THE SKINTS, 11.10.2019, Café Central, Weinheim
The Skints und Live-Konzerte, das ist eine leidvolle Geschichte für mich. Dreimal habe ich die Band aus London bereits gesehen, aber so richtig geil war es nie. Bei einem dieser undankbaren Nachmittags-Slots auf dem Chiemsee Reggae Summer 2012 bin ich auf die Skints erstmals aufmerksam geworden. Die junge Band hatte gerade erst ein Album herausgebracht. Als 2013 dann aber „Part & Parcel“ herauskam und sie zu einem Club-Gig nach Stuttgart kamen, waren die Erwartungen hoch. Als Support für State Radio waren sie in der Stadt, doch aus unerfindlichen Gründen hat der Veranstalter das Konzert ohne Ankündigung um eine Stunde vorverlegt, sodass ich gerade noch einen Titel mitbekam. Einen Bericht dazu gibt‘s trotzdem. Ein Jahr später waren sie für den Keller Klub gebucht. Hier hatte der Veranstalter die grandiose Idee, ein Doppelkonzert mit einer Blues-Rock-Band zusammenzustellen. Das Resultat: zwei Publikumshälften, die sich jeweils überhaupt nicht für das andere Konzert interessierten. Na toll! Die Stimmung war entsprechend mau. Noch eine vertane Chance. (Hier ist der Bericht dazu.)
Dabei hat mich der besondere Skints-Stil aus Reggae, Ska und Rocksteady, Pop, Rock und Dub immer gepackt. Die Alben laufen seit Jahren in Heavy Rotation bei mir, insbesondere das Konzept-Album „Skints FM“. Nach vier Jahren wurde zum Erscheinen des Albums „Swimming Lessons“ endlich wieder eine große Tour mit ein paar Gigs in Deutschland angekündigt. Die für uns nächstgelegene Location: das Café Central in Weinheim. Das bedeutet erstmal: mindestens zwei Stunden Autobahn im Feierabendverkehr. Andererseits eine Location, die mir 2015 mit Agent Fresco das Konzert des Jahres bereitet hatte. Geben wir den Skints also eine vierte Chance. Auf nach Weinheim!
Und die Rahmenbedingungen sind perfekt: ein sympathischer Laden mit freundlichem Team, der Saal nicht zu groß, die Bühne nicht zu hoch, eine anständige Beleuchtung und die Anlage üppig dimensioniert, wie wir von Agent Fresco wissen. Das Publikum ist zahlreich genug, um den Saal gut zu füllen, aber kein Gedränge aufkommen zu lassen. Zudem in bester Freitagabend-Stimmung. Darunter eine Abordnung der lokalen Skinhead-Szene und ein paar Mod-Girls. Das Konzert ist Teil eines Northern-Soul-Ska-Early-Reggae-Abends und der DJ – eigentlich in diesem Kontext eher der „Selector“ – wärmt mit einem feinen Jamaican-Ska-Set vor. Und als die Skints kurz vor halb neun die liebevoll dekorierte Bühne betreten, spüren alle im Saal: das wird ein Fest!
Was dann aus den Boxen klingt, erfüllt allerhöchste Ansprüche. Aus dem Stand ein wohlausgewogener Reggae-Sound auf einem fetten Bassfundament. Wow! (Da hat der Soundmann hervorragende Arbeit geleistet) Obwohl es die Skints mit „Just Can’t Take No More“ erstmal ruhig angehen, ist das Publikum vom ersten Moment an in Bewegung. Anders als das Bühnenlayout vermuten lässt, ist Marcia Richards nicht die klassische Frontfrau. Es ist eher Gitarrist Josh Waters Rudge, der sich immer wieder ans Publikum wendet und mit seiner ehrlichen Begeisterung die Freitagabend-Stimmungsspirale immer weiter antreibt.
Die Besonderheit der Skints ist, dass sie mit drei markanten, sehr unterschiedlichen Singstimmen für jeden Stil bestens aufgestellt sind. Für mich ist der heimliche Star Drummer Jamie Kyriakides, der mit einer besonders wohlklingenden Tenorstimme für die gefühlvollen Songs zuständig ist und dazu auch noch einer der raffiniertesten Reggae-Drummer ist, die ich kenne. (Einziger kleiner Kritikpunkt: hier wäre ein Drum-Podest schön gewesen, um ihn auch angemessen in Szene zu setzen). Wenn’s ums „Toasten“ und derben Londoner Akzent geht, sind die Vocals von Gitarrist Josh gefragt. Und Marcia Richards ist in beiden Singstilen zu Hause, womit sie sowohl mit Jamie als auch Josh tolle Duette hinlegt.
Dabei wäre sie mit der Menge an Instrumenten, die sie spielt, eigentlich schon vollbeschäftigt. Sie sorgt nicht nur für die pulsierenden Reggae-Keyboard-Sounds, sie schießt aus dem Drum-Pad immer wieder Effekte ab, spielt dazu (!) Saxofon, Melodica, Querflöte und Gitarre. Oder rappt in schwindelerregendem Tempo wie zum Beispiel bei „Ra-ta-tat“. Mit Songs wie diesem, oder auch „Rise Up“ oder „Live East Die Young“ schreiben die Skints den Soundtrack der englischen Metropole und werden völlig zu Recht als die urbane britische Reggae-Band bezeichnet.
Etwa in der Mitte des Sets: „This Town“, mein Lieblings-Titel . Wie so viele Tracks der Skints changiert er zwischen vielen Stilen. Da wird getoasted, gedubbt und gerappt. Und unter allem liegt der unwiderstehlich treibende Bass von Jonathan Doyle. Gut neunzig Minuten geht die Party, die Luft ist zum Schneiden dick, der Schweiß läuft in Strömen, kein Bein bleibt unbewegt. (Noch nicht mal das unseres Fotografen!) Und sogar Marcia Richards kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dies ist definitiv ein Konzert der Referenzklasse. Die Band ist in Top-Form und das Publikum auch. Weite Teile werden textsicher mitgesungen. Mit dem finsteren „Culture Vulture“ vom Erstlings-Werk „Live, Breathe, Build, Believe“ endet der offizielle Teil – auch wenn besonders engagierte Fans schnell noch versuchen, durch handschriftliche Ergänzungen die Setlist zu verlängern.
Mit einer üppigen Zugabe verabschieden sich die Skints dann endgültig von der Bühne. Nach der Reggae-Version von Al Greens Let’s Stay Together setzen die vier Londoner einen fulminanten Schlusspunkt mit dem Reggae-Dub-Metal-Kracher „Learning To Swim“. Wir verlassen das Café Central jedenfalls mit dem sicheren Gefühl, dass dieses Konzert jede noch so weite Anreise wert gewesen wäre. Und ich mit der Frage, ob dieser Auftritt vielleicht sogar meinen bisher besten Gig 2019 vom Thron stoßen kann…
Setlist
Just Can’t Take No More
Restless
Lay You Down
New Kind of Friend
Rubadub (Done Know)
Rat-at-at
What Did I Learn Today?
The Forest for the Trees
Where Did You Go?
La La La
This Town
I’m a Fool
Friends & Business
Armageddon
Rise Up
Love Is The Devil
Culture Vulture
Sunny Sunny
Let’s Stay Together (Al Green Cover)
Learning To Swim
Wie immer ein klasse Bericht und richtig tolle Fotos…. man meint, man war dabei… stark. Weiter so…Gruss aus Kirchheim Klaus.