Anneke van Giersbergen’s VUUR, VOTUM, 21.02.2018, clubCANN, Stuttgart

VUUR

Foto: Steve Sonntag

Diese Frau ist Profi und einfach nicht zu bremsen. Aktiv wie ein Sack Flöhe, sodass vorweg ein paar Hintergrund Informationen vonnöten erscheinen: Anneke van Giersbergen war ab dem dritten Album (Mandylion, 1995) von The Gathering nicht nur fester und unverwechselbarer Bestandteil der Band, sondern auch zum Markenzeichen geworden. Die Band experimentierte von Beginn an im Spannungsfeld von progressivem, melodisch-melancholisch angehauchtem und doomigem Metal, der von verklärten Melodien getragen wird und zur deren Sound van Giersbergens Stimme und Gesang passt, wie die Faust aufs Auge.

Das führte zu beachtlichen, auch internationalen Erfolgen, bis die sympathische Niederländerin 2007 ihren Ausstieg bei der Band verkündet, um sich zunächst ihrem eigenen Projekt Auga de Annique zuzuwenden, mit dem sie drei Studio-Alben und ein Live-Album mit feinen, soliden Folk-Rock Songs veröffentlichte. Schließlich bringt sie auch noch zwei Solo-Alben (2012 und 2013) mit relativ eingängigen Pop-Rock Liedern heraus. 2016 erschien außerdem die Platte „Verloren, Verleden“ der isländischen Indie-Folk Formation Árstíðir, die Anneke komplett einsang.

VUUR

Foto: Steve Sonntag

Puh! Aber das war längst nicht alles, denn van Giersbergen sang auch für kultige Kollegen aus der Rock- und Metalszene, wie Anathema, Within Temptation, Moonspell oder arbeitet auch mal mit den Grindcore Pionieren von Napalm Death. Sie kooperierte des Öfteren und trat zudem diverse Male mit dem leicht durchgeknallten, kanadischen Metal-Genie Devin Townsend auf, 2015 veröffentlicht sie eine Kollaboration mit dem ebenso besessenen Mastermind Arjen Lucassen (Ayreon) unter dem Namen The Gentle Storm, mit dem sie gemeinsam mit den niederländischen Symphonie-Metallern von Delain auf Europa-Tournee war.

Schließlich erfüllt sich Anneke van Giersbergen endlich einen lange gehegten Traum und findet geeignete Musikanten, um ihre eigene Metal-Band zu gründen: VUUR (sprich: Vühr), niederländisch für Feuer und veröffentlicht 2017 das Debüt- und Konzept-Album „In This Moment We Are Free – Cities“.

Doch nun – Zeit wird es ja – endlich zum Konzert. Ich freue mich sehr, dass es die Gelegenheit gibt, die Band in einer kleineren Location zu begutachten – im Club Cann. Dort im Cannstatter Jugendclub sind sehr engagierte Leute am Werk, die mit Hingabe kleine, feine Konzerte auf die Beine stellen und dazu für einen tollen Sound sorgen!

Votum

Foto: Steve Sonntag

Es geht los mit einer Vorband namens Votum. Die jungen Männer stammen aus Polen und lassen mich stutzen. Denn ihre komplexen und sehr finsteren Kompositionen klingen ebenso modern, wie erwachsen. Dass Heavy Metal allgemein gerade etwas im Aufwind und vielleicht sogar in ist, habe ich durchaus wahrgenommen, aber dass es auch an den Genrerändern ernstzunehmenden Nachwuchs gibt, setzt da noch Eins drauf. Na gut, Votum gibt es auch schon seit 2002 erfahre ich…

Man gibt sich bewusst düster, wie der Sänger im Kapuzenmantel und fast alle der sechs Bandmitglieder haben etwas schwarze Kriegsbemalung im Gesicht. Aber das ist beileibe kein effekthascherischer Auftritt, vielmehr überzeugen Votum in ihren 40 Minuten gekonnt mit einem gelungen erzeugten Song-Spannungsbogen, der sich in progressiv-doomigen Steigerungsexzessen und Soundgewittern entlädt. Abgerundet und eingefangen werden diese Erschütterungen durch die tiefe, angenehme Stimme des Sängers Bartosz Sobieraj, die zeitweilig sanft wirken kann, sich aber auch heftig donnernd in Gehörgänge bohrt. Das leider nicht allzu zahlreich erschienene Publikum (circa etwas mehr als 100 Zuschauer) lässt sich begeistern und zollt den Warschauern Respekt.

Nach einem fixen Umbau kann man vor feurigem Orange die Lettern VUUR über der Bühne lesen und zuerst kommen Jord Otto (Gitarre), Ferry Duijsens (Gitarre) und Ed Warby (Schlagzeug) auf die Bühne, gefolgt von der umgehend gefeierten Anneke von Giersbergen und man haut uns direkt „Time – Rotterdam“ um die Ohren. Ein gelungener Start: Fetter, aber klarer und krachend lauter Sound, begeisterte und spielfreudige Musiker und eine wie immer gutaussehende und bestens gelaunte Anneke.

Aber ja richtig, da fehlt einer und das wird sogleich in der ersten Ansage erklärt: Bassist Johan van Stratum kann die Tour nicht komplett zu Ende spielen, da seine Mama erkrankt und er nun bei ihr ist. Notgedrungen hat man also die Bass-Tracks aufgenommen und diese kommen nun vom Band. Eine Einschränkung, die aber im Verlauf des Konzerts doch eher eine untergeordnete Rolle spielt oder wie van Giersbergen es formuliert: „Still, we will give you a kick-ass concert.“ Recht soll sie behalten.

VUUR

Foto: Steve Sonntag

Und nach der intensiven so melancholisch wie harten, achtminütigen Achterbahnfahrt von „My Champion – Berlin“ bekommen die Fans bereits einen Gathering-Song serviert. „On Most Surface“ vom erfolgreichen „Nighttime Birds“ Album aus dem Jahr 1997, was die Stimmung zusätzlich anheizt. Anneke von Giersbergen merkt man die Freude an, die ihr die Verwirklichung dieses Band-Traums bereitet. Sie strahlt, ist bester Laune und sucht den Kontakt zu den Fans. Es gibt einen Verweis auf die vergangene Tour von Epica, den Symphonic-Metal Ikonen für die VUUR als Support unterwegs war und so bereits die Möglichkeit bekam, das neue Material in größeren Venues vorzustellen.

Insgesamt liefern VUUR sieben von 11 Songs ihres Debüts, das dem Städte-Konzept folgt. Jeder Songtitel erhielt zusätzlich noch einen Städtenamen. Dieses Konzept ist geprägt von persönlichen Erfahrungen von Anneke von Giersbergen und kreist dabei um das Themenfeld Städte und Freiheit. Musikalisch bewegen wir uns im modernen progressiven Metal, der in teilweise komplexen Songstrukturen und Arrangements angelegt ist und das Faible zum Symphonisch-Theatralischen schimmert immer wieder durch – jedoch nicht zu krass. So, dass die fünf- bis achtminütigen Werke mühelos zwischen epischen, melancholischen, sinnlichen, harten, kniffligen und ausgeklügelten, verzaubernden, mitreißenden Elementen changieren und zu kleinen (Städte-) Reisen werden, die natürlich von der unverwechselbaren und betörenden Stimme der beeindruckenden Sängerin getragen werden.

Angereichert wird das Set durch zwei Songs aus dem The Gentle Storm-Projekt, als da wären das imposante „The Storm“ und „Valley Of Queens“ (eigentlich ein alter Ayeron Song aus dem Jahr 1998), das in einer sehr schönen akustischen Version daher kommt. Passend dazu auch „Like A Stone“ aus der Feder des leider im letzten Jahr verstorbenen Chris Cornell, das Anneke ganz still und alleine mit der Akustikgitarre darbietet und das zu einem stillen Höhepunkt des Konzerts wird. Leider gibt es Störenfriede, die – aus welchen Gründen auch immer – es nicht zu schätzen wissen, welch besonderen Momenten man da womöglich beiwohnt und welch tolle Musik man in so einer fast intimen Atmosphäre geboten bekommt. Die Sängerin muss tatsächlich zur Ruhe ermahnen (hier wäre dann wohl ein „Augenroll-Emoji“ fällig…).

Nach etwas mehr als einer Stunde und einem zweiten Klassiker der Gathering-Ära, „Strange Machine“ (vom Album „Mandylion“) geht die Band kurz von der Bühne, um gleich und bereit für ein Finale wieder zu erscheinen. Das besteht dann aus einem weiteren Fremdlied, das von Giersbergen häufig gemeinsam besagtem Devin Townsend performte und das sehr gut zum gesamten Set passt: „Fallout“ aus dem Jahr 2014.

Schlusspunkt ist VUURs „Reunite! – Paris“, das Anneke van Giersbergen mit „call me a goddamn Hippie, but I believe in this!“ ankündigt und bezieht sich dabei auf den Text, in dem es darum geht, dass alle Menschen sehr unterschiedlich sind, verschiedene Hintergründe haben, aber wir alle teilen das Glück dieses Moments, der uns stärkt und beschützen kann…  Dem ist ja dann auch erstmal nix hinzuzufügen! Außer, dass van Giersbergen ankündigt, dass VUUR nicht bloß ein Projekt sei, sondern eine richtige Band und dass bereits an neuen Songs gearbeitet wird. Ich bin gespannt!

PS: Trotz erlebter, großer Erfolge und Auftritte ist sich die Sängerin nicht zu schade, nach dem Konzert aber auch jedem einzelnen noch ein Autogramm auf irgendwas zu kritzeln, sich mit Fans posierend ablichten zu lassen und sich allen möglichen Senf über frühere Konzertbesuche anzuhören. Und auch hier ist sie nach wie vor bester Laune, wirkt authentisch und man nimmt ihr irgendwie ab, dass sie das tatsächlich interessieren könnte. Ein sympathischer Profi!

VUUR

Foto: Steve Sonntag

VUUR

VOTUM

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