DEAD KENNEDYS, 10.06.2019, LKA, Stuttgart
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Dead Kennedys (DK), um 1990 auf der Gitarre von Jeff Hanneman (†) gesehen. In der Bronzezeit der Kommunikation, also vor der Einführung der Pager oder des Internets, waren die Aufkleber auf Gitarren von verehrten Metal-Bands, sowie deren T-Shirts extrem wichtig. Als Teenager haben wir daher in den einschlägigen Magazinen wie z.B. Metalhammer, Rock Hard, Thrash(er), oder den Booklets und LP-Hüllen sehr genau gescannt, welche Bands die verehrten Bands wiederum offensichtlich super finden.
Die „DK“-Runen waren neben vier schwarzen Balken (Black Flag) sehr häufig vertreten. Ziemlich wahrscheinlich ging es bei mir bis zum Ankommen bei den Kennedys zuerst über einen Sampler namens „Virus 100“ (1992), auf dem u.a. die damals von mir heiß verehrten Sepultura und Napalm Death die Interpretationen ihrer Kennedys-Favoriten zum Besten gaben. Erst danach dürfte ich mir die Originale zum ersten Mal angehört haben. Der Eindruck: deutlich roher als die Cover-Versionen, die zum Teil aber sehr gelungen, in einem Fall sogar besser sind als die Originale, der fieseste Gitarren-Sound den man sich vorstellen kann, Surf-Gitarre mit viel Hall die nach Kreissäge klingt, obendrauf noch die Ästhetik, die nicht vermuten lies, dass die Alben zum damaligen Zeitpunkt erst einige Jahre auf dem Buckel hatten. Das Ganze wirkte auf mich als wäre es Jahrzehnte alt, das Material klang und sah nach Krieg aus.
Krieg haben die Mitglieder meines Wissens bis heute mit dem ehemaligen Frontmann und Aushängeschild Jello Biafra, unappetitliche Themen wie wer wie viel Anteil an der Entstehung der Lieder hat, eine Levi’s-Werbung, wer die Alben veröffentlichen darf uswusf. Diverse Rechtsstreitigkeiten der Kennedys gegen Biafra und umgekehrt.
Leidiges Thema das allgemein eher die Regel als die Ausnahme darstellt. Bei Shows dieser Art, also Bands bei denen häufig der Original-Sänger durch einen i.d.R. jüngeren ausgetauscht wurde, stellt sich mir immer die Frage, ob ich ein Konzert der Band sehen werde, die vor vielen vielen Jahren 2,3 super Alben geschrieben hat, oder sehe ich eine Show von Leuten, die das Glück haben, die Rechte an den Namen und den Alben zu halten, und damit eine blutleere Abmelkmaschine durch die Länder treiben. Bei den oben erwähnten Black Flag, die vor einigen Jahren im Uni gespielt haben, war leider letzteres der Fall.
Es hat sich auf alle Fälle ausgezahlt, frühzeitig in Wangen anzukommen, um bei Starkregen noch eine Weile am natürlichen Habitat der Punks abzuhängen – der kultigen Tanke am LKA von der gemunkelt wird, dass an manchen Tagen mehr flüssiger Treibstoff über die Ladentheke geht, als in die Tanks. Und die Punks haben geliefert! Der eine kommt schon mit mächtig Schlagseite unter dem Dach der Tanke an, und stellt aus nicht nachvollziehbaren Gründen den Bluetooth-Lautsprecher, aus dem uns die RAMONES anplärren, auf den Rand eines Scheibenputzwassereimers, und es kam was kommen musste…
Die U-Bahn bricht Punk-Pulk um Punk-Pulk an die Tanke, ganz junge Exemplare, die erzählen sie seien von der Alb zum ersten Mal in die Großstadt gereist, um es ihren Väter gleichzutun, zum ersten Mal die Show einer Uralt-Punkband zu sehen. Ganz alter Punk-Adel, wo die Lederjacke oder Kutte von Generation zu Generation weiter gereicht wird! Die Frage warum diese jungen Kerls mit eigenen Klappstühlen anreisen spare ich mir, bereue ich aber jetzt beim Schreiben. Der eine wird noch mit „Hey Du siehst aus wie der junge Sid Vicious!“ angesprochen, er antwortet „Ist Absicht!“, und ich versuche mit zu erinnern, wie der alte Sid Vicious ausgesehen hat.
