MESHELL NDEGEOCELLO & CHRISTIAN MCBRIDE’S NEW JAWN, 13.07.2018, SpardaWelt, Stuttgart
Ich war immer sicher, ich müsste für ein Konzert von Meshell Ndegeocello mindestens die Landesgrenze, wenn nicht gar den Ozean überqueren.
2003 bin ich in einem Plattenladen in San Francisco mit ihr in Berührung gekommen. Ihre CD lag bei den Empfehlungen, ich hab reingehört und direkt alles gekauft, was es von ihr bis dato gab. Und damit eine unglaublich vielseitige Musikerin entdeckt. Ihr Haupt-Instrument ist neben der vielseitigen Stimme der Bass. Und den spielt sie exakt und cool, für Wärme ist ihre Stimme zuständig, die mal Richtung Sade geht und dann wieder den Barry White rauslässt.
Meshell beginnt mit einigen ihrer ruhigen, fein instrumentierten Songs. Es sind außer ihr Gitarrist Christopher Bruce, Keyboarder Jebin Bruni und Drummer Abraham Rounds auf der Bühne. Manchmal klingt es nach mehr Instrumenten, aber aus welcher Maschine kann ich nicht feststellen. Keyboards und Laptop sind Hauptverdächtige. Meshell spricht nicht viel zum Publikum, irgendwann erklärt sie, dass es ihr immer noch etwas unangenehm ist, dass ihr Leute beim Musizieren zusehen. Das erklärt, dass sie vor vielen Jahren konsequent mit dem Rücken zum Publikum stand. Die Freunde, die mir das erzählt hatten, hielten es für Arroganz oder Rassismus gegenüber Weißen. Das wurde ihr ohnehin immer wieder vorgeworfen, sie aber träumt wohl lediglich davon, dass schwarze Menschen endlich gemeinsam gegen das Unrecht aufstehen, das ihnen angetan wurde (und wird), siehe Wikipedia.
Meshell spielt Stücke aus ihrer gesamten Karriere, vom aktuellen (Cover-)Album „Ventriloquism“ hat sie u.a. ihre gnadenlos gute Version von Waterfalls ausgepackt. Fotograf Andreas ist hingerissen (im Gegensatz zu den Lichtverhältnissen). Sie hat immer mal Versionen bekannter Songs aufgenommen, erwähnt werden muss unbedingt Bill Withers‘ „Who Is He And What Is He To You?“. Hätte ich heute auch gerne gehört. Nach „Waterfalls“ werden die Stücke grooviger, die Instrumentalteile länger, die Musiker zeigen alle Facetten ihres Könnens. Abraham Rounds zeigt außerdem, dass er nicht nur im Background, sondern auch solo singen kann – wie geht das, wenn man gleichzeitig „so“ Schlagzeug spielt?!
Teils klingen die Songs total anders als auf Platte. „Good Day Bad“ ist live eher cool und reduziert, eine Liveaufnahme wäre toll. Bei „Nite and Day“ setzt sich Meshell ans Fender Rhodes und überzeugt auch an diesem Instrument. Faszinierend sind die oft gegenläufigen Rhythmen, die große Spannung erzeugen. Die leider einzige Zugabe ist gleichzeitig technoid und irgendwie 80er. Ich erkenne das Stück leider nicht und als ich den Keyboarder nach der Setliste frage, zuckt er nur die Achseln und meint, es tue ihm leid, sie entscheiden immer spontan, was sie als nächstes spielen. Krass, das hat man überhaupt nicht mitbekommen.
Nach der Umbaupause stehen Christian McBride’s New Jawn auf der Bühne. Namensgeber McBride ist Kontrabassist und hat 2016 gemeinsam mit Chick Corea bei den Jazz Open gespielt. Vielversprechend. Gesungen wird hier nicht, Tenorsaxophon und Trompete sind die Stimmen dieser Gruppe. Die ersten beiden Stücke sind mir etwas arg frickelig. Die Güte der Musiker steht außer Frage, aber das ist Musik, die vermutlich Spaß macht, während man sie selbst spielt (sofern man es kann), aber zum Hören … Anstrengend. Ich suche Fotograf Andreas, ob wir nicht gehen wollen. Er muss aber noch aufessen. Zum Glück! Denn ab jetzt wird es genial und mit jedem Stück besser. Eine Bombe. Eine Weltsensation.
Der Drummer entpuppt sich als Jazz-Pendant meines Lieblingsdrummers Glenn Kotche. Er legt zweimal ein Drumsolo hin, nach dem man eigentlich direkt zusammenbrechen und Sauerstoff bekommen müsste. Irre! Aber jeder der vier tut unmenschliche Dinge auf seinem Instrument – vor allem natürlich während der Soli, die im Jazz ja fast Pflicht sind – und jeder könnte der Namensgeber dieser Formation sein, es gibt keinen Star – oder nur Stars. Tolle Momente sind, wenn die zwei Bläser in den Hintergrund der Bühne treten und hin und wieder unverstärkt zweistimmig mit einstimmen. Und sich dann wieder rausnehmen. Oder wenn das Tempo, der Rhythmus wechselt. Wenn Christian McBride seine wunderbare Zahnreihe zeigt und einfach nur glücklich aussieht.
Meshell Ndegeocello und ihre Musiker haben in meiner Nähe Platz genommen. So cool sie auf der Bühne ist, so temperamentvoll ist sie als Zuhörerin. Sie und Christian McBride sind übrigens gut befreundet – hat er gesagt. Manchmal spielt sie Luftbass mit, manchmal springt sie auf und tanzt wild, dann sitzt sie wieder, schlägt sie in Luft. Lacht, juchzt. Diese Frau ist Musik, der ganze Körper lebt mit. Ein wunderbarer Fan würd ich sagen.
Von Christian McBride erfahren wir aus der Ansage zu seinem herzzerreißenden Stück „Ballad for Ernie Washington“, dass es sich bei Ernie Washington um Thelonius Monk handelt. Letzterer erfand diesen Namen für sich selbst, als er verzweifelt auf Jobsuche in Washington unterwegs war: Abwandlung für „Earn me Washington“. Mc Bride kündigt den letzten Song „The Good Life“ an und wir hoffen, dass es trotzdem eine Zugabe geben wird. Die gibt es. Die Eigenkomposition Mc Brides. „Walking Funny“ ist ein sehr ungelenk rhythmisiertes Stück und lässt mich sofort an Monty Pythons „Ministry of Silly Walks“ denken. Und wieder die Zahnreihe. Großartig!