MIKE PATTON MONDO CANE, 02.09.2019, Teatro Arcimboldi, Mailand

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Foto: Jacqueline Stade | www.facebook.com/JacQuePhotos

Vorab ein paar wichtige To Dos und Not To Dos zur Reihenfolge der Erledigungen vor einer Konzertreise:
– VOR dem Ticketkauf bei den zwei Freunden, die in der zu bereisenden ausländischen Stadt wohnen, anfragen ob sie am Besuchstag nicht auf irgendwelchen griechischen Inseln urlauben.
– GLEICH NACH dem Kauf des Konzerttickets das gefundene, günstige Bahnticket (ja tatsächlich, Flugscham!) sofort kaufen! Und nicht erst einen Tag später an dem es 70 Euro teurer geworden ist.
– Sich nicht eine Woche VOR dem Konzerttag von einem Auto beim Radfahren anfahren lassen, und dadurch mit einer pochenden Steißprellung sieben Stunden in der Bahn sitzen müssen.
Aber ganz unbedingt sollte man jede sich bietende Gelegenheit nutzen, Mondo Cane von und mit Mike Patton egal wo auf der Welt live anzuschauen.

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Foto: Lino

Es gibt in Mailand übrigens einen sehr feinen Ort, um sich im Vorfeld in die passende Vintage-Italia Stimmung zu bringen. Bar Luce heißt er, ist Teil der Fondazione Prada, wurde von Wes Anderson designt, und man kann sich farblich gut integrierende Negronis oder artverwandtes reinstellen. Neben dem dringenden Wunsch, die dort stehende Kaffeemaschine in seinen Besitz bringen zu wollen, kann man aber auch festellen, dass selbst die Songauswahl in der Jukebox allerhöchsten Ansprüchen genügt und stilsicher gewählt wurde. Morricone, Mina, Rota, Ortolani, Celentano, Trovajoli und sogar etwas von Sophia Loren gibt es da zu finden. Darf man wie alles retromäßige albern und unauthentisch finden, oder sich einfach daran erfreuen wie schön das alles gemacht ist.

Das Konzert findet im sehr modernen Theater- und Opernhaus Teatro Arcimboldi statt, welches sich im nicht minder modernen und schicken Wohn- und Univiertel Bicocca befindet. Etwa 2500 Personen fasst der Saal, und das Konzert ist schon seit längerem offiziell ausverkauft (inoffiziell nicht, sonst säße ich nicht hier…in der allerletzten Reihe btw). Für ein Projekt, das nur ein einziges, fast zehn Jahre altes Album vorzuweisen hat, ist das schon etwas bemerkenswert. Aber einige T-Shirts mit Dead Cross Aufdrucken und ähnlichem zeigen, Mike Patton zieht einfach.

Der Vorhang geht auf, tosender Applaus, und der italienische Evergreen „Cielo In Una Stanza“ in der umwerfenden Mondo Cane Version rennt alle sperrangelweite Tore ein. Ein unglaublich perfekter, klarer Sound bringen die zwölf Streicher und jedes andere Instrument perfekt zur Geltung. Und natürlich Mike Pattons Stimme, pardon, Ausnahmestimme. Nichts für den Liebhaber introvertierter Sänger, lotet er laut-leise, klar-rauh, zwischen Geschrei und Gesäusel alles aus was das Stimmbandmenü so hergibt. Und natürlich sein italienisches rollendes ‚R‘, welches markerschütternd ist (lieb gemeint).

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Foto: Jacqueline Stade | www.facebook.com/JacQuePhotos

Der sehr flotte Fred Buscaglione Song „Che notte“ wird mit einem Schuss aus einer Pistole eröffnet, die dann sogleich verächtlich weggeworfen wird. Die großen italienischen Moves, wie man sie aus B-Movies aus den 60ern und 70ern kennt hat er einfach sehr natürlich intus der gute Patton. Der alte Wegbleiter der ersten Stunde, der frenetisch gefeierte Roy Paci spielt Trompete bei diesem Stück. Kleiner Wiki-Fact: der Sizilianer spielte auch mal auf einer Bela B. Single mit.

Eigentlich werden fast alle Songs des Albums in der ersten Konzerthälfe rausgehauen. Mich begeistert vor allem „Urlo negro“. Die Strophe verlangt den Hardcore-Brüllaffen in Patton, und meine Güte kommt das gut. Umso mehr als der melodische Refrain in bestem Beat-Stil der 60er einen wundervollen Kontrast dazu ergibt. Apropos Kontrast, das folgende Bongusto-Cover „Doce Doce“ ist ein Schmachtfetzen erster Güte, welches durch die Theremin-Begleitung einen etwas sinistren Anstrich bekommt.

Die Band? Großartige Musiker, ob der dreistimmige Frauenchor, Schlagzeuger, Percussionist, diverse Keyboarder, Gitarristen, Bassisten und die Streicher, alles spielt in einer Harmonie zusammen und mit einer lebendigen Perfektion, dass man sich wünscht, es möge bitte nie aufhören.

Extrem unterhaltsam sind die nicht übertrieben häufigen Ansagen von Patton in perfektem Italienisch. Einen römischen Mitmusiker kündigt er sogar mit römischem Akzent an, und auch die präzise Anwendung der Füll-/Schimpfwörter „cazzo“ und „minchia“ deutet auf ein tiefes Verständnis italienischer Lebensart hin. Da wundert es auch nicht, dass ein so stimmakrobatischer Mann das neapolitanische „Scalinatella“ im Dialekt perfekt vorträgt, und zwar so, dass man andächtig zuhört und den Respekt vor der Musik raushört. Und es nicht so wie hier in lustiges „Ami spricht italienisch“ abgleitet. Faszinierende Gratwanderung, aber man ist ja als Mike Patton nicht umsonst obercooler Primestyler und Opinion Leader, dem man, zumindest ich, eh alles abnimmt.

So fällt die Stimmung nie ab, der laute Applaus und die Publikumsreaktionen während des gesamten Auftritts deuten schon darauf hin, dass das finale „Senza fine“ eben nicht final sein wird (wie der Titel ja eigentlich auch verspricht). Der Zugabenblock enthält dann noch zwei besondere Schmankerl. Das Erste ist ein Duett zwischen Pianist und Keyboarder, wobei letzterer die Melodie pfeift. Das Ergebnis ist ein so wunderbares Kleinod, irgendwas zwischen Fitness Forevers Albertone, den frühen Giorgio Tuma Sachen und italienischer Filmscore der 60er. Herzerweichend schön, traurig und hoffnungsvoll zugleich!

Die zweite Überraschung kommt dann, nachdem die Band nochmal ein zweites Mal herausgeklatscht wurde. Mike Patton kündigt beim letzten Song an, dass dieser jetzt auf englisch gesungen wird: „Questa la canterò in inglese, minchia!“ Es folgt dann der Mr. Bungle Song „Retrovertigo“. Der etwas überraschende Abschluss einer wirklich großartigen Aufführung. Ragazze e ragazzi, Google- oder sonstige Alerts auf „Mondo Cane Concert“ einrichten! Cazzo!

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Foto: Jacqueline Stade | www.facebook.com/JacQuePhotos

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