DIE GOLDENEN ZITRONEN, 09.04.2019, Im Wizemann, Stuttgart
Manchen Bands nähert man sich ja eher auf Umwegen. Bei den Goldenen Zitronen war es für mich der Weg über die sogenannte „Hochkultur“, genau genommen über Schorsch Kameruns Engagement am Schauspiel Stuttgart in der Intendanz von Armin Petras. Seine Inszenierungen brachen nicht nur konsequent mit klassischen Grenzen zwischen Darstellern und Zuschauern, sie hatten immer eine hohe Mitmach-Qualität und eine Riesenportion Humor. Wenn Schorsch Kamerun als Zeremonienmeister oder Ober-Quatschmacher mit der gesamten Zuschauer- und Darstellerschar im Gefolge einmal ums Kammertheater zog, dann war das nicht nur ein urkomisches Happening, sondern auch Shakespeare, wie wir ihn bisher nicht kannten. Ein Konzert der Goldenen Zitronen hingegen hatte ich noch nie besucht. Und einige Besucher des Schocken-Gigs von anno 2013 hatten mich gewarnt: die Live-Performance sei damals grauenhaft schlecht gewesen (der Gig-Blog war da übrigens anderer Meinung). Das aktuelle Album „More Than A Feeling“ und die Hoffnung auf einen Abend, der die Entertainer-Qualitäten des Theatermannes Kamerun hervorbringt, haben mich dann aber doch ins Wizemann gelockt.
Dort sieht es um 20 Uhr zum angekündigten Konzertbeginn erstmal recht mau aus. Der kleine „Club“ ist nicht mal halb gefüllt als das Duo Shari Vari mit seinem Warm-up beginnt. Oder wie Sängerin Sophia Kennedy – keine geringere verbirgt sich nämlich hinter diesem Bandprojekt – keck behauptet: „Wenn ihr die Goldenen Zitronen sehen wollt, müsst ihr erstmal an uns vorbei.“ Mit Elektrobeats, Stehdrums und Kennedys markanter Stimme ein durchaus erfreulicher Start in den Abend. (Aus unerfindlichen Gründen wird uns das Fotografieren des Support Acts verwehrt, so bleibt dieser Auftritt leider undokumentiert)
Als die „Goldies“, wie sie sich selber nennen, gegen 21 Uhr starten, hat sich der Saal dann doch noch einigermaßen gefüllt. Im Publikum auch einige Vertreter der Stuttgarter Kultur-Prominenz. In bunte Tücher gewandet, legen Kamerun und seine fünf Kollegen gleich mit ihrem Hit „Das bisschen Totschlag“ los und es verspricht ein guter Abend zu werden. Mit zwei Schlagzeugen, mehreren Keyboards und permanenten Positions- und Instrumenten-Wechseln machen die sechs Herren, die ja inzwischen auch alle im gesetzten Alter angekommen sind, jedenfalls ordentlich Alarm.
Musikalisch bewegt sich das irgendwo zwischen Diskurs-Punk und Techno-Funk und lebt weitgehend von den Texten, die ein ebenso scharfes wie humorvoll-grelles Sittengemälde unserer Republik zeichnen. Dass sich die ungeheuren Mengen an Text ohne die Unterstützung von Spickzetteln nicht über die Bühne bringen lassen, gibt dem Ganzen dabei manchmal etwas Rezitierhaftes. Sei’s drum: die Stimmung ist gut, Kamerun als hervorragender Kenner der Stuttgarter Befindlichkeiten plaudert viel und schlägt im Rahmen einer Freestyle-Einlage auch gleich noch ein wichtiges Kulturprojekt vor: „Stuttgart – das Loch. Ein fantastisches Musical“, nur so als guter Tipp aus der Musical-Hauptstadt Hamburg.
Etwa in der Mitte des Konzerts beginnen die „Goldies“ sich zu verzetteln, die Wechselpausen werden länger, der Auftritt verliert an Stringenz, eine gewisse Fahrigkeit macht sich breit. Dazu kommt, dass der Mischer immer heftiger in die Regler greift, die Lautstärke Richtung schmerzhaft und den Klang Richtung scharf verschiebt. Die Textverständlichkeit bleibt auf der Strecke und das Konzert, das so schwungvoll begann, verliert insgesamt an Qualität. Während ein harter Kern in den vorderen Reihen unbeeindruckt weiterfeiert, macht sich weiter hinten Unruhe breit und einige Zuschauer verlassen vorzeitig den Club. Und vielleicht liegt es auch am Rahmen: in einem ranzigen Punkladen wäre dieser kalkulierte Kontrollverlust vielleicht der Höhepunkt geworden, im Profi-Ambiente des Wizemann wirkt er irgendwie unpassend. Und so lässt mich dieses Konzert der „Goldies“ mit der gleichen Frage zurück wie ein Kamerun’scher Theaterabend: „Was will uns der Künstler eigentlich damit sagen?“