AMANDA PALMER, 18.09.2019, Theaterhaus, Stuttgart
„There Will Be No Intermission – A Night of Piano, Pain and Laughter“. Selten wurde ein Programm so treffend in zwei Sätzen zusammengefasst. Eine Pause gibt es in Amanda Palmers Auftritt tatsächlich nicht. Und genau diese drei Zutaten „Klavier“, „Schmerz“ und „Gelächter“ sind zu jeweils einem Drittel im Programm enthalten. Ich gebe zu: Etwas mulmig ist es mir bei dieser Ankündigung schon. Standup-Performances sind mir suspekt und mit dem Werk von Amanda Palmer bin ich – anders als ein großer Teil der hier anwesenden Die-Hard-Fans – nicht wirklich vertraut. Etwas von den Dresden Dolls kenne ich und ein frühes Werk mit skurrilen Radiohead-Ukulele-Coverversionen. Und vor zwei Jahren hat sie mich auf dem Maifeld Derby fasziniert, wo sie einen kompletten Ausfall der Musik-Anlage vor mehreren tausend Leuten allein mit ihrer Stimme und dem Piano überbrückt hat.
(Falls ihr an dieser Stelle übrigens unsere Konzertfotos vermissen solltet: Leider war Amanda Palmers Fotovertrag hinsichtlich Nutzungsrechten und Freigabeprozessen so formuliert, dass wir ihn nicht unterzeichnen wollten)
Der ausgiebige Bericht vom Offenbach-Konzert bei den Kollegen vom Konzerttagebuch war mir eine Warnung: Dieser Abend wird ein gutes Stück Arbeit. Für Künstlerin und Publikum. Und für den Berichterstatter. (Der Auftritt hat übrigens – bis auf das Weglassen eines Brecht-Weill-Titels und dem Entfall der Pause – in Stuttgart exakt so wie der fünf Tage vorher stattgefunden. Deshalb verweise ich freundlich auf den dortigen Bericht.)
„And if you have five seconds to spare, then I’ll tell you the story of my life“ heißt es bei den Smiths. Bei Amanda Palmer dauert es mehr als drei Stunden, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Und diese ist eine pausenlose Aneinanderreihung von Schicksalsschlägen. Vom sexuellen Missbrauch mit 14 Jahren, mehreren Abtreibungen, einer fürchterlichen Fehlgeburt, über die Konfrontation mit Nationalisten und Hetzern, tödliche Erkrankungen, Reihen von Todesfällen im Freundeskreis und in der Familie bis hin zu traumatischen Erlebnissen in der Mutterschaft. Kurzum: genau die Themen, aus denen sie ihr aktuelles gleichnamiges Album „There Will Be No Intermission“ gestaltet hat.
Keine Frage: Amanda Palmer ist eine herausragende Performerin. Wie sie einen Spannungsbogen über mehr als drei Stunden aufbaut, ohne jegliches Manuskript einen komplexen Ablauf mit raffinierten Querbezügen und Rücksprüngen mit perfekt platzierten Pointen gestaltet, das ist meisterhaft. Die Modulation der Stimme, vom Schreien bis zum Flüstern, das perfekte Timing, die effektvoll gesetzten Pausen, das ist große Kunst. Im Wechsel mit den Songs fesselt sie das Publikum pausenlos.
Und als sie nach gut zwei Stunden an die Rampe tritt, und sich fragt, warum sie sich das eigentlich alles antue, nimmt sie mir genau diese Frage vorweg. Es sei ihr ein künstlerisches Bedürfnis, dies so aufzuarbeiten. Kunst müsse auch mal weh tun. Und entsprechende Auftritte von Nick Cave, Bruce Springsteen und Hannah Gadsby seien ihre Inspiration gewesen. Sie hätte es sich auch einfach machen können, das neue Album zu spielen und ein paar alte Hits. Fertig. (Und ich ertappe mich kurz beim Gedanken, ob mir das nicht fast lieber gewesen wäre…) Aber das habe ihr einfach nicht gereicht.
So mitreißend und bewegend dieses Konzept auch ist, einen kleinen Haken hat es: Es entzaubert die Songs. Jegliche Interpretation durch den Hörenden entfällt, wenn alles vorher ganz genau erklärt wurde. Da geht auch etwas von der Poesie verloren. Andererseits eröffnet es auch Möglichkeiten zur Publikums-Beteiligung, die sonst so wohl kaum stattgefunden hätten. Einmal darf das Publikum als „Abortion Beatles“ den Chor-Akkord aus „Twist and Shout“ beitragen und bei „A Mother’s Confession“ singt der ganze Saal den Refrain „At least the baby didn’t die“. Und genau diese Momente absurden Humors sind es, die diese emotionale Tour de Force erträglich machen. Und natürlich Amanda Palmers unfassbare Energie und Lebensfreude, ihr Konzept der „Radical Confession“ und Nahbarkeit.
Stehende Ovationen sind der Lohn für diese künstlerische Leistung. Und im aufflammenden Saallicht sieht man viele Tränen. Der Rührung und des Lachens, so genau lässt sich das nicht sagen.