JAMBINAI, 29.09.2019, Manufaktur, Schorndorf
Dass Korea musikalisch weit mehr zu bieten hat als K-Pop, das hat die Manufaktur ja bereits letztes Jahr mit dem Gig der Indie-Rocker Say Sue Me bewiesen. Mit Jambinai haben die Schorndorfer heute allerdings eine Band auf der Bühne, die – anders als die erwähnte Indie-Band mit ihrem eher internationalen Sound – wirklich nur aus Korea kommen kann. Denn Jambinai spielen neben klassischen Rockinstrumenten auch einige traditionelle koreanische Instrumente. Wie die Röhrenspießgeige Haegeum, das zither-ähnliche Saiteninstrument Geomungo oder Blasinstrumente wie die Piri, das Taepyeongso oder das spektakuläre Saenghwang (das aussieht, als entstamme es einem Steampunk-Film).
Nun sind ja Crossover aus Stilen verschiedener Kulturkreise nicht unbedingt etwas Neues, was Jambinai aber als Synthese aus koreanischer Musik, Postrock, Drone und Metal produzieren, das ist deutlich mehr als die Summe aller Teile. Fürwahr keine leichte Kost, aber ein mitreißendes Erlebnis für neugierige, musikalische Grenzgänger. Und von denen haben sich, trotz Sonntagabend knapp hundert in der Manufaktur eingefunden.
Frontmann Ilwoo Lee eröffnet das Set mit einem zarten Solo auf der Piri, das er auf der Loopmaschine vervielfältigt und weiterlaufen lässt. Als er dann zur Gitarre greift, ahne ich, dass es jetzt gleich etwas lauter werden könnten. Was dann aber über das Publikum hereinbricht, lässt mich doch erschrocken zusammenzucken. Das ist keine Wall of Sound, das ist eine Lawine von ungeahnter Macht. Bass, Gitarre und Schlagzeuge brüllen ins Publikum, Sim Eun-yong am Geomungo liefert zusätzlichen perkussiven Druck und Bomi Kim mit ihrer Geige behauptet sich in diesem Inferno mit einer für unsere Ohren etwas schrägen Melodie. Unfassbar!
Und das ist nur der Anfang eines fast 90-minütigen Abends, der von fast schmerzhafter Intensität sein wird. Seien es Titel, die wütend auf die Zuhörer eindreschen wie „Event Horizon“ oder so subtile Tracks wie „In The Woods“, in dem eine kleine, poetische Melodie von einem Instrument zum nächsten gereicht wird, sich dann über dreizehn Minuten zu einem fast symphonischen Opus aufschwingt, bis es in meditativem Minimalismus endet. Das hat für mich die Grenzen zur sogenannten „E-Musik“ schon weit überschritten. Das ist große Kunst.
Lee wird nicht müde, sich immer wieder dafür zu bedanken, dass so viele Zuschauer den Weg zu Ihnen gefunden haben, und kündigt dann den Titel „They Keep Silence“ von ihrem ersten Album „A Hermitage“ an. Dieser sei unter dem Eindruck des schrecklichen Unglücks der Fähre „Sewol“ entstanden, erklärt er. Mehr als 300 Menschen sind dabei zu Tode kommen und das offensichtliche Versagen der Rettungskräfte, der Behörden bis hin zu Ministerpräsident und der Präsidentin hat eine Welle der Empörung und Trauer in Korea ausgelöst. Ihn habe das Schweigen über die Hintergründe wütend gemacht und so sei dieser Song entstanden. Ich gebe zu: Mir war das Thema nicht mehr präsent, aber nach dieser Reportage verstehe ich das kollektive Trauma, für das dieser Song steht. Und der Zorn ist körperlich spürbar.
Wer sich der Band annähern möchte, dem sei übrigens das aktuelle Album „Onda“ ans Herz gelegt. Und die Reportage auf arte Tracks von 2016, in der einiges über die Band zu erfahren ist. Was man damals allerdings noch nicht wusste: Dass Jambinai bei der Schluss-Zeremonie der Olympischen Spiele 2018 vor einem Millionenpublikum auftreten würde. Und wem dies alles zu heftig ist, das Interesse für zeitgenössische koreanische Musik aber geweckt ist, der höre sich mal die faszinierende koreanische Musikerin Park Jiha an.