Das Highlight waren aber die ganz alten Punks, graue, vom leben gezeichnete Typen, die uns zur Begrüßung eine laminierte Dead Kennedys-Konzertkarte im Format einer alten Kino-Karte unter die Nase halten. „Dead Kennedys, Gustav-Siegle-Haus 1982, 14 DM“ steht auf dem Artefakt geschrieben. Wahnsinn. Ich habe von der legendären Show gehört, hätte aber nicht erwartet, dass es noch lebende Zeitzeugen gibt, die sich nicht lange bitten lassen müssen, von der Schlacht zu erzählen, „Älles kurz und kloi gschlagen, wir gegen die City Boys und die Bullen…“ Ausgerechnet heute lasse ich das Smartfon zu Hause liegen, nichts kann in Bild dokumentiert werden, und wie soll ich eigentlich mit ebenfalls zunehmenden Pegel Notizen für den Blog schreiben? Irgendwo einen Kuli schnorren, und auf einem Geldschein aus dem ansonsten gähnend leeren Geldbeutel zu schreiben, das ist doch der wahre immer gültige Punk-Spirit!
Los geht’s! Erster Eindruck: Mäßig! Beim ersten Stück wird sich gleich schon mal auf den Tod gefreut „Looking Forward To Death“, wenig mitreißend, ich bin eh noch damit beschäftigt die Band zu scannen. Was der Anführer der Alt-Punks mir im Vertrauen geflüstert hat, stimmt schon mal nicht. Es würde heute Jello Biafra singen, ganz sicher, es fallen Stichworte wie „CIA“, „Verschwörung“ und „Aus dem Verkehr ziehen“. Ich habe Jello Biafra oft genug gesehen, um sicher sagen zu können, dass dort ein anderer singt, aber irgendwie vom Gestus her schon eine gewisse Ähnlichkeit. Auffällig sind die Frisuren: East Bay Ray (Gitarre) hat eindeutig gefärbt, es sieht aus als verwende er braune Schuhcreme. In diesem Alter (60+) Haare färben, totally not Punk!!! Ich schäme mich auch nur eine Minute geglaubt zu haben, Altkanzler Schröder hätte gefärbt! Sorry Gerd! Drummer D.H. Peligro trägt eine Frisur auf, wie sie mir im Kindergarten meiner Tochter bei den Mädchen regelmäßig begegnet, zwei Pferdeschwänze, der eine links am Hinterkopf, der andere rechts. Nuff said. Der anonyme Biafra-Impersonator wirkt als würde er die Methode von East Bay Ray fahren, nur umgekehrt, er wirkt grau gefärbt! Alles richtig gemacht hat lediglich Basser Klaus Flouride, mit zarten 70 war er schon zu Punk, (US-Version) „Hardcore“ – Zeiten, also frühe 80er, ein Methusalem, 10 Jahre älter als der Rest der Band, sieht er aus wie 70, was jeder der Eltern in diesem Alter hat, bestätigen kann. Alt nur vom Aussehen her und auf dem Papier, liefert er eine Top-Show, kaum größer als sein Bass, auf dem ein Dänemark-Sticker (DK) klebt, hüpft er sehr agil durch das Set.
Alle Aufgezählten sind Original DK-Mitglieder! Verdammt hohe Quote! Nächstes Lied „Winnebago Warrior“ zündet bei mir auch noch nicht so richtig, aber dann „Police Truck“ kann ich endlich mitsingen, und los geht der Spaß, „We ride, lo-ow ride“! Klingt verdammt gut in meinen Ohren, und so nerdy und gefärbt East Bay Ray auch daher kommt, kaum eine unnötige Bewegung, gitarrenmäßig schon top würde ich sagen. Wie es sich gehört hat sich ein ordentliches Pit hochgeschaukelt, und spätestens bei „Let’s Lynch The Landlord“, einem ganz großen Hit, macht’s dann richtig richtig Spaß, und tatsächlich, selbst in Deutschland wird „Dachau“ nicht aus dem Text ausgespart, was offenbar niemanden stört. Das Riff wurde ziemlich sicher von einer großen deutschen Punkrock-Band geklaut, Hosen, Ärzte? Vergessen.
„Kill The Poor“ bringt Sänger Ron „Skip“ Greer mit dem Thema Flüchtlinge in Verbindung, ein bisschen Politik-Talk muss dann schon sein. Das Thema American Football vs. Fußball vergeigt er aber schon ganz ordentlich. Shut Up And Play The Hits! Die kommen im 2-3 Minuten Takt, wie sie vor Dekaden geschrieben wurden. Zur Toilette traue ich mich lange nicht, die Angst einen Hit zu verpassen ist mittlerweile zu groß! „MP3 Get Off The Web“ – ein neues Lied? Nein, nur „MTV Get Off The Air“ in neuem Gewand. Skip kündigt ein Stück aus der New-Wave-Phase der Kennedys an, das wirklich schöne „Moon Over Marine“, in der Version von Les Thugs (Virus 100) noch besser wie ich finde. Funktioniert „Nazi Punks Fuck Off!“ jenseits der 60 noch? Na ja. An gleicher Stelle das Cover von Napalm Death hat eindeutig mehr Durchschlagskraft gehabt, das Original natürlich unerreicht, aber muss wohl sein, das wahrscheinlich bekannteste Lied. Vor der ersten Zugabe natürlich noch „California Über Alles“, als Deutscher packt einen wieder die unsichtbare Hand des schlechten Gewissens im Genick, wenn die Textzeile „Über Alles Ca-li-fornia, Über Alles…“ ansteht, aber geht irgendwie durch, wenn ein gut gefüllter Saal voller Linker mitgröhlt. Top-3-Kennedys Material. Weitere Zugaben: „Bleed For Me“, „Viva Las Vegas“ (aus Fear & Loathing in Las Vegas), gefolgt von den düstersten, bösesten Hits „Holiday in Cambodia“ und „Chemical Warfare“.
Fazit: Nicht so ganz sicher. Hatte auf jeden Fall Höhepunkte. Kann man mehr erwarten, von einer Band, die seit über 30 Jahren nichts veröffentlicht hat, was man den Kennedys im Vergleich mit Black Flag wohl sehr zu Gute halten muss? Man stelle sich vor, Soundgarden tun sich irgendwann wieder mit einem anderen Sänger zusammen, fast ein Ding der Unmöglichkeit. Es hätte auf jeden Fall wesentlich schlimmer sein können, ich denke den meisten hat’s gefallen, die Zugabe Rufe waren laut genug, und selbst wenn man einen Klappstuhl von der Alb nach Wangen geschleppt hat, hat sich wohl der Aufwand gelohnt.
Ist ja ok, wenn Punk-Greise (und solche, die mal einer werden wollen) diesen Gig nutzen, um den guten alten Punk und sich selbst mal wieder so richtig abzufeiern. Es ist aber von anrührender Peinlichkeit – und Uninformiertheit – wenn diese Veteranen Verschwörungstheorien bzgl. Jellos Abwesenheit aufstellen oder gar die CIA dafür verantwortlich machen… Jello Biafra und der Rest der Band sind nämlich einfach nur heillos zerstritten.
Abgesehen davon: Dead Kennedys OHNE Jello, das ist doch ungefähr so wie Queen ohne Freddie oder wie Modern Talking ohne Dieter: Geht gar nicht. Video-Clips der „neuen“ Dead Kennedys mit Ron Greer als Jello-Imitator hab ich mir angesehen. Meine Güte, ist das schlecht und peinlich!