ARCHIVE, 30.10.2019, Im Wizemann, Stuttgart
25 Jahre haben die Briten von Archive mittlerweile auf dem Buckel. Anfangs noch als Trip-Hop-Band in London gegründet, hat sich das Künstlerkollektiv der beiden Gründungsmitglieder Darius Keeler und Danny Griffiths über die Jahre immer weiter Richtung Post- und Indie-Rock entwickelt und ordentlich Fans um sich geschart. Grund genug jedenfalls um das Vierteljahrhundert mit der 4-fach-CD „25“ und der dazugehörigen Tour zu feiern. Also auf ins Wizemann um Archive zum zweiten Mal live zu sehen.
Dort angekommen stelle ich erstmal fest, dass die ganz Jungen im Publikum fast komplett fehlen. Reife Musik für reife Fans also. Und mir wird wieder bewusst warum das Wizemann für Konzerte so viel besser geeignet ist als das LKA. Selbst wenn man weiter hinten steht, hat man einen freien Blick Richtung Bühne. Und… – auch nicht so ganz unwichtig – an sein Bier kommt man auch ratzfatz.
Archive sparen sich die Vorband und legen relativ pünktlich los. Das Wizemann wird in grünes Licht gehüllt und es folgt ein ziemlich langes Intro, dass sich über viele Minuten klammheimlich steigert bis sie dann in 8-köpfiger Formation auf der Bühne stehen. Das Wizemann jubelt. Mit dem 20 Jahre alten „You Make Me Feel“ eröffnen Archive ein grandioses Konzert, das uns durch die komplette Schaffensphase der Briten führen wird. „Fuck U“, einen ihrer größten Hits bringen sie gleich hinterher. Wir singen:
Can’t believe you were once just like anyone else.
Then you grew and became like the devil himself.
Pray to god I can think of a nice thing to say.
But I don’t think I can so fuck you anyway
Die Stimmung im Wizemann ist besonders. Die Menge rastet zwar nicht aus (dafür sind wir wohl auch bei der falschen Band), aber bewegt sich fast ausnahmslos zur Musik. Ich bin jedenfalls froh, dass das Wizemann nicht, wie einige der anderen Konzertlocations, die Archive während ihrer Tour bespielen, bestuhlt ist. Ganz hinten tanzt eine jüngere Frau komplett in die Musik versunken mit geschlossenen Augen und dem Rücken zur Bühne. Ich höre glücklicherweise weder nervendes Gequatsche, noch habe ich dauernd filmende Handys vor der Nase.
Und auch Archive selbst haben es nicht so mit quatschen. Mit der kurzen Begrüßung „Hello Stuttgart“ nach dem dritten Song „Pills“ haben Archive schon ein Viertel aller Worte verloren, die sie heute Abend zu uns sagen werden. Die Briten lassen lieber ihre Musik für sich sprechen. Mal eher trip-hop-lastig, mal eher post-rockig und mich an meine Lieblingsband Sigur Rós erinnernd, mal eher ruhig und sentimental. Dazu gibt es eine wundervoll spacige Lightshow, die das Wizemann mal hypnotisch und mal stroboskopartig in wechselnde Farben hüllt ohne dabei in Effektgewichse auszuarten, sondern einfach nur ziemlich stimmungsvoll die Musik untermalt.
17 Stücke umfasst die Setlist, was bei Archive allerdings nicht bedeutet, dass das Publikum in 70 Minuten abgefertigt wird. Im Gegenteil. Die Briten lassen sich – wie auch auf ihren Alben – Zeit, lassen ihre Songs sich entwickeln, sie zusammenfließen und ineinander übergehen. Oft singen Pollard Berrier oder Dave Penn. Aber vor allem wenn Sängerin Maria Q, die Archive auf dieser Tour wieder einmal begleitet, am Mikro ist, schmelze ich dahin. Was für eine wahnsinnig intensive und schöne Stimme. „Collapse/Collide“ und „Whore“ haben es mir ganz besonders angetan. Ich lausche mit geschlossenen Augen.
„Controlling Crowds“ ist dann erstmal das letzte Stück, wobei Archive auch hier auf Rockstargepose verzichten und nach nur wenigen Sekunden Applaus und Zugaberufen mit „Bridge Scene“ und „Again“ nachlegen. Hammer. Als nach fast 2 ½ Stunden das Licht angeht, kann ich gar nicht glauben wie schnell die Zeit vergangen ist. Archiv bedanken sich mit einer artigen Gruppenverneigung bei ihren Fans und verlassen die Bühne. Und wir sind einfach nur glücklich hiergewesen zu sein. Auf die nächsten 25 Jahre.
- You Make Me Feel
- Fuck U
- Pills
- Bullets
- Kings of Speed
- Wiped Out
- Pulse
- System
- Whore
- Baptism
- Remains of Nothing
- Erase
- Fish
- Collapse/Collide
- Controlling Crowds
Zugaben:
- Bridge Scene
- Again