LINUS VOLKMANN, 01.05.2019, InDieWohnzimmer, Stuttgart
Eigentlich ganz schön, so ein freier Tag mitten in der Woche. Eben noch die Osterferien genossen und schon ist wieder 1. Mai. Pro-Tipp: Vom frühsommerlichen Wetter nicht unter Druck setzen lassen und den Tag weitgehend drinnen verbringen. Rausgehen kann man auch abends noch, z.B. zu Linus Volkmann, der heute im Feuerbacher Wohnzimmer zu Gast ist.
Gerne möchte ich für den Gig-Blog berichten, doch es lässt sich partout kein/e Fotograf*in auftreiben. Gibt’s doch nicht. Gastgeberin Claudia springt schließlich spontan ein (tausend Dank!). Falls die Bilder nichts werden, bliebe ja immer noch die Option „was zu zeichnen“ versichern Mitveranstalter/Gig-Blog-Kollege Holger und ich uns gegenseitig.
Über Linus Volkmann haben wir schon öfter berichtet, sogar ein Videointerview findet sich auf unserem zugegebenermaßen nur wenig ambitioniert gepflegtem YouTube-Kanal (letztes Update vor fünf Jahren, huch). Auch heute gibt es wieder ein fröhliches Hallo, wir bringen Geschenke mit, wie es sich für Top-Fans gehört. Für professionelle Distanz gehen Sie bitte woanders hin.
Ich bin ehrlich gesagt nicht so sicher, ob das gepflegte Wohnzimmerformat zu Linus’ eher nicht so idyllischer Kunst passt, werde aber zum wiederholten Male eines Besseren belehrt. Mittlerweile bin ich überzeugt, es gibt keine Form der künstlerischen Aufführung, die in Claudias sympathischem Einfamilienhaus deplatziert wirken würde.
Auch der heutige Künstler fühlt sich sichtlich wohl im familiären Ambiente. Immerhin war auch Popjournalistenkollege Eric Pfeil schon hier, dessen Plakat Linus „hinter einem Pfeiler“ erspäht. In Wirklichkeit hängt das Plakat übrigens durchaus prominent, es ist nur sehr schmal. Gäbe es nicht das InDieWohnzimmer hätte ich viele tolle Künstler*innen in Stuttgart nicht live sehen können, fact.
Wir nehmen in der Front Row auf der Bierbank vor der Hauptbühne Platz, Holger kurbelt den Rollladen runter, auf der Leinwand läuft ein 5-Minuten-Countdown rückwärts, los geht’s. Linus trägt einen rosa-grauen Norwegerpulli und eine gepanzerte Goldkette, dazu ein Hipster-Kassengestell und begrüßt das Publikum mit einem gespielt irritierten: „Kann es sein, dass wir hier in einem Privathaushalt sind?“
Als roter Faden der dient der Titel des aktuellen Buchs „Wie werde ich Popstar (und warum?)“, allerdings halten sich die praxistauglichen Tipps eher in Grenzen. Präsentiert wird ein lustiges Sammelsurium von allerlei Alltagsbeobachtungen (zumindest wenn Dein Alltag aus Festivalbesuchen und Lesereisen besteht) und alten Linus-Volkmann-Klassikern (z.B. die „Kurzer Prozess“-Videos), die man immer wieder sehen kann.
Gefühlt habe ich eigentlich sämtliche aktuellen Beiträge via Soziale Medien mitbekommen, erstaunlich, wie vieles ich nicht kenne. Vielleicht kommt ja doch nicht alles im Internet?
Neu ist auch der interaktive Teil mit Live-Klosterfrau-Energy bzw. Doppelherz-Energy-Verkostung durch Freiwillige im Publikum. Klosterfrau Melissengeist enthält übrigens beeindruckende 79 % Alkohol, hätten Sie’s gewusst? Doppelherz immerhin noch 17 %. Großzügiges Feedback der Gastgeberin zur zweiten Mix-Kreation: „Schmeckt net soo schlecht.“
Die Beiträge zu den schlimmsten deutschen Bands sind mir weitgehend neu. Wahrscheinlich auf Insta-Stories verpasst? Wirklich unangenehm ist „Liebe auf Distanz“ ein Duett der Band Revolverheld und der Sängerin Antje Schomaker (absichtlich nicht verlinkt). Linus nimmt ziemlich brillant die Ästhetik des dazugehörigen YouTube-Thumbnail auseinander, das ist auch ohne Ton erstaunlich aussagekräftig. Ich höre mir später zumindest den halben Song an. Und ja, bei allem Respekt für die Kunst und man will auch nicht immer alles ungeprüft ablehnen, aber Revolverheld machen es einem wirklich leicht, sie auch in Zukunft nicht mal ignorieren zu wollen.
Sehr gut finde ich noch die Geschichte, als Linus und Begleiter sich in Chemnitz vor dem Karl-Marx-Monument fotografieren lassen wollten, und das spontan zum Fotografieren angesprochene, schlecht gelaunte Emo-Mädchen dann das genau entscheidende Element der Aufnahme (Karl-Marx-Kopf) nicht mal annähernd im Bild hat (trotz Nachfrage/Hinweis „Ist alles drauf?“). Sehr effektive Teenager-Rebellion, den Erwachsenen einfach ihre komischen gestellten Social-Media-Bilder zu sabotieren.
Zum Abschied gibt’s „And when the rain begins to fall“ als Rausschmeißer, laut Linus ein Beispiel für ein gelungenes Pop-Duett aus einer Zeit, als Pop noch irgendwie verheißungsvoller war als heute. Beschwingt und mit dem neuesten Linus-Volkmann-Band ausgestattet, werden wir in die gar nicht mal so warme Nacht entlassen (auch im vierten Lebensjahrzehnt noch nicht verstanden, dass erster Mai noch nicht Hochsommer ist).
Für Sie recherchiert: Am 11. Juni 2019 ist Linus Volkmann wieder in der Stadt (Moderation der Podiumsdiskussion im StadtPalais Stuttgart zum Film „Von Heimat kann man hier nicht sprechen.“).