WELLE: ERDBALL, 10.11.2019, LKA, Stuttgart

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Foto: Alexander Ritz

Auf die Zeit um die Jahrtausendwende wird man wahrscheinlich einmal zurückblicken als die goldene Ära der Musik. Außer für Leute, die in der Industrie arbeiteten, für die diese Zeit wohl ein ganz dunkles Kapitel war, als sich die Verkaufszahlen im Sinkflug befanden und alles ganz schlimm war. Aber für uns gemeine (sic!) Musiknerds war es das absolute Eldorado. Niemals zuvor – und auch seit dem nicht mehr – war es so einfach an neue Musik zu kommen und einem unbekannte Bands zu entdecken. So bin ich seinerzeit auf einer der gängigen File-Sharing-Plattformen über „Welle: Erdball“ gestolpert. Der komische Name (das namensgebende Radiohörspiel von 1928 war mir nicht bekannt) und Song-Titel wie „Starfighter F-104G“, „Apollo XI/V1/V2/Aggregat 4“ und „23“ machten neugierig. Schnell geklickt, heruntergeladen und voll abgefeiert. Minimale Beats stampfen um süßliche NDW-Melodien und halten Schilder mit ironischen Texten über Technik, Gesellschaft und Verschwörungstheorien hoch.

Dass sich die Band als imaginärer Radiosender versteht und auch Konzerte als solche aufbaut, dass sie von Hannes „Honey“ Malecki und Alf „A.L.F.“ Behnsen in den frühen 1990ern gegründet wurde aber Alf seit diesem Jahr nicht mehr dabei ist, dass auch die beiden Damen M.A. Peel und Miss Moonlight neu sind und vieles mehr aus dem W:E-Universum habe ich bislang nicht gewusst. Denn über diese eine Platte hinaus, die ich immer wieder gerne hörte, habe ich mich mit dieser Band dann doch nicht beschäftigt. Ich hätte auch nie gedacht ein Konzert zu sehen, bis sie eben nach — laut eigener Aussage — knapp 20 Jahren wieder hier bei uns im LKA landeten.

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Foto: Alexander Ritz

Sprichwörtlich landeten, denn das Konzert begann mit der Titelmusik der Serie „Dr. Who“. Auf den Videowänden materialisierte sich die TARDIS aus der die Band auf die Bühne stieg um mit aufklappbaren Android-Masken verhüllt eine Playback-Version von Kraftwerks „Die Roboter“ aufzuführen. Was von Inhalt und Stil her das Setting schon sehr gut vorgibt.

Sie schaun durch dich hindurch
sie kontrollieren Dich.
Sie sehn’ den neuen Mensch in Dir,
ein Mensch aus Glas

Honey steht dabei von Anfang an im Mittelpunkt, mit schwarzer Sonnenbrille und schwarzem Einreiher, wie ein Steampunk-Conférencier, die beiden Damen in Catsuits an den Bühnenrändern halten Schilder mit Parolen hoch. Der neue Mann c0zmo am Synthesizer wird den ganzen Abend über nicht sonderlich in Erscheinung treten, er verrichtet seine Arbeit im Hintergrund, auch als er bei einem Song zur Keytar greift. Einzig als das „fünfte Bandmitglied“ vorgestellt wird, fällt der Lichtspot kurz auf ihn. Er hält sein Keyboard hoch damit die Leute den darauf montierten Commodore 64 sehen können, der tatsächlich als Instrument verwendet wird. Die Chiptune-Sounds, wie extra betont wird, werden nicht vorgesampelt abgespielt sondern Live im SID auf der Bühne erzeugt. So der Brotkasten denn mitspielt, was bei betagter Hardware ja nicht immer der Fall ist. Es klappte aber alles. Auch mit dem Nintendo DS, der die musikalische Unterstützung für den Song „Die Liebe der 3. Art“ liefert.

Der rote Faden, dass es sich bei Welle: Erdball nicht um eine Band oder ein Konzert handelt, sondern eigentlich eine Radiosendung ist, blitzt in den Ansagen immer wieder durch („da schalten wir mal rein“). Auch wird das Publikum konsequent mit „Sie“ angesprochen, was etwas befremdlich und distanziert wirkt, aber irgendwie auch sehr gut passt.

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Foto: Alexander Ritz

Bei den poppigeren Songs im Set, meist die mit locker-flockigen NDW-Melodien, singen auch mal M.A. Peel und/oder Miss Moonlight, die inzwischen ihre Catsuits durch rote Pettycoats ersetzt haben und später noch in Glitterkleidern dastehen werden. Aber meistens ist Honey am Mikrofon. Seine sonore Stimme ist neben den verspielten Sounds ein großes Merkmal der Band. Er scheint verschiedene Stile zu kopieren, hat mal eine Intonation die an Gabi Delgado angelehnt ist oder klingt wie ein Bela B. im Elektro-Remix, und hat dabei doch seinen ganz eigenen Charme. Und er zeigt, dass im LKA mit so einer Stimme und trotz lauter Musik ein Klang möglich ist, der jeden Zuhörer packt und man trotzdem jedes Wort versteht (Shout-Out an Andrew Eldritch, der vor ein paar Wochen an gleicher Stelle zum wiederholten Male enttäuschte).

Gadgets sind auch ein wichtiger Bestandteil einer Welle: Erdball-Show. Und wie meine Recherchen im Vorfeld ergeben sind diese schon seit vielen Jahren am Start. Da ich aber heute zum ersten mal da bin ist das alles neu für mich. So werden riesige Luftballons ins Publikum gelassen („23 Stück, natürlich, und wie immer ist in einem ein 50-EUR-Schein“), Papierflieger werden geworfen (bei „Starfighter F-104G“), auf einem Theremin musiziert und mit einer Super-8-Kameras gefilmt. Und es gibt die Geschlechtermaschine. Eine große Trommel die von M.A. Peel gedreht wird und über die zwischen den beiden Mikros von Honey und Miss Moonshine hin- und hergeschaltet wird, während die beiden ein Lied singen, was einen interessanten Stimmen-Mix gibt.

Monoton und Minimal
Meine Welt ist ganz total
Alles was ich will ist da
Monoton und Minimal

Die Retro-Futuristische Elektro-Pop-Gala im Dark Mode kommt nach rund zweieinhalb Stunden zum Ende. Das klingt lang, doch man war die ganze Zeit über sehr gut unterhalten. Zur letzten Zugabe, dem sprichwörtlichen Rausschmeißer, kam auch Support-Act Rroyce nochmal auf die Bühne. Diese haben im Vorfeld bereits mit einer für Vorbands recht üppigen Spielzeit von knapp einer Stunde ihren eigentlich ganz okayen Synth-Pop zum besten geben dürfen, der mich in den weicheren Momentan aber auch an Camouflage oder Wolfsheim erinnerte. Mit einem weitern Cover, ausgerechnet einem Gitarren-Lied, Billy Braggs „A New England“, wurden die Leute dann nach Hause geschickt.

Welle: Erdball

Rroyce

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