GILBERT O’SULLIVAN, 18.04.2019, Liederhalle, Stuttgart
So ganz sicher war ich mir nicht, ob das eine zu hundert Prozent gute Idee ist, mich für heute Abend als Berichterstatter einzutragen. Natürlich sind da einerseits diese millenial stones des Pops wie “Alone Again (Naturally)” oder “Clair”, aber andererseits auch diese leichten Zweifel, ob O’Sullivans Stücke manchmal nicht doch meine Geschmacksgrenze überschreitet, die guten, leichten Pop zu seichtem Schlagereskem macht, über der das dämonische Grinsen Ilja Richters schwebt.
Nicht ausverkauft, aber ordentlich gefüllt ist der Mozart Saal als Punkt zwanzig Uhr der gut frisierte Meister mit seinem Begleitgitarristen die Bühne betreten. Ohne großes Brimborium geht es mit Stücken los, die zeigen was das Besondere an O’Sullivans Musik ist. Denkt man in der Strophe noch, das ist jetzt aber ein recht unspektakulärer Blues-Boogie-Woogie-USA-Rock-Something, kommen Bridges und Refrains, die mit Harmonien und Melodien glänzen, die einerseits in der britischen Popmusiktradition stehen, andererseits in ihrer Eleganz auch artverwandt mit Musik vom Schlage eines Bacharachs sind. Die Laune schwingt von skeptisch zu gut gelaunt.
Dazu tragen ebenfalls kurze Ansagen und Anekdoten O’Sullivans bei. Die kurze Pause bei der Begrüßung, als er auf seinem Zettel ablesen muss, in welcher Stadt er gerade ist, kann man ihm nicht übelnehmen. Der darf das.
Den ersten und einzigen Bruch für den Fotografen und mich gibt es gegen Mitte des Sets vor der Pause. Die zwei nun dargebotenen Stücke umschiffen nicht mehr gekonnt weiträumig die persönlichen Schnulzen-Riffs, sondern havarieren komplett an diesen. Der Fotograf bekommt eine Gänsehaut (vor Ekel) davon, bei mir stellt sich eine völlig unbekannte Lust ein, Hellhammer-Demos anhören zu wollen. Uff, Stimmung kippt, Zeit für schlechte Scherze. “Wurden O’Sullivans Haare schon mal im selben Raum wie die von Brian May gesichtet?” fragen wir uns, um diesen negativen Moment zu überstehen.
Zum Glück bleibt dies der einzige wirklich negative Moment des Konzerts. Das abschließende Stück vor der Pause versöhnt mit allem und jedem. “Clair”, ein nahezu perfekter Popsong, vielfach gecovert, mal hervorragend wie von Orwell, mal eher unspannend auf italienisch. Ziemlich unvermittelt und ohne Ansage geht es in die Pause und eine kleine Zeit zur Reflektion, während der Kopf noch zu Claire hin und her wiegt.
Myself aka der Schreiber ist ja eher Fan von reichhaltigen Arrangements. Aber selbst er kann verstehen, dass reduziertes Instrumentarium manchmal ja den Vorteil haben kann, den Kern einer hervorragender Komposition freizulegen und zum Glänzen zu bringen. Das funktioniert heute Abend vor allem für O’Sullivans Stimme, die für einen 73-Jährigen bemerkenswert fest über alle benutzten Tonlagen hinweg ist. Was mich nicht ganz an der Darbietungsart überzeugt, ist die Kombination Klavier und Gitarre. Wobei es bestimmt nicht am Können Bill Shanleys liegt, dass ich öfters mal ins Zweifeln komme, ob nicht andere Instrumentenkombinationen besser funktionieren könnten. Auch der Sound des E-Pianos wirkt in diesen Arrangements auf mich nicht immer high class. Was umso mehr auffällt, da viele von Gilberts Kompositionen harmonisch und melodisch in der allerobersten Popliga spielen, in der Leichtfüßigkeit mit anspruchsvollen Akkordfolgen und -wechseln kombiniert werden.
Die zweite Hälfte des Sets überzeugt dann aber stärker als die erste Hälfte. Selbst eine recht typische 80er Ballade wie “At the very mention of your name” hat ihren Charme und weiß durch ihre blue eyed soul Art zu überzeugen. Ebenfalls ein Riesensong ist “Why, Oh Why, Oh Why”. Laut Aussage von Gilbert einer der wenigen Songs, den er live anders interpretiert als auf Platte (heißt: wesentlich flotter mit einem leicht galoppierenden Rhythmus). Er stellt diese Version mit einer Anekdote vor. Ein Fan meinte nach einem Konzert zu ihm “Thank you for playin’ my favourite song, but you ruined it”. So schlimm finde ich es beileibe nicht, aber das getragenere Tempo des Originals halte ich dann doch für angemessener.
“What’s in a kiss” ist so ein weiteres Juwel, dass gekonnt die Schnittmenge zwischer wohliger Leichtgängigkeit, leichter Melancholie und anspruchsvollem Songwriting trifft. Der Übersong “Alone Again (Naturally)” wird wider meines Erwartens nicht am Ende gespielt. Diese Ehre bleibt “Get Down” vorbehalten. Diesem flottem Hit, der in seiner “ELO meets Status Quo meets The Teens”-Art so nur in den 70ern entstanden sein konnte.
Kurz nach 22 Uhr ist das unterhaltsame Konzert dieser Pop-Songwriter Legende zu Ende. Und so gut es in seinen besten Momenten war, bleibt der Wunsch in mir das Alles noch einmal mit einer richtigen Band und reicherer Besetzung zu hören. “Get Down” bleibt aber noch stundenlang der Soundtrack im eigenen Kopf bis dann der Schlaf kommt.