WALLIS BIRD, 21.10.2019, Theaterhaus, Stuttgart

WALLIS BIRD, 21.10.2019, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Armin Kübler

Frühjahr 2006, Rockfabrik Ludwigsburg. Drei Bands spielen um einen Slot auf dem Southside-Festival, der irgendwann um die Mittagszeit gewesen sein sollte. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem spontanen Wettbewerb im Dosenstechen mehr Zuschauer*innen anzulocken, wird hoch gewesen sein. Die Namen zweier Bands hatte ich schon auf dem Nachhauseweg vergessen oder nicht verstanden. Wie bei solchen Events ist es ja oft üblich, dass die Zuschauenden mit abstimmen können. Entsprechend charterten eben jene beiden Bands je einen Bus und packten 50 Leute und diverse Kisten Bier hinein, was zu zwei lautstarken Fan-Gruppierungen und immerhin zu dann insgesamt 120 Gästen führte.

Die dritte Band des Abends hatte keinen Bus voll trunkener Fans dabei und der Name der Künstlerin sagte niemandem im Raum etwas – wahrscheinlich nicht einmal der Jury, in der sich unter anderem der Gitarrist der Band Madsen befand. Ihr Name lautete Wallis Bird und begleitet wurde sie durch die Brüder Christian (Schlagzeug) und Michael Vinne (Bass). Sie spielten die anderen Bands tatsächlich an die Wand und am Ende des Abends gab es bei allen im Raum keinen Zweifel, wer die große Bühne bespielen sollte.

WALLIS BIRD, 21.10.2019, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Armin Kübler

Meine Aufmerksamkeit richtete sich in den folgenden Jahren immer eher auf die Konzerte als auf die Studioarbeiten: Mein letztes Konzert in der Röhre, ein zufälliger Konzertbesuch in Amsterdam und schließlich letztes Jahr mein Konzerthighlight des Jahres im Scala in Ludwigsburg: Wallis Bird überzeugte und begeisterte mich bei jeder Gelegenheit. So viele Jahren nach den ersten erlebten Auftritten und einigen Jahren Pause (warum eigentlich?), fallen mir nun im Theaterhaus deutliche Unterschiede auf: Die Musik hat sich weiterentwickelt. Zum anfänglichen Übergewicht des Folk/Pop ist ein wenig Soul dazugekommen und die Gewichtung ist insgesamt mehr beim Pop. Die Instrumentierung hat sich ebenfalls geändert. Die saitenverkehrt gespielte Akustik-Gitarre steht – inklusive einem sehr hohen Verschleiß an gerissenen Saiten – immer noch im Zentrum, wird aber durch Stimm-Effekte, Stage-Piano und Loops sehr gekonnt und effektvoll ergänzt. Und schließlich Wallis Birds Stimme: In meiner Erinnerung fiel sie vor vielen Jahren noch häufiger ins „Rauhe“, wohingegen sie heute meist bei ihrer klaren Stimme bleibt, dabei aber genauso kraftvoll wie eh und je. Eines ist ebenfalls immer noch gleich – die Energie. Selten habe ich eine Sängerin erlebt, die so viele Emotionen auf der Bühne zeigt, wie Wallis Bird. Das ist nie zu viel, sondern das ist genau sie. Ob es die freundliche Begrüßung des Publikums vor dem ersten Song ist oder die Unbeschwertheit der ersten alten Lieder zu Beginn des Abends („Counting To Sleep“, „The Circle“). Ich will einstimmen in eine zentrale, kämpferische Zeile des des Songs „That‘s What Life Is For“ und des ganzen Abends, vielleicht des ganzen neuen Albums „WOMAN“:

„We could be equal!“

WALLIS BIRD, 21.10.2019, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Armin Kübler

Die Emotionalität zeigt sich aber auch bei den ruhigen Stücken. Das simpel wirkende, aber alleine am Stagepiano und hinsichtlich der Tonalität nicht einfache „Change“. Das gänzlich a capella gesungene „Home“ oder das zu Tränen rührende Abschlussstück „In Dictum“, zu dem sie ihren langjährigen Begleitmusiker Aidan Floatinghome (z.B. auch Gitarrist bei Sam Vance Law und Support auf der jetzigen Tour) und die Musikerin Emma Greenfield auf die Bühne holt. Da steht sie, sichtlich berührt; die Gitarre wieder von einer Saite verlassen, aber die beiden Sänger*innen hinter ihr und vor ihr das in ihren Bann gezogene Publikum.
Das teilweise inflationär gebrauchte Wort „herzlich“ fällt mir da ein. Herzlich ist Wallis Bird in jede Richtung – ob Trauer, Schmerz, Humor, Freude. Das wirkt alles in ihre Musik hinein und das strahlt sie persönlich auch alles auf der Bühne aus. Man kann es dann kaum glauben, dass Wallis Bird zehn Minuten nach Ende des Konzerts strahlend am Merch-Stand auftaucht, mit einer Flasche Whiskey, behelfsmäßigen Kaffeetassen und Gemüse-Sticks mit Hummus aus dem Backstage-Bereich in der Hand. Es wird fleißig ausgeschenkt und begrüßt, umarmt und sich einfach gefreut. Ob sie sich noch an das Konzert damals in der Rockfabrik erinnern könne. „Oh klar – das ist aber schon echt lange her!“ Ein herzliches Lachen – cheers!

WALLIS BIRD, 21.10.2019, Theaterhaus, Stuttgart

Foto: Armin Kübler

Wallis Bird

Floatinghome

2 Gedanken zu „WALLIS BIRD, 21.10.2019, Theaterhaus, Stuttgart

  • 23. Oktober 2019 um 15:03 Uhr
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    Hallo Chris, ich war damals auch in der RoFa, hab für Beck´s fotografiert und fand sie auch unglaublich!

  • 23. Oktober 2019 um 18:35 Uhr
    Permalink

    @Reiner: Das ist ja witzig! Die Welt bzw. die Region ist klein. :)

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