompositionen. Martin Bentz, Violoncello, erklärt die Geschichte zum Stück „Stresstest“, welches nach einem ihrer Konzerte mit Chilly Gonzales in Paris direkt nach den Anschlägen 2015, bei dem auf der Galerie Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren patrouillierten, entstand. Bratschist und Komponist Ingmar Süberkrüb baut in „Etude“ absichtlich fingerbrechende Tonabfolgen ein, die dem ersten Geiger den Spaß an seinem Instrument austreiben soll. Und der zweite Geiger Jansen Folkers anekdotet ausführlich zum Zupftrack „Schramm“.
Kaiser Quartett is in da house, genauer: Im Wizemann Club. Zu wenige Menschen lassen sich heute von einem berührenden, schmissigen, lustigen, elegischen, poppigen, sub- und//oder hochkulturellen oder schlicht sehr schönen Konzert begeistern.
Neben ihren hübschen Anzügen mit abwechselnden Einstecktüchern fällt auf, dass die vier Fiedler sogar die gleichen Schuhe tragen, das schätze ich sehr, weil konsequent zu Ende gestylt. Cellist Bentz trägt allerdings dunkelblaue Socken anstatt wie die anderen schwarze, dieser Teufel der Individualität. Er versöhnt dadurch, indem er bei jedem Applaus bedankend mit dem Kopf nickt und die Lippen zu einem unhörbaren
Dankeschön – Dankeschön – Dankeschön
bewegt. Sehr charmant.
Überwiegend werden die eigenen Kompositionen des 2019 ersten erschienen Albums präsentiert. Es sind Tracks wie auf einem Popalbum: kurze Stücke, theoretisch alle als Singles auskoppelbar. Ein Konzept, das den Solo I bis III Alben von Gonzales zugrunde liegt und einen beachtlichen Erfolg erzielte. Der Kanadier und das Kaiser Quartett brachten 2015 zusammen das Album „Chambers“ heraus und gingen damit groß auf Tournee, u. a. waren sie damit auch in der Liederhalle, siehe hier.
Bei aller Zugänglichkeit sind es keine stumpf gestrickten Streichereien, siehe Adams Ausführung in der Einleitung. Es sind ansprechende, freundlich-melancholische Konstrukte, die nicht zu viel verlangen. Verweis: Krautrock-Produzentenlegende Conny Plank (Kraftwerk, Neu, Devo, DAF, Eno usw.) riet sinngemäß seinen Schützlingen: Seit nicht cleverer als eure Hörer. Für mich schimmert in Kaiser Quartetts Musik das Minimal Music Konzept Steve Reich´scher Prägung durch: Simplizität und Transparenz.
Die vier Kölner schmücken den Abend auch mit Fremdperlen: An einer Stelle wird „Chase“ vom Elektropionier Giorgio Moroder gegeben. An anderer Stelle erinnert das virtuos arrangiert Daft-Punk-Medley von Ferne an die Wildheit Schostakowitschs. Letzteres ist einfach so dahinbehauptet, klingt aber gut.
Provokante These A: Wenn das Celloquartett Apocalyptica mit ihren Metal-Covers auf der linken Außenbahn ranzt und auf der rechten André Rieu sülzt, erfreuen das Kaiser Quartett aufgeklärte Ohren auf der Mittelbahn.
Provokante These B: Wenn sich der Postmodernismus durch das angstfreie Vermischen von Stilen aller Epochen hervorhebt und damit das künstlerische Schaffen auf ein neues Niveau bringt, dann ist das Kaiser Quartett der Tarantino der gestrichenen Musik.
Als Zugabe spielen die Herren mit ad-hoc eingespielten Publikumssamplings (Claps etc.) „Behind The Wheel“ von Depeche Mode und „Alone In Kyoto“ von Air. Eine sehr bemerkenswert-kenntnisreiche Wahl. Die Zuhörer sind sehr angetan von Kaiser Quartetts Musik. Das Kaiser Quartett ist sehr angetan von Zuhörers Zuspruch. So muss es sein.
Und mindestens ein Leser ist sehr angetan von der Kritik…