SHE PAST AWAY, SELOFAN, 29.03.2019, Keller Klub, Stuttgart
2016 sinnierte das türkische Dark-Wave-Duo She Past Away in einem Interview darüber, warum sie eigentlich zu einem Konzertangebot aus dem Ausland niemals nein sagen könnten und ob sie eventuell nur wegen ihres Exoten-Bonus eingeladen würden. Heute muss man sich darüber längst keine Gedanken mehr machen. Volkan Caner und Doruk Öztürkcan sind eine feste Größe in der internationalen Dark-Wave-Szene und den Keller Klub füllen sie mühelos. Der ist allerdings auch ein gutes Stück kleiner als der ClubCANN, wo sie vor zwei Jahren auftraten.
Das trotz der Enge wie immer sympathisch entspannte Publikum solcher Dark-Wave-Gigs ist natürlich durchgängig schwarz gewandet. Mit meinem beigen Harrington-Jacket passe ich jedenfalls in etwa so gut dazu wie mit einem rosa Einhorn-Kostüm. Das hindert uns aber nicht daran, unseren Lieblingsplatz vorne links anzusteuern. Und auf der Bühne schickt sich bereits um kurz nach acht das griechische Minimal-Synth-Duo Selofan an, den Abend zu eröffnen. Im Gepäck haben Joanna Badtrip und Dimitris Pavlidis ihr aktuelles Album „Vitrioli“. Natürlich kommt in dieser Minimalbesetzung der größte Teil der Musik aus dem Computer. Pavlidis spielt einen echten Bass zum synthetischen Elektrobeat, Joanna singt in der für diese Genre so typischen tiefen Tonlage. Im Hintergrund laufen Videos, die auch die beachtliche visuelle Kreativität des Duos untermalen.
Der sparsame Einsatz eines Saxophons, eines Schellenrings oder eines Mini-Vintage-Casios sind (neben der umwerfenden Haarpracht) die einzigen Extravaganzen, die sich Selofan gönnen. Die Verweise auf die Achtziger sind unüberhörbar, und der Hit „Ist Die Liebe Tot?“ könnte mit seinem Krupps-Sequenzer und seinem DAF-mäßigen Text direkt aus der Frühzeit der NDW stammen. (Im Titeltrack „Vitrioli“ versteckt sich übrigens auch eine schöne Cure-Gitarre) Dem Publikum gefällt’s ganz offensichtlich, die Stimmung ist wohlig düster, der Laden kommt langsam in Bewegung. (Wenn da nur nicht dieser eine unermüdliche und nicht ganz taktsichere Dauermitklatscher ausgerechnet direkt neben uns stehen würde!)
Unangenehm macht sich die lichttechnische Ausstattung des Keller Klubs bemerkbar. Während Selofan anfangs noch in einer unpassend-poppigen Rot-Gelb-Licht-Stimmung spielen, wird es im Laufe des Gigs – vermutlich mit dem Ziel, eine angemessen düstere Atmosphäre zu schaffen – immer dunkler. Nebel gibt es weiterhin keinen und blaue Scheinwerfer sind auch rar. Da kann man nur neidvoll auf das Konzert von 2017 schielen, wo im ClubCANN alle Effektregister gezogen wurden. Davon unbeeindruckend machen She Past Away nahtlos dort weiter, wo ihre Label-Kollegen Selofan aufgehört haben. Minimaler Sound, elektronische Retorten-Beats und tiefer Gesang (diesmal in Männer-Stimmlage, deshalb eher Richtung Andrew Eldritch). Volkan Caner spielt dazu Gitarre, Doruk Öztürkcan betätigt sich an einem Tisch voller elektronischer Tasten-Instrumente.
Die beiden spulen ihr Programm ohne größere Unterbrechungen oder gar Publikumsansprachen sehr professionell ab. Das entfaltet zum einen eine gewisse hypnotische Atmosphäre, die den größten Teil des Publikums auch zum Tanzen animiert. Zum anderen ist es in seiner höhepunktlosen Gleichförmigkeit – man verzeihe mir angesichts der vielen bleich gekalkten Gesichter im Publikum das Wortspiel – auch etwas blutleer. Dennoch kann man auf der Habenseite verbuchen, zusammen mit den nahezu gleichwertigen Selofan ein veritables Doppelkonzert bekommen zu haben, und angesichts der frühen Uhrzeit (typisch für die Doppelbelegungen in den Clubs am Wochenende) noch ausreichend Zeit zum Weiterfeiern zu haben.