MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Als hätte der VfB die Champions League gewonnen. Was für ein ausgeflippter Jubel. Wie konnte es soweit kommen am heutigen Abend im großen Saal des ausverkauften Wizemann? MEUTE (eigene Schreibweise) spielt. Die Hamburger Marching Band sorgt seit einiger Zeit für mächtig gepusteten Wind unter den Deep-House- und Techno-Windsurfern.

MEUTE ist nicht die erste Blaskapelle, die sich nach anderen Stilen umschaut, die naheliegenden Assoziationen liegen bei LaBrassBanda, die eigene Dancefloor-Stücke erfolgreich kreiert haben. Man erinnere sich beispielsweise an „Bierzelt“ aus dem Durchbruchs-Album „Übersee“, oder die erfolgreichen Hip-Hopper Moop Mama. MEUTE wiederum verfolgt einen sehr strikten Ansatz. Sie arrangieren ausgesuchte Clubmusic-Tracks von Laurent Garnier, Deadmau5, Âme und anderen. Reine Instrumentalstücke. Es ist DJ Musik, die sie da präsentieren.

MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Um kurz vor 21 Uhr schleichen sich die Tuba, das Saxofon und das Lyra-Glockenspiel (dieses monstranz-artige Ding, dass bei Marschmusik immer vorangetragen wird) auf die Bühne und intonieren mit „Gula“ von Deadmau5, ein Stück ohne Beats und Druck, ein melancholisch-sanftes Intro. Weitere Bläser (einmal werden alle aufgezählt: eine Posaune, zwei Trompeten, ein Tenor- und ein Bass-Saxofon) gesellen sich dazu. Die Pauke, also die Bassdrum, die Bauchladen-Snare und die Umhänge-Marimba bringen sich in Position, um nach der Einleitung mit ordentlichem Atmosphärenüberdruck Dampf abzulassen. MEUTE tutet, die Meute tanzt.

Die Bühne besteht aus nach hinten ansteigenden Podesten. Ganz Marching Band wechseln während der Tracks die elf Musiker immer wieder die Positionen, bilden kleine Gruppen, Solisten treten vor, werden abgelöst, bilden Reihen und so weiter. Alles wird von einer großartigen Lichtregie in Szene gesetzt. Wahre Könner des Formationsmarching sind ja die Amis, hier eine Footballmatch-Halbzeitshow, in der bekannte Videospiele choreografiert wurden.

MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Als Anfang der 1990er Jahre Techno vor allem in Deutschland groß wurde, wies mancher Feuilletonist daraufhin, dass die Deutschen ja schon immer Marschmusik mochten und diese nun in moderner Form in die Clubs Einzug fand. Dabei ließen sie – um ihre These nicht zu gefährden – außer Acht, dass Techno mit ausgeprägtem Hedonismus verbunden war/ist (keine deutsche Tugend) und verschwiegen die so gar nicht deutschtümelnden Herkünfte des Technos (Detroit/Black Community, High-Energy-Sound/Gay Community, deutsche Kraut-Elektronik der 1970er und Punk-Elektronik der 1980er/politisch-progressive Community). Wie auch immer. Vielleicht geht MEUTES Konzept aber trotzdem so gut auf, gerade weil hier eine Marschmusikkapelle den Techno bläst.

MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Kompositorisch sind ja House- und Technotracks sehr einfach aufgebaut, gebrochene Dreiklänge, maximal Kadenzen, fertig. Es kommt auf den Sound, die Atmosphäre, die Energie an, die der Produzent schafft. MEUTE kommt dieser Anforderung mit der Marimba bei, die sich der klimpernden Sounds der Originale annimmt. Hierzu ein Brückenschlag: vor zwei Wochen lauschte ich dem Stuttgarter Kammerorchester einer Komposition für zwei Marimbas und zwei Vibrafone, die jeweils mit vier Klöppeln gespielt werden. Wer nachrechnet, kommt auf 16 Schlägel. Das Stück heißt „Mallets“ (englisch für Klöppel). Ein einzigartiges Klanguniversum. Bei mir gibt es keinen Text über repetitive Musik ohne den Verweis auf den Meister: Steve Reich komponierte „Mallets“ bereits Anfang der 1970er Jahren.

MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

Zurück zum Sound von MEUTE. Trotz des kongenialen Einsatzes der Marimba erschöpft sich die Klangwelt der Blaskapelle im Gegensatz zu den Originalen, weil diese schlicht alle etwas anders klingen, da kann man noch so gut die Bläsersätze arrangieren, es bleibt derselbe Sound. Dieses Manko durchbricht MEUTE mit ihrer Version von „You And Me“ von Disclosure , einem langsamen Stück mit verschleppten Beats und einem großartigen Bläsereinsatz, der noch einen echten Gänsehautmoment schafft. Hier das Live-Video von MEUTE aus dem Görlitzer Park in Berlin mit schlappen 19 Millionen Aufrufen.

Am Ende der Show bewegen sich die elf Dancefloors-Spezialisten in den Saal, auf dieselbe Ebene wie ihr Publikum, um gemeinsam zu musizieren und zu tanzen. Dieser Akt der Demokratisierung lässt die Meute vollends ausflippen. Am Ende feiert das Publikum MEUTE, als hätte der VfB die Champions League gewonnen. Zum Ausklang und zur Beruhigung spielt MEUTE das dem Deadmau5-Startstück ähnlich melancholischen Trentemøller-Track „Miss You“. Alles auf Anfang. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

Foto: Steffen Schmid

2 Gedanken zu „MEUTE, 14.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart

  • 17. April 2019 um 21:06 Uhr
    Permalink

    diggi,
    das intro ist gula von deadmau5 gewesen.
    und es gibt absolut kein alt in der band.
    miss you kam nur einmal und zwar – wie geschrieben – am ende.
    nur ne kleinigkeit trotzdem nicht ganz unwichtig.
    aber danke für den bericht.
    beste grüsse
    tom bone

  • 18. April 2019 um 13:53 Uhr
    Permalink

    Alles klar, danke für die Angaben, ich korrigiere es. Aber wenn es kein Alt-Saxophon ist, was ist es denn dann? Bass, Barriton oder…?

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