NEW MODEL ARMY, 26.10.2019, LKA, Stuttgart
Eine bange Frage liegt über den Vorbereitungen für dieses Konzert: Werden New Model Army, Helden meiner Jugend, ihr Image und damit auch meine nostalgischen Erinnerungen genauso nachhaltig beschädigen wie kürzlich The Sisters of Mercy an selber Stelle? Kurioserweise habe ich es auch bei ihnen nie geschafft, sie mal live zu sehen. Nur als Red Sky Coven sah ich Justin Sullivan irgendwann in den Neunzigern im Alten Schützhaus und habe diffuse, aber positive Erinnerungen an einen kreuzsympathischen und sehr engagierten Künstler. Und genau wie Eldritch und seine Mannen hat er das LKA ausverkauft. Etwas bunter ist das Publikum, vom Altersschnitt her aber ähnlich. Um die vierzig, würde ich sagen.
Die Stuttgarter Rocklegende Helga Pictures sollte nach ihrer überraschenden Zweidrittel-Reunion im Vorprogramm zu sehen sein. Infolge eines juristischen Disputs musste dieser Auftritt aber im allerletzten Moment in „Zam Helga“ umbenannt werden. Was dem geneigten Zuhörer aber ziemlich schnurz ist, denn – seien wir mal ehrlich – der charismatische Frontmann ist es, der diese Band immer ausgemacht hat. Und der auch heute Abend voll zu überzeugen weiß. Sympathisch und emotional leitet er die Helga-Pictures-Songs mit kleinen Anekdoten ein. Und präsentiert sie mit so viel Verve, dass er das für seine besonders große Band-Treue bekannte NMA-Publikum sogar zu ausgiebigem Applaus bewegen kann.
Ganz anders als die Sisters of Mercy haben sich New Model Army nie auf ihrem alten Ruhm ausgeruht und touren aktuell mit ihrem brandneuen fünfzehnten Studioalbum „From Here“, dessen Cover folgerichtig den Backdrop ziert.
They say there is no rest for the wicked ones
Mit dem Titelsong „No Rest“ ihres 1985er-Albums legen Sullivan und seine Band einen Blitzstart hin. Das Publikum ist umgehend auf Betriebstemperatur. Mit „Never Arriving“ und „The Weather“ schieben sie sofort zwei Tracks vom neuen Album hinterher. Und siehe da, die fallen überhaupt nicht ab gegenüber dem Klassiker. Vielleicht nicht mehr ganz so zornig, aber immer noch der typisch melodiöse Indie-Rock mit Mitsingqualitäten. Jetzt könnten kritische Gemüter bemängeln, dass sich ihre Musik in den letzten 35 Jahren ja nicht allzu viel entwickelt habe. Wenn man aber sieht, wie sich Altersgenossen mit mediokrem Best-of-Programm über die Runden retten, dann ist das hier eine erfreuliches musikalisches Erlebnis auf hohem Niveau.
Und Sullivan wäre nicht Sullivan, wenn er zwischen den Songs nicht politische Statements abgeben würde. Zum Beispiel über den „Fucking Brexit“, bei dem er nicht wisse, was wohl zuerst fertig werde, besagter Brexit oder der Stuttgarter Bahnhof. Mit solchen Jokes hat er das Stuttgarter Publikum natürlich sofort. Und auf die Frage, was denn schlimmer sei, die Thatcher-Ära oder der Brexit, meint er nur lapidar, das eine sei die späte Folge des anderen.
Schon ziemlich früh im Programm: der Überhit „51st State“, angesichts der wirren Neuorientierung der Brexiteers leider aktueller denn je. Für das Konzert ein erster Höhepunkt, besonders exaltierte Fans lassen sich zu einem Ausdruckstanz über die Menge heben. Sind das eigentlich Angehörige dieser berühmten Gruppe von Hardcore-Fan, die der Band zu allen Konzerten nachreisen?
Und noch ein weiterer Unterschied zum Sisters-Gig fällt auf: Der Sound ist hervorragend. Druckvoll bis in die letzte Reihe, jedes Wort deutlich zu verstehen. Immer wieder erstaunlich, wie stark der Erfolg eines Konzerts vom Können des Manns am Mischpult abhängt. Und so entwickelt sich dieser Gig zu einem rundum feinen Erlebnis bei bester Stimmung. Nicht das Konzert des Jahres, aber eine rundum solide Leistung einer Band, die sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruht. Nur eines, liebes LKA, mag meine Begeisterung etwas trüben: 4,30 Euro für ein abgestandenes 0,4er Bier im läpprigen Einwegbecher, das ist wirklich frech!