PAUL KALKBRENNER, 26.02.2019, Wagenhallen, Stuttgart
Die Wagenhallen sind ausverkauft. Parts Of Life heisst Paul Kalkbrenners 2018er-Album. Die Show ist auf 20.30 Uhr angesetzt. Menschenmassen drängen in die Halle. Mäntel werden brav gegen 1 € abgeben. Im Staatstheater ist diese Gebühr im Ticketpreis inbegriffen. Heute Abend ist sie es in den 50 € nicht. Das Ausschankmanagement hat seit meinem letzten Besuch (Erobique, November 2018) auf die damals katastrophale Unterversorgung mit Thekendienstleistung reagiert und eine neue Bar im Foyer – wenn man die kahle Eingangshalle so nennen kann – und einem erheblich verlängerten Tresengeraden im hinteren Teil der Veranstaltungshalle reagiert. Das ist gut so.
Auf der riesigen LED-Leinwand wird die Zeit bis zum Beginn durch einen Fotoreigen verkürzt. Paul Kalkbrenner beim Festival. Paul Kalkbrenner am Strand. Paul Kalkbrenner in New York. Paul Kalkbrenner… || Moment, ich nehm‘ kurz Paul Kalkbrenner in den Zwischenspeicher, ich glaube, ich brauche den Namen noch öfters, geht dann schneller mit Strg+v || Paul Kalkbrenner mit seinen coolsten Kumpels. Paul Kalkbrenner beim Grillen. Paul Kalkbrenner mit Paul Kalkbrenner. Paul Kalkbrenner beim Kalkbrennen. Dazu läuft ruhige Elektro-Mukke vom Speicher (früher sagte man: vom Band), es handelt sich also um eine vertonte Urlaubs-Dia-Show. Soll wohl zur Tour Parts Of Life passen. Die Schau endet mit dem Hinweis, dass es die Fotos in einem bald erscheinenden Buch zu bewundern gibt.
Präzise wie ein Sequenzer betritt Paul Kalkbrenner um 20.30 Uhr unter lautem Jubeln der geschätzt 3000 Leuten die Bühne und startet ohne Ansprache sein Programm. Paul Kalkbrenner macht Wohlfühl-Techno. Hübsche Mini-Melodien, astreine Beats, dufte Bass-Linien, selten hart, verhältnismäßig abwechslungsreich, zwischenrein taucht ein großartiger Mad World Remix (Original: Tears For Fears) auf.
Das, was Techno-Veranstaltungen so faszinierend – aber auch so anstrengend – macht, sind die (ewig) langen, harten, repetitiven Tunes, die sich über Stunden hinweg entwickeln, die die Zuhörer zwingen, sich im tribalen Getrommel tanzend zu verlieren; der DJ wird zum Schamanen, er leitet den Stamm in die Trance und tritt selbst in den Hintergrund. Das fordert vom Alltagsindianer ein ordentliches Investment an Zeit und Kraft. Paul Kalkbrenner macht ein verführerisches Angebot: er präsentiert ein DJ-Techno-Set im Schnelldurchlauf in Pop, einfacher und leichter zu konsumieren. Und obendrein bekommt der Fan auch noch die klassische Popstar-Projektionsfläche: ich, Paul Kalkbrenner, bin ein cooler Typ der durch die Welt jettet, ich bin einer von Euch, Ihr könntet Ich sein.
Bei einem Vinyl-DJ gibt es kaum etwas herzeigbares zu sehen, bei einem Laptop-DJ noch weniger, bei Paul Kalkbrenner, dessen Musik vom Speicher kommt, faktisch gar nichts. Für mich umso irritierender ist das damit einhergehende Abfeiern des Nichts: abwechselnd aus fünf Kamerawinkeln wird der bühnenfüllende LED-Screen mit Life-Bildern gefüttert, die
- Paul Kalkbrenner von halb links zeigen,
- Paul Kalkbrenner von halb rechts zeigen,
- Paul Kalkbrenner von halb unten zeigen,
- Paul Kalkbrenners Kopf zeigen und die
- Paul Kalkbrenners coole Schuhe zeigen.
Und ich komme um den abgeschraubten Begriff des Knöpfchendrehers nicht umhin:
- Paul Kalkbrenner dreht an den Hochtönern,
- Paul Kalkbrenner dreht an den oberen Mitten,
- Paul Kalkbrenner dreht an den Mitten,
- Paul Kalkbrenner dreht an den unteren Mitten,
- Paul Kalkbrenner dreht an den Tieftönern.
Dabei zeigt er immer wieder verschieden-angestrengte Gesichter, und wenn mal wieder der Bass losgeht, macht er Eindruck: Puh, den habe ich gerade noch so einrasten können, klingt aber geil, gell.
Ich versuche einen tieferen Sinn dahinter zu entdecken, eine doppelte Bedeutung, einen Fluxus-Gedanken, der das öffentliche Zuschaustellen des Abwesenden erklären könnte. Ich komme aber nicht drauf. Positiv bewertend lässt sich wiederum sagen: da wird nicht versteckt, was nicht da ist. Ich bin einigermaßen ratlos.
Den Ravern in den Wagenhallen gefällt das alles sehr gut. Das Konzept geht auf. Von Mitte 20 bis Mitte 50 ist alles vertreten, auch ein nicht kleiner Anteil an After-Work-Businessmen mit ihren stark geschminkten Frauen wippen mit.
Um 22 Uhr stehe ich draußen, um mich kurz vom Gewummere zu erholen. Ein Gast, der die Veranstaltung bereits verlassen hatte, kommt einigermaßen verzweifelt zurück und spricht mit der Sicherheit. Sein Daimler sei zugeparkt und er müsse morgen früh raus und so. Die Security-Lady zuckt mit den Achseln. Es tue ihr leid, aber sie könne keine Durchsage veranlassen. Also Achtung, Ihr Techno-Jünger: So ein Paul-Kalkbrenner-Dienstags-Rave in Stuttgart ist halt eine richtig krasse Sache.
2013 hatte Paul Kalkbrenner einen Auftritt in der Schleyerhalle, Niko sah das damals so.