DOOM IN BLOOM Festival, 07.04.2018, Komma, Esslingen
Es ist warm, richtig warm. Der erste echte Frühlingstag, der einen heißen Sommer verheißen könnte. Esslingen ist voll mit Menschen, die sich auf den Plätzen und Außenbestuhlungen der Cafés tummeln und einigen – leicht zu erkennen an ganz schwarzen Outfits und in der Regel in schwarzweiß gehaltenen Bandshirts – die sich am Nachmittag gemächlich in Richtung Kulturzentrum Komma bewegen, um sich in einem sehr dunklen Raum einer melancholisch-düsteren Entschleunigung der härteren Gangart hinzugeben: Doom in Bloom.
Doch was ist Doom Metal eigentlich? Um eine Weiterlese-Entscheidungshilfe zu geben, eine kurze Definition, die u.a. auf wikipedia gründet: Doom englisch für „Untergang“, „Unheil“ ist eine Spielart des Metal, die sich durch schwere, langsame Gitarrenriffs und eine als düster wahrgenommene Grundstimmung auszeichnet. Textlich bewegt man sich im Spannungsfeld von Melancholie, Trauer, Endzeitstimmung, Sehnsucht, Verzweiflung und Tod. Als Merkmale gelten reduziertes Tempo, erhöhte Verzerrung der E-Gitarren sowie Monotonie und Individualität. Gitarren werden tief gestimmt und häufig über Bass-Verstärker gespielt, so dass man gerne von einem „warmen und breiten Klangbild mit erdigen Gitarren“ spricht. Der Gesang – sowohl männlich als auch weiblich – wurzelt stark im Blues- und Hard-Rock auch in Anlehnung an den Ur-Bezugspunkt für Doom Metal: Die frühe Musik von Black Sabbath.
Das Doom In Bloom Festival verschreibt sich also der echten Schwere des Metalls, und dies bereits zum sechsten Mal. Im Oktober 2017 durften die Festivalmacher bereits das Psych In Bloom in Kooperation mit dem Komma veranstalten. Das war ein wunderschönes Festival mit viel Liebe zum Detail, also folgt der Gig-Blog (Jochen und bertramprimus) den Kuratoren jetzt schnurstracks ins Unheil.
Einlass im Komma ist ab 17 Uhr und noch herrscht Umtriebigkeit bei den diversen ehrenamtlichen Mithelfern und an der Bühnenbeleuchtung wird noch experimentiert. Ein Mann mit Staubsauger durchquert mehrmals den Saal. Doch es herrscht eine sehr entspannte, familiäre Stimmung als um ca. 18:15 Uhr die erste Band vor ca. 15 bis 20 Gästen beginnt.
From Yuggoth
Drei langmähnige Männer aus Dresden schleppen sich auf die Bühne und beginnen unvermittelt nach einem einzigen „Test“ Ruf ins Mikrofon mit ihrem Set und zack, schon sind 40 Leute im Saal, die großteils in spontanes, solidarisches Kopfnicken verfallen. From Yuggoth werden mit monolithischen Gitarren-Riffs aus den Tiefen eines verdrehten, dreckigen und schauerlichen Riffs, tief unten auf einem fremden Planeten irgendwo im Universum angekündigt. Die vier Stücke werden zwar sicher und in Doom-typischer Manier recht lange und mit einem hübschen Schrei-Gesang dargeboten, allerdings sind sie doch recht unispiriert und hinterlassen allenfalls eine Ahnung von dem, was mit der Ankündigung gemeint sein könnte.
Bees Made Honey In The Vein Tree
Die Stuttgarter Band wirkt recht jung und besteht aus vier Musikern. Und alleine, dass eine zweite Gitarre zum Einsatz kommt, lässt den Sound der Bees schon differenzierter wirken, wobei auch das Songwriting hier schon etwas anspruchsvoller daher kommt. Bei allen Bands werden im Hintergrund Videos projiziert – natürlich in schwarzweiß. Dieses besteht bei den Bees hauptsächlich aus dem Bandschriftzug, der sich psychedelisch immer wieder auflöst. Und tatsächlich werden wir hier mit einem starken und heavy Soundgewand versorgt, das mit massiven psychedelischen Einschlägen durchsetzt wird. Und die Vier von Bees Made Honey In The Vein Tree schaffen es, aus diesen Zutaten einen runden Bandsound zu kreieren. Bassgeschwängerte, dunkle Wolken brauen sich düster zusammen, der Sturm scheint unausweichlich und entlädt sich mit einer Wucht, die einen mächtig und mit nahezu dekonstruiertem Tempo erfasst. Der Gesang, der scheinbar keiner echten Sprache zuzuordnen ist, kommt nur spärlich zum Einsatz und wird sowohl vom Schlagzeuger als auch vom Gitarristen beigesteuert (und bietet durchaus noch Luft nach oben). Die immer zahlreicher werdenden Gäste, es dürften nun schon annähernd 100 sein, grooven sich auch zunehmend ein und nehmen die verschiedenen Einflüsse, die da zusammenkommen, dankbar an. Da kann man eindeutig Pearl Jam-Inspiration sowie ausgiebige Stoner-Rock Sozialisation wahrnehmen, die sich in wunderschönen Melodien manifestieren.
b-s-t
Die dritte Band und die dritte Band aus Deutschland, diesmal aus Hamburg (hört man auch am Schnack). Hat etwa Deutschland eine Doom-Szene? Ich denke: ja! Auch hier haben wir eine Vierer-Besetzung am Start, allerdings nicht ganz so jung wie bei den Vorgängern. Und ja, ich habe zwar gelesen, dass die Jungs auf deutsch singen, alldieweil ich kann es nicht verstehen. Der Sound der Hamburger ist natürlich ebenfalls von doomischer Gedrosseltheit, hat aber ebenfalls eine saftige Stoner-Note und wie es so schon heißt einen „pinch of sludge“. An diesen angesludgten, stonigen, deutschsprachigen Doom-Rock-Songs scheiden sich etwas die Geister, nehme ich im Publikum wahr. Manche finden das zu prollig, andere finden gerade das gut. Der Gitarrist, der auf einer Flying-V spielt, singt auch. Das Instrument lässt mich zwar einen stärker ausgeprägten Metal-Einfluss erwarten, doch dieser bleibt aus und man bleibt dem Band-Stil treu: eine dreckige, rockige und sehr melancholische Spielart aus Slugde- und Stonerrock. Das kommt dafür sehr autenthisch rüber und b.s.t. schaffen es damit doch, die Atmosphäre im Saal noch etwas anzuheizen, bevor der Höhepunkt des Abend naht.
Messa
Für mich – bertramprimus – ist Doom ein weitgehend unbekanntes Gebiet, ich bin in der Elektronik zu Hause. Aber als Ambient-Fan und Liebhaber extremer Musik gleich welcher Couleur lasse ich mich aber gern ins Dunkle führen.
Mit dem Headliner Messa aus Norditalien zieht eine sakrale {oder okkulte} Atmosphäre in den Saal. Sie lassen nicht wie die römische Kirche einen Mann ans Mikro, Sängerin {oder Schamanin} Sara steht der vierköpfigen „Female Fronted Doom“-Formation vor – und auch gut zu Gesicht. Gitarrist und Keyboarder Alberto leitet die langsam sich aufbauenden Stücke mit psychodelischen Spielereien ein, um dann mit Basser Marco und Drummer Rocco auf die tiefen, reißenden Akkorde anzuschlagen. Saras helle, glasklare Stimme schließlich scheint über diesem Fundament zu schweben. Ihre langen, roten Locken verdecken ihr Gesicht. Die Augen sind halb geschlossen, beim nächsten Akkord fixieren sie das Publikum. Die Predigerin {oder Hexe} schlägt die Gläubigen {oder Verführten} in ihren Bann. Sie bedankt sich in nonchalantem Englisch für den großen Zuspruch und weist darauf hin, dass vor zwei Tagen Messas neues Album „Feast For Water“ erschienen sei.
Der Schlagwerker nimmt die Flanellkopfschlegel, um das doomjazzige Keyboard-Intro sanft rhythmisch zu begleiten. Angelo Badalamenti (Twin Peaks Soundtrack) und Bohren Und Der Club Of Gore (die ursprünglich Metaller waren) wehen von der Bühne herunter. Saras gehauchter Gesang wandelt sich mit dem ersten Riff in eine eindringliche Klage {oder sind es Beschwörungsformeln}. Der Track heißt „White Stains“, das ist der Name einer Gedichtesammlung eines gewissen George Archibald Bishop {ein Pseudonym von Aleister Crowley}. Wie auch immer, Musik mit einer Atmosphärendichte, die sich mit der Schere schneiden lässt, überwältigend.
Das verhexte Publikum ist restlos begeistert und folgt nach dem Auftritt brav zum Merch-Stand. Dort verkauft Sara Reliquien. Ihr feingliedriger linker Mittelfinger ist mit einem einfachen Kreuz tätowiert. Für ihr Gegenüber sieht das so aus: † Für sie steht das Kreuz auf dem Kopf…
Cardinals Folly
Da die angekündigten Hangman’s Chair aus Frankreich leider absagen mussten, konnten noch kurzfirstig Cardinals Folly, die „Söhne Pagans“ aus Helsinki für das Doom in Bloom Line-up gewonnen werden, die sozusagen kurz vor knapp noch die Reise antraten, um pünktlich aufzutreten zu können. Dafür schon ein Lob! Das spricht auch sehr für den Zusammenhalt in der Szene. Die Band besteht aus drei lakonischen Finnen, die einem Aki Kaurismäki Film entsprungen sein könnten. Ich muss mir zunächst einmal die Augen reiben. Der langhaarige singende Bassist kommt mit freiem Oberkörper auf die Bühne, ohne sich darum zu scheren, ob das nun irgendwie gut, erotisch, anregend, kühn oder so ankommt. Ich denke, er macht das wahrscheinlich immer so. Und genauso trotzig, bisweilen rotzig sind seine lakonischen Anmerkungen oder Danksagungen. Der Gitarrist, immerhin noch mit Hemd, das allerdings komplett aufgeknöpft ist, spricht stark dem Bier zu, von dem er eine kleine Batterie vor seinem Verstärker platziert hat und das er gelegentlich auch seinem Bandkollegen aus der Hand nimmt. Der Schlagzeuger macht eine schon überzogen coolen Eindruck: hipster-bärtig, Sonnenbrille und mit roboterhaften Bewegungen. Doch erscheint das sogleich in einem anderen Licht als ich erfahre, dass der Mann blind ist. Und das beeindruckt mich wirklich stark, mit welcher Präzision und mit welchem Druck er ans Schlagwerk geht. Alle drei haben eine Art hölzernes Band-Amulett am Lederband um den Hals hängen. Das wirkt doch recht skurril insgesamt. Doch im Laufe ihres Auftritts erobern Cardinals Folly aber den Doom-Saal in Esslingen. Der Sound ist häufig weit über dem üblichen doom-zulässigen Tempo und changiert irgendwo zwischen den Hives und Turbonegro, jedoch in einer sehr einfach gehaltenen Variante, die aber ihre Wirkung keineswegs verfehlt und umso überzeugender von den schrägen Finnen performt wir. Der lausbübische Sänger rotzt uns einen Rocksong nach dem anderen vor die Füße, der blinde Drummer trommelt wie eine Maschine und ich bilde mir ein, bei ihm eine gesteigerte Begeisterung und Euphorie wahrzunehmen, wenn er nach den Songs die Drumsticks zum Teufelskruzifix hochhält und der trinkende Gitarrist ergeht sich in Soli, die immer mehr zu Eskapaden mutieren bis er schließlich auf dem Bühnenboden liegt, ein Bein zuckend in die Luft gereckt. Da war ich mir nicht ganz sicher, ob er nochmal aufsteht. Aber da kenne ich Cardinals Folly natürlich schlecht. Bassist/Sänger und Gitarist kommen für den letzten sogar noch ins Publikum, um gemeinsam den Kopf zu nicken.
Daanköö. Heavy Metal.
… brüllt der Bandleader zum Abschied ins Mirko und schlurft langsam von der Bühner. Ein wunderbarer Abschluss für das Festival!
Insgesamt ein sehr schöner Abend und ich glaube ein Leckerbissen für die Genre-Fans. Denn unter den insgesamt, geschätzt 120 Besuchern des Festivals waren auch einige aus dem Ausland nach Esslingen angereist. Und einmal mehr wird durch diese wirklich großartige DIY-Engangement klar, welche Kraft Musik hat. Offen, grenzüberschreitend, tolerant, verbindend – ganz egal wie skurril oder klein die Genre-Nische erscheinen mag. Ich bin nun schon gespannt auf das nächste Doom in Bloom!
Danke für das fesche Review & „Doom over the World“! ;